Messianisches Konzept oder Kampfbegriff: Arbeiten an der Postidentität?

Klassenfragen: Fatma Kar und Thomas Chatterton Williams diskutieren auf dem taz lab über Identitätspolitik und Arbeit.

Spätestens seit Trumps unerwarteter Präsidentschaft erregt Identitätspolitik die Gemüter Bild: dpa

von VOLKAN AĞAR

Identitätspolitik glänzt als Reizwort. Das tut es in einem deutschsprachigen linksliberalen bis linksradikalen Milieu. Identitätspolitische Polemiken sorgen für Unterhaltung in der Szene, man debattiert über den wahren Kampf gegen Rassismus. Spätestens seit Trumps unerwarteter Präsidentschaft erregt Identitätspolitik auch über das linke Biotop hinaus die Gemüter.

Dazu beigetragen hat Mark Lilla, Professor an der Columbia University. Lilla behauptete in der New York Times, die überheblichen Liberals und ihre Minderheitenobsession seien schuld an der quasiapokalyptischen Wahl Trumps.

Unermüdlich streiten sich Meinungsautoren, Aktivisten und Wissenschaftler dies- und jenseits des Atlantiks: Für die einen ist Identitätspolitik ein geniales, geradezu messianisches Konzept, auf das eine emanzipatorische Linke zu lange gewartet hat. Eine Idee, die alle inkludiert, jeder Subjektivität ihren Raum einräumt.

Identitätspolitik als Kampfbergriff

Bisher verhindert von einer weißen, männlichen Dominanz auch innerhalb linker Subkultur, oder von Steinzeitkommunisten und ihrer These von Haupt- und Nebenwidersprüchen. Anderen dient Identitätspolitik als Kampfbegriff. Sie verwenden ihn so wie „Genderwahn“ oder „Political Correctness“, fantasieren eine deutschlandweite linke Hegemonie. Mit erhobenem Zeigefinger klagen sie Universitäten an, an denen kritische Wissenschaft den Untergang des Abendlandes vorbereite.

Das Problem aber beginnt dort, wo die Fronten geklärt scheinen. Während Rechte sich eine konservative Revolution herbeisehnen, kritisieren andere, dass Identitätspolitiken innerhalb der Linken bedenkliche Züge annehmen.

Denn eine Politik, die sich final auf Identität beruft, höhlt den hehren Anspruch der Gleichheit aller Menschen aus. Sie schreibt Identitäten fest, weil sie diese immerzu reproduziert. Ihre fortschrittlich gemeinte Emphase der Identität wird zum Käfig.

Kritisch nachfragen auf dem taz lab

Irritationen jedenfalls, die wir beim taz lab mit zwei Gästen sortieren wollen: Fatma Kar ist Politaktivistin in Berlin und war in der Refugeebewegung aktiv. Sie kritisiert in der Jungle World, dass die Menschen rassifiziert würden bei dem Versuch, unsichtbare Diskriminierungen sichtbar zu machen. Thomas Chatterton Williams, Philosoph, schreibt für die New York Times und will eine neue Sprache entwickeln, um gegen Diskriminierung zu agieren – er ist scharfer Kritiker von identity politics.

➡ Wann? Samstag, 21. April 2018

 

➡ Wo? Haus d. Kulturen d. Welt

John-Foster-Dulles-Allee 10

10557 Berlin

 

➡ Was? Der große taz-Kongress zum Thema Arbeit

 

➡ Tickets? Online im taz Shop und offline im taz Café

 

➡ Mehr auf Facebook und Twitter

Beide fragen: Wie steht es um sozioökonomische Wurzeln von Ungleichheit? Ist es Zufall, dass die große Entdeckung der Identitäten, die Kulturevolutionen während und nach 68 und die neoliberale Doktrin zeitlich zusammenfielen? Die postindustrielle Ära macht Menschen als Arbeiter nach und nach überflüssig. Wie wirkt sich das auf Konzepte des Selbst und der Identität aus?

Was verbindet und trennt US-amerikanische und europäische Erfahrungen? Dies gilt es zu klären, auf der Suche nach dem Besseren: mehr als identitäre Schlammschlachten.