Mihiretu Kebede aus Äthiopien wird bekocht: „Es ist alles so irritierend flach“

Bei einem „Welcome Dinner“ verbringen Wildfremde einen gemeinsamen Abend und schauen, was passiert. Nun gibt es das auch in Bremen.

Kennen sich nicht, essen aber gemeinsam: Regina Becker, Mihiretu Kebede, Fleur Fritz und Katharina Busch (v.l.). Foto: Merlin Hinkelmann

BREMEN taz | In einer Wohngemeinschaft im Bremer Viertel. Hohe Decken, hier und da fehlt ein Stück Tapete. Erinnert irgendwie an eine typische Studentenbude. Am Ende des langen Flures ist das kleine Esszimmer. Ein heller Raum mit Einbauküche, auf einem Wandregal stapeln sich Teepackungen. Vor dem großen Fenster hängt ein Spruchband. Rote Lettern formen „I love you“. Die Uhr tickt. Eine knappe Stunde hat Katharina Busch noch Zeit. Sie wuselt in der Küche umher, blättert im Kochbuch herum, wendet das Gemüse in der Pfanne. Pilz-Zucchini-Risotto soll es geben. Ihre Idee. Denn heute kocht die 32-Jährige nicht für sich allein.

Gemeinsam mit Regina Becker erwartet sie Besuch zum Essen. Wen? Das wissen die beiden Frauen noch nicht. Sie kennen nur den Namen ihres Besuchers, seinen Beruf – und sie wissen etwas über seine Essgewohnheiten. Aber den Mann selbst, der gleich da sein wird, haben beide noch nie zuvor gesehen.

Busch und Becker sind Mitinitiatoren des „Welcome Dinners“ in Bremen. Das Konzept dahinter ist ganz einfach: Alteingesessene Bewohner laden Geflüchtete oder Zugewanderte zu sich nach Hause ein. Zum Essen. Um sich kennenzulernen.

Diese Idee ist nicht neu. 2014 nahm die Willkommensbewegung in Schweden ihren Anfang. Inzwischen gibt es die Welcome Dinner bereits in vielen deutschen Städten. In Hamburg, Lüneburg, Winsen, Oldenburg oder Hannover. Und seit Mai dieses Jahres eben auch in Bremen.

Die beiden Frauen, die heute zum Welcome Dinner geladen haben, sind Teil eines zehnköpfigen Teams. Rund 15 Dinner haben sie in den wenigen Wochen bereits arrangiert. Auf einer Website können sich Gast und Gastgeber registrieren. Aufgabe der ehrenamtlichen Organisatoren ist es dann, zu „matchen“, wie sie es selbst nennen. Also zu schauen, welcher Gast zu welchem Gastgeber passen könnte und sie dann zusammenzubringen.

Woher kommt die Motivation? „Ich wollte schon lange meinen Teil zur Willkommenskultur beitragen“, sagt Busch. Jetzt hat sie sich diesen Wunsch erfüllt. „Es gehört natürlich viel Vertrauen dazu, einen fremden Menschen zu sich einzuladen“, sagt die 31-jährige Becker. “Das ist ein großer Schritt.“ Und diesen Schritt gehen Katharina Busch und Regina Becker an diesem Abend zum ersten Mal selbst.

Busch stellt ihre WG zur Verfügung, Becker kocht. Bestimmte Erwartungen haben sie nicht. Doch egal, was passiert, sie werden gleich auf jeden Fall einen neuen Menschen kennenlernen – ja, vielleicht sogar eine interessante Lebensgeschichte hören, etwas über eine ihnen noch fremde Kultur erfahren.

2014 nahm die Bewegung in Schweden ihren Anfang. Inzwischen gibt es Welcome Dinners in vielen deutschen Städten. Seit Mai auch in Bremen

Punkt 19 Uhr klingelt es an der Tür und der Gast steht vor ihnen: Mihiretu Kebede, 30 Jahre alt, aus Äthiopien. Vor drei Monaten ist er nach Bremen gekommen, promoviert nun hier an der Universität und arbeitet am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie.

„Als ich gehört habe, dass Mihiretu an der Uni promoviert, musste ich grinsen“, erzählt Regina Becker. Denn: Auch die studierte Soziologin promoviert zurzeit in Bremen. Getroffen haben die beiden sich an der Uni aber noch nie.

Dass die Gäste zueinander passen, darauf achten wir beim Matchen natürlich“, sagt Katharina Busch. Sie arbeitet beim Musikfestival Jazzahead, macht die Öffentlichkeitsarbeit. Ein ähnlicher Job fällt ihr im Organisationsteam des Welcome Dinners zu: Sie wirbt für die Idee des gemeinsamen Abendessens. Dafür gestaltet sie etwa Flyer und geht in Sprachkurse.

Mihiretu Kebede begrüßt seine Gastgeberinnen mit Handschlag, alle setzen sich an den Tisch im kleinen Esszimmer. Kurzer Smalltalk. Hat er gut hergefunden? Kebede spricht fließend Englisch, das macht die Verständigung leicht. „Meine Freundin ist gerade in Bremen, kann sie auch kommen?“, fragt er. „Na klar, ruf sie doch eben an“, sagt Becker und holt noch einen Stuhl. „Je mehr, desto besser.“

Keine fünf Minuten später sitzt Fleur Fritz mit am Tisch. Sie war Gastdozentin an der Uni in Äthiopien und hat dort mit Kebede gemeinsam an einem Projekt gearbeitet.

Zeit für die Vorspeise: Becker tischt Salat auf, mit Fetakäse, Walnüssen und Radieschen. Schmeckt’s? Kebede streckt den Daumen nach oben. „Es schmeckt gut, richtig gut“, sagt er auf Deutsch. Dann runzelt er die Stirn. „Sagt man das so?“ Alle lachen. Deutsch könne er inzwischen etwas besser verstehen. Mit dem Sprechen hapere es aber noch etwas. Auch deswegen ist er heute Abend hier. „I need to talk, talk, talk.“

Neue Kontakte knüpfen und die deutsche Kultur kennenlernen: Das sei sein Ziel. Wenn Leute ihn auf der Straße zum Beispiel nach dem Weg fragen, kann er nur mit den Schultern zucken. Das ärgert ihn. Kebede will deshalb einen Sprachkurs besuchen. Doch das sei nicht so leicht, mal gebe es zu wenig Plätze und mal seien die Kurse zu teuer.

Auch die Wohnungssuche gestaltet sich für ihn „unglaublich schwer“, erzählt er. In Äthiopien hat er bereits angefangen, in Bremen nach einer Unterkunft zu suchen. Ohne Erfolg. „Wir werden nun gemeinsam eine Wohnung suchen“, sagt Fritz, die an der Uni in Münster arbeitet.

20 Uhr: Busch stellt das Risotto auf den Tisch, schenkt Weißwein aus. Themenwechsel. Was ist in Bremen anders als in Äthiopien? „Es ist alles so flach, das irritiert mich“, sagt Kebede. Er ist im nördlichen Äthiopien aufgewachsen, hat in der Hauptstadt Addis Abeba Medizintechnik studiert. Äthiopien ist ein bergiges Land, mit Höhenlagen über 2.000 Meter.

„Wir haben dort viele Berge, an denen habe ich mich immer orientiert. Aber hier“, Kebede dreht den Kopf nach links und nach rechts, „weiß ich nicht, wo Westen oder Osten ist.“ Vermisst er die Berge? Busch blickt ihren Gast fragend an. Er grinst. Er tut es.

Bevor Kebede nach Bremen kam, hat er bereits im schweizerischen Basel studiert. Ob es schwer gewesen sei, dort ein Visum zu bekommen, fragt Busch. „Nein, aber in Deutschland war es ziemlich kompliziert, ich musste viel Schreibkram erledigen“, sagt Kebede. Vom Visa-Verfahren über Fingerabdruckscans zu den Schattenseiten der Digitalisierung: Schnell sprechen sie über Dinge, die auf ihre Art jeden Menschen auf der Welt betreffen.

Als Regina den Nachtisch, einen Schokoladenkuchen, verteilt, sagt Kebede: „Ich bin total satt.“ Dann isst er doch ein Stück. Mit einem Mal wird es sehr leise im Raum. Jetzt spricht nur noch Mihiretu Kebede. Erzählt über die politische Lage in seinem Geburtsland. Wie die Regierungspartei bei der letzten Wahl 100 Prozent der Stimmen geholt hat. Wie machtlos die Opposition ist. Dass politische Gegner verfolgt werden, einfach verschwinden. „They get lost“, so formuliert er es.

Um kurz vor 22 Uhr blickt er nach draußen. Die Abendsonne fällt durchs Fenster. Von Beckers selbst gebackenem Kuchen ist inzwischen nicht mehr viel übrig.

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