Michel Abdollahi über Vorurteile: „Ein bisschen Druck rausnehmen“

Der Moderator Michel Adollahi tauscht das Studio oft mit der Fußgängerzone oder dem Nazidorf. Ein Gespräch über die Gründe, Beleidigungen auszuhalten.

Michel Abdollahi durch eine Fensterscheibe mit Spiegelungen gesehen

Würde den Aufklärungsposten gern verlassen, sieht aber noch viel Bedarf: Michel Abdollahi Foto: Miguel Ferraz

Michel Abdollahi kommt 15 Minuten zu spät zum Interviewtermin. Er entschuldigt sich: Er ist im Bahnhof kontrolliert worden, allgemeine Personenkontrolle. Das sei ihm in Hamburg schon ewig nicht mehr passiert. Ausgerechnet heute habe er seinen Personalausweis nicht dabei gehabt. Nach einigem Hin und Her und einer Google-Recherche haben ihn die Polizisten gehen lassen.

taz: Herr Abdollahi, waren Sie sauer, dass ausgerechnet Sie rausgepickt wurden?

Michel Abdollahi: Nein, gar nicht. Ich glaube nicht, dass das was mit meinem Äußeren zu tun hatte. Wieso auch, ich mit meinen ordentlichen Schühchen und meinen rosa Socken, ich bin sogar einigermaßen rasiert.

37, geboren in Teheran, siedelte 1986 mit seiner Familie nach Hamburg über. Er studierte Jura und Islamwissenschaft an der Uni Hamburg. Seit 2000 ist er in der Poetry-Slam-Szene aktiv, seit 2005 moderiert Abdollahi die Poetry-Slam-Reihe „Kampf der Künste“. Für seine Straßenaktionen als NDR-Reporter und die Dokumentation „Im Nazidorf“ erhielt er 2015 den Deutschen Fernsehpreis.

Vielleicht folgte Ihre Kontrolle dem Vorurteil, dass nicht deutsch-stämmige Menschen per se verdächtig sind. Haben Sie selbst auch Vorurteile?

Eigentlich habe ich kein klassisches Vorurteil. Vorurteile sind etwas Allgemeines, etwas, dass man auf ganze Gruppen bezieht und nicht auf einzelne Personen. Solche pauschalen Vorurteile habe ich nicht. Da ich immer eines Besseren belehrt wurde, habe ich mir das abtrainiert.

Wie funktioniert das?

Wenn du da stehst, stehst du im Fokus, dann trauen sich die Leute auch, dich zu beleidigen

Das funktioniert ganz gut, wenn man sich einfach sagt: Ich habe keine pauschalen Vorurteile und stattdessen jeden Menschen einzeln beurteilt. Das ist natürlich mehr Arbeit. Vorurteile machen das Leben ja einfacher. Ich persönlich werde aber auch einfach nicht gerne eines Besseren belehrt, dann müsste ich ja mit Argumenten dagegenhalten und das kann bei pauschalen Vorurteilen einfach nicht funktionieren, deshalb habe ich sie mir abtrainiert. Und wahrscheinlich auch, weil ich selbst immer Vorurteilen ausgesetzt war oder immer noch bin.

Welchen?

Dieses generelle Ausländer-Sein. Dass immer eine Gefahr von mir ausgehen könnte, immer angeguckt werden, ob im Flugzeug, im Laden, in der Bahn. Der könnte was Böses machen, der könnte klauen, der spricht vielleicht kein Deutsch, der ist ungebildet, der behandelt Frauen nicht gut, der respektiert unsere Werte und Normen nicht. Das ist ein ganz großer, bunter Blumenstrauß.

Sie haben sich 2015 mit einem Schild „Ich bin Muslim. Was wollen Sie wissen?“ in eine Hamburger Fußgängerzone gestellt. Hilft das, Vorurteile abzubauen?

Ich weiß nicht, ob das hilft. Aber viele Leute finden das gut. Es gab unheimlich viele positive Reaktionen. Das ist überhaupt keine Sache, die ich gerne mache, wirklich nicht. Aber wenn es so viele Leute interessiert, wenn es so viele Leute wichtig finden, wenn es so vielen Leuten Ängste nimmt, dann mache ich das.

Sie machen das nicht gern?

Wenn ich sage, ich mach das nicht gerne, heißt das, ich stehe nicht gerne mit einem Schild draußen auf der Straße, beantworte Fragen und friere. Die Islamschild-Aktion werde ich nicht vergessen. Da waren es tiefe Minusgrade, ich war ein Eiszapfen. Abgesehen davon lasse ich mich auch nicht so gerne von Leuten auf der Straße beschimpfen. Wenn du da stehst, stehst du im Fokus und dann trauen sich die Leute auch, dich zu beleidigen. Es gibt natürlich auch schöne Momente, aber wenn ich abwägen müsste, ich kriege zehn Mega-Komplimente plus eine ganz fiese Beleidigung, würde ich sagen, das möchte ich nicht.

Wieso machen Sie es dann trotzdem?

Für mich ist das ein Dienst an der Gesellschaft. Es ist Aufklärungsarbeit. Ich bekomme so viele Zuschriften von Leuten, die das toll finden. Es ist schön, wenn man Lob und Dank bekommt. Das war mit Jamel genauso. (Für die TV-Reportage „Im Nazidorf“ zog Abdollahi für vier Wochen in eine Blockhütte nach Jamel in Mecklenburg-Vorpommern). Ich campe nicht gerne. Aber wenn es gesellschaftlich relevante Themen gibt und die Leute das wichtig finden, die herauszuarbeiten, dann wiegt das mehr.

Trotz teilweiser wüster Beschimpfungen bleiben Sie stets freundlich und höflich. Wie machen Sie das?

Was soll ich denn machen? Ich habe die Sachen schon so oft gehört, das schockt mich nicht mehr. Mich interessiert es nicht, wenn da wieder einer kommt und sagt: „Na, Ölauge, wie geht’s denn heute so.“ Seit ich ein kleines Kind bin, werde ich mit so was konfrontiert, ich bin da mittlerweile völlig abgestumpft. Abgesehen davon bin ich ein privilegierter Mensch, da ist man dann auch etwas entspannter. Wenn ich mich den ganzen Tag damit beschäftigen würde, dass Leute Vorurteile gegen mich haben, dann hätte ich ein Kackleben.

Ist das nicht ermüdend, immer mit denselben Themen um die Ecke zu kommen, immer wieder sagen zu müssen: „Nicht alle Muslime sind böse“?

Natürlich ist das ermüdend, aber es kommen ja immer wieder neue Leute, und denen muss man es dann wieder erklären. Wenn man eine Veränderung in der Gesellschaft haben will, muss man durch die schwierigen Themen durch. Ich habe Ausdauer.

Sie haben mal von sich selber gesagt, Sie seien ein Super-Vorzeige-Migrant.

Ich bin ein super integrierter Migrant, wie hunderttausend andere auch, aber die anderen stehen eben nicht in der Öffentlichkeit. Aber die Leute müssen gerade für die positiven Dinge sensibilisiert werden. Das nervt mich manchmal auch, dass ich da ständig für kämpfen muss, ich würde viel lieber mehr Schönes machen, wo die Leute sich gern haben, ist aber nicht so.

Wie war es für Sie als Kind, von Teheran nach Hamburg-Eidelstedt überzusiedeln?

In Eidelstedt war es zwar nicht so opulent wie in Teheran, aber Eidelstedt war schön, weil ich da meine Freunde hatte. Mir hat es in meiner Kindheit nie an etwas gefehlt.

Was ist typisch iranisch und was typisch hanseatisch an Ihnen?

Das ist schwer zu erklären. Dass man sich ordentlich zu kleiden hat, wusste ich jedenfalls schon von meinen Eltern. Mein erstes Jackett habe ich schon sehr früh bekommen, weil man eben im Iran schon als Kind auf Hochzeiten geht. Und da trägt man eben Anzug.

Ihnen wird hanseatisches Understatement nachgesagt. Was verstehen Sie selbst darunter?

Sich für seine Leistungen und seine Errungenschaften keine Orden an die Brust pinnen, das ist so ein bisschen das, was ich unter hanseatischem Understatement verstehe; sich in den Dienst einer Sache zu stellen aus Gründen des Privilegiertseins. Das verknüpft sich auch ganz gut mit den iranischen Werten, mit Geboten wie Höflichkeit und Anstand und Respekt vor dem Alter.

Sind Sie noch oft im Iran?

Nein, in den 2000ern als Student war ich oft dort, da hatte ich noch Zeit. Mittlerweile sind auch ein paar Menschen verstorben, die mir wichtig waren und deren Haus immer für mich offen stand. Außerdem habe ich das meiste, was ich im Iran sehen wollte, auch gesehen.

Werden Sie oft nach Rei­setipps gefragt?

Ja, sehr oft. Aber da bin ich eine schlechte Adresse.

Wieso?

Der Iran verändert sich sehr schnell. Teheran ist nicht Hamburg. Da kannst du nicht sagen, den Schanzenbäcker da hinten, den gibt’s schon seit 100 Jahren, geh da mal hin. Da schießt alles aus dem Boden und du erkennst die eine Ecke nicht mehr, in der du schon etliche Male warst. Die Leute wollen ja immer Geheimtipps. Ich mag keine Geheimtipps, man sollte Orte besser selbst erkunden. Ich bin da eher konservativ. Ich fahre meist an dieselben Orte und in dieselben Hotels. Ich bin nicht mehr der große Abenteurer, so mit Rucksack durch die Mongolei und in der Jurte schlafen.

Abenteuern auf der Bühne sind Sie aber nicht abgeneigt.

Ganz im Gegenteil. Ich will meinen Job gut machen. Da mag ich es einfach nicht, wenn man unvorbereitet ist. Ich möchte nicht als der unvorbereitete Depp von der Bühne gehen und die Leute sagen hinterher: „Oh Gott, war das schlecht.“ Ich bin immer zufrieden mit dem, was ich mache, manchmal etwas mehr, manchmal etwas weniger. Wenn man vorbereitet ist, kann man souverän sein. Das Gleiche gilt für die Ehrlichkeit.

Sie sind in Hamburg vermutlich bekannter als Bürgermeister Tschentscher. Passiert es Ihnen trotzdem noch, dass Sie auf der Straße wegen Ihrer Herkunft angefeindet werden?

Nein, in Hamburg passiert mir das nicht. Leute, die mich einfach so auf der Straße ansprechen, sagen oft etwas Positives. Die, die mich beleidigen wollen, schreiben Briefe.

Und die Polizeikontrolle heute?

Das war eine ganz normale Personenkontrolle. Vielleicht sollte man nicht immer annehmen, dass einem die Leute was Böses wollen. Ein bisschen Druck rausnehmen. Das täte uns ganz gut. Das würde entspannen. Und Entspannung brauchen wir in der aktuellen Situation alle.

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