Merz’ Besuch in der Türkei: Demokratie second
Kanzler Merz geht es in der Türkei darum, den Autokraten Erdoğan bei Laune zu halten. Dass ihm die Opposition egal ist, ist bezeichnend.
A n diesem Mittwoch und Donnerstag besucht Friedrich Merz erstmals als Kanzler die Türkei. Er will Wirtschaftsvertreter treffen und vor allem Präsident Recep Tayyip Erdoğan seine Aufwartung machen. Auf die Frage, ob der Kanzler auch einen Vertreter der massiv bedrängten Opposition treffen wird, sagte einer seiner Sprecher vorab: „Wir wollen uns ganz auf Erdoğan fokussieren.“
Die Zeiten, als Menschenrechte, Demokratie und Meinungsfreiheit im deutsch-türkischen Verhältnis noch eine Rolle spielten, sind in der Ära Merz endgültig vorbei. Schon als im März der Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu, der gleichzeitig der aussichtsreichste Konkurrent von Erdoğan bei der nächsten Präsidentschaftswahl wäre, unter fadenscheinigen Gründen verhaftet wurde, hieß es aus der CDU/CSU, öffentliche Kritik sei kontraproduktiv – wenn, dann könne man nur hinter den Kulissen etwas erreichen.
Merz will in der Türkei aber ganz anderes erreichen als die Freilassung des Oppositionsführers. Er will, dass Erdoğan einer schnelleren „Rückführung“ abgelehnter türkischer Asylsuchender aus Deutschland in die Türkei zustimmt, dass syrische Flüchtlinge über die Türkei nach Syrien abgeschoben werden können – und er möchte die Geschäfte deutscher Firmen beflügeln.
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Dafür unterstützt er den in dieser Woche zwischen Erdoğan und dem britischen Premier Keir Starmer klargemachten Verkauf von Eurofightern an die Türkei und eine engere Rüstungskooperation zwischen der EU und der Türkei insgesamt – beides Dinge, die sich Erdoğan seit Längerem wünscht. Angesichts der vielen Kriege im Nahen Osten, in der Ukraine und anderswo sei Erdoğan „ein unverzichtbarer strategischer Partner“, hatte Außenminister Johann Wadephul schon nach seinem Besuch in Ankara vor zwei Wochen gesagt.
Die wichtigste Aufgabe sei es deshalb, Erdoğan in unserem Lager zu halten, heißt es aus dem Umfeld des Kanzlers. Angesichts derart weltpolitischer Fragen ist die drohende Abschaffung der Demokratie in der Türkei offenbar eine zu vernachlässigende Marginalie.
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