Migration: Filmriss nach der Feier

Der Senat setzt sein gefeiertes Integrationskonzept nicht um - warum, weiß er wohl selbst nicht so genau. Und Fragen dazu will er am liebsten gar nicht beantworten.

Lächelt und schweigt. Berlins Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD). Bild: DPA

Wer setzt eigentlich die politischen Konzepte um, die der Senat beschließt? In Berlin eine offenbar schwer zu beantwortende Frage. 41 Indikatoren zur Messung des Erfolgs seiner integrationspolitischen Maßnahmen legte der Senat 2007 fest. Mehr als ein Viertel dieser Indikatoren wie etwa die Anzahl von LehrerInnen und ErzieherInnen mit Migrationshintergrund oder der Anteil der Eingebürgerten an Berlins Gesamtbevölkerung werden aber bis heute nicht erfasst. Dies geht aus den Antworten der Senatsverwaltung für Integration auf mehrere Kleine Anfragen der Abgeordneten Susanna Kahlefeld von den Grünen hervor (taz berichtete). Plausible Gründe für diese Verzögerung nennt der Senat allerdings nicht.

Es seien komplizierte datenrechtliche Vereinbarungen als Grundlage für die nötigen Abfragen zu erarbeiten, hieß es nun auf Anfrage der taz aus der Senatsverwaltung für Integration. Weitere Nachfragen etwa nach dem aktuellen Stand der Dinge bei dieser Erarbeitung beantwortete die Pressestelle bislang nicht. Und aufschlussreichere Informationen aus dem Amt des Integrationsbeauftragten ließ die Senatorin für Integration, Dilek Kolat, sogar zurückziehen: Die taz darf diese Zitate nicht verwenden. Auch Anfragen an die Senatsverwaltungen für Bildung und Inneres, die etwa als Arbeitgeber öffentlich Beschäftigter in die geplanten Erhebungen involviert sind, blieben bisher ohne Antwort.

Dabei ist es der Pressestelle des Berlin-Brandenburger Landesamts für Statistik zufolge rechtlich eigentlich kein großes Problem, Migrationshintergründe abzufragen – wenn man den Begriff zuvor klar definiere. Daran kann die Umsetzung des Berliner Konzepts eigentlich nicht scheitern.

Denn eine entsprechende Definition hat sich Berlin in seinem Integrationskonzept von 2007 klugerweise gleich mit gegeben. Einen Migrationshintergrund hat demnach, wer Ausländer, Aussiedler oder Eingebürgerter ist oder wessen Vater oder Mutter zu diesen Personengruppen gehört. Eine Begriffsbestimmung, die sich an die des Mikrozensus anlehnt – der längst nach dem Migrationshintergrund fragt und auf dessen Grundlage etwa die Bundesbeauftragte für Migration ihre Berichte schreibt.

Allerdings gebe es datenrechtliche Bedenken dagegen, Beschäftigte im öffentlichen Dienst zu einem eventuellen Migrationshintergrund zu befragen, heißt es aus dem Amt des Berliner Datenschutzbeauftragten. „Wir haben deshalb gefordert, dass eine entsprechende Gesetzesgrundlage im 2010 verabschiedeten Landesgesetz zur Regelung von Partizipation und Integration definiert wird“, so die Pressesprecherin des Datenschutzbeauftragten, Anja-Maria Gardain. Dies sei jedoch nicht geschehen – warum, weiß man beim Datenschutzbeauftragten nicht. Auch der aktuelle Stand der Ausarbeitung entsprechender Rechtsgrundlagen im Senat ist hier nicht bekannt.

Dabei hatte der Senat sich und sein Integrationskonzept 2007 ganz groß gefeiert: 500 Gäste waren zur Präsentation ins Rote Rathaus eingeladen. Und selbst von integrationspolitisch langjährig erfahrenen Vertretern verschiedener Migrantenorganisationen wurde das 150 Seiten starke Papier damals gelobt: Es sei „nicht viel daran auszusetzen“, sagte Safter Cinar, damals Vorsitzender des Türkischen Elternvereins, seinerzeit.

Heute sieht Cinar, mittlerweile Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Berliner Landesbeirat für Integration, das anders: „Der Senat hat sich an sein eigenes Konzept nicht gehalten“, sagt er jetzt. Wenn man dieses weiterhin für sinnvoll halten soll, „muss man sich auch überlegen, wie man das umsetzen kann“, so Cinar. Er erwarte, dass das Thema „auf der nächsten Sitzung des Landesbeirats von der Senatorin eingebracht wird“.

Auch Hakan Tas hat 2007 noch als Mitglied des Landesbeirats das Konzept begrüßt. Nun, als Abgeordneter der Linkspartei seit Beginn der neuen Legislaturperiode im Herbst 2011, übt auch er vorsichtig Kritik: Der Senat habe offenbar seine Hausaufgaben nicht gemacht. Dass damit in den verstrichenen fünf Jahren unter der rot-roten Koalition auch seine eigene Partei gemeint ist, weiß Tas: Im Bereich Integrationspolitik würden eben alle Parteien ihrer Verantwortung nicht ganz gerecht, sagt er. Umso geringer sei die Hoffnung, dass die SPD „da mit ihrem neuen Koalitionspartner weiterkommt.“

Für die Grüne Kahlefeld, die die Versäumnisse des Senats aufgedeckt hat, steht jedenfalls fest, dass der Sinn des Integrationskonzepts mit der Feier 2007 wohl erfüllt war: „Man streicht Lorbeeren ein – und dann vergisst man so ein Konzept.“

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