Milizenkrieg im Südsudan: Es blieben nur Aschehaufen

Dorfvorsteher Mgoli ergriff mit seinen Polizisten die Flucht, als die Milizen kamen. In seinem ausgebrannten Dorf sind jetzt Bäume das Einzige, was noch steht.

Hat eine tödliche Flucht überlebt: Rückkehrende in Lekongole. Bild: Bettina Rühl

LEKONGOLE/PIBOR taz | Jemand hat Namen in den Ruß gekratzt, der an den Wänden klebt. "Shukat" steht da, und "Dak". "Das sind typische Namen der Lou Nuer", sagt Simon Ali Mgoli. Mgoli trägt einen beigefarbenen Anzug, der an eine Uniform erinnert, und ist Verwaltungschef des Dorfes Lekongole im südsudanesischen Bundesstaat Jonglei. Fast richtiger wäre zu sagen, er war Verwaltungschef - denn das Dorf gibt es nicht mehr. Es wurde am 27. Dezember 2011 überfallen und vollständig niedergebrannt.

Von den Lehmhütten, die hier Tukuls heißen, ist nichts geblieben als runde Flecken grauer Asche auf dem Boden, abgesehen von vereinzelten Resten einer Wand. Nur zwei Gebäude mit festen Mauern gibt es noch, aber sie sind ausgebrannt: die Krankenstation der Ärzte ohne Grenzen und die Schule. Auf die verkohlten Wände der Schule kratzten die Täter die Namen, die Mgoli jetzt vorliest.

Seit Ende Dezember eskaliert im Bundesstaat Jonglei zwischen zwei Ethnien die Gewalt, den Lou Nuer und den Murle. In einem ständigen Kreis von Rache und Vergeltung stehlen sich die Gruppen seit Jahrzehnten gegenseitig die Rinder. Früher kämpften die Hirten mit Speeren, die Zahl der Toten blieb überschaubar. Heute kämpfen sie mit Kalaschnikows oder dem deutschen G3-Gewehr von Heckler & Koch.

Der Freiheitskampf: 22 Jahre lang kämpfte im Südsudan die Befreiungsbewegung SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsarmee) gegen Sudans Regierung, um sich von deren Herrschaft zu lösen. Ein Friedensvertrag 2005 ermöglichte Südsudan die Unabhängigkeit, die im Januar 2011 per Volksabstimmung beschlossen wurde und am 7. Juli 2011 in Kraft trat.

Der junge Staat: Südsudan ist mit 9 Millionen Einwohnern auf 620.000 Quadratkilometern einer der ärmsten Staaten der Welt, in dem alle Infrastruktur außerhalb der Hauptstadt Juba erst noch entstehen muss. Zudem ist das Land hochgradig militarisiert und vom jahrzehntelangen Krieg mit Millionen von Toten und Flüchtlingen sozial weitgehend zerstört.

Der neue Krieg: Die jüngsten Milizenkriege in den Provinzen Jonglei und Warrap haben international zu Besorgnis geführt. Am Mittwoch brach die UN-Untergeneralsekretärin für humanitäre Angelegenheiten, Valerie Amos, zu einer Reise nach Jonglei auf. (dj)

Durch den jahrzehntelangen Bürgerkrieg im Südsudan sind modernste Waffen weit verbreitet. Bei der bis dahin letzten Angriffswelle vom August 2011 waren die Murle die Angreifer, dann rächten sich die Lou Nuer. Nach UN-Angaben wurden seit Weihnachten mehr als 3.000 Menschen getötet, zumeist Frauen und Kinder; viele hundert wurden verletzt, einige zehntausend vertrieben. Und immer weitere Tote kommen dazu.

"Die Politiker schüren die Kämpfe"

"Früher hat niemand die Frauen getötet", sagt Mgoli. "Die Bewaffneten kamen gar nicht in die Dörfer, die Kämpfe fanden draußen bei den Herden statt." Diesmal vernichteten die Angreifer ganze Dörfer und attackierten gezielt auch Helfer, vor allem die Stationen der Ärzte ohne Grenzen. Außer der Krankenstation in Lekongole griffen sie eine in einem anderen Dorf an, das Krankenhaus in Pibor, und dort auch das Grundstück der Hilfsorganisation InterSOS.

Das Krankenhaus in Pibor, das einzige für 160.000 Menschen, ist heute verwüstet. Die Helfer sind immer noch dabei, alles wieder in Ordnung zu bringen. "So brutal wie in diesem Jahr waren die Kämpfe noch nie", sagt Mgoli. "Hier geht es nicht um Vieh, hier geht es um Politik. Die Politiker schüren die Kämpfe."

Viele Südsudanesen sind davon überzeugt, dass der Konflikt in Wahrheit ein Stellvertreterkrieg ist. Doch wer aus welchen Gründen welche Miliz bewaffnet, darüber gibt es so viele Versionen wie Konfliktparteien. In der jungen südsudanesischen Regierung kämpfen hinter den Kulissen mehrere Fraktionen um die Macht. Tribalismus und Nepotismus sind weit verbreitet. Die ethnischen Spannungen gefährden den Zusammenhalt des Staates.

Auch Sudan soll noch bewaffnete Gruppen im Süden ausrüsten, die die Autorität der südsudanesischen Regierung schwächen. Mgoli trägt noch ein Argument vor, warum es hier nicht nur um Rinder geht. "Die Lou Nuer, die uns angegriffen haben, hatten modernste Waffen und Satellitentelefone."

Vier Gewehre, drei Speere

Als die Bevölkerung von Lekongole floh, blieb Mgoli zurück. Er wollte die Angreifer sehen, "damit ich meinem Vorgesetzten vernünftig Bericht erstatten kann". Am Fluss sah er, wie sie näherkamen. "Sie waren aufgestellt wie eine Armee und bestimmt 600 Mann stark", erinnert er sich. An seiner Seite hatte er sieben Polizisten mit vier Kalaschnikows und drei Speeren. Nach einem Blick auf die Angreifer ergriff Mgoli mit seinen Leuten die Flucht. "Da haben sie einen der Polizisten von hinten erschossen."

Verwaltungschef des einstigen Dorfes: Simon Ali Mgoli. Bild: Bettina Rühl

Mgoli sitzt jetzt im Schatten der ausgebrannten Schule und holt aus seiner Anzugtasche einige Blätter, sauber mit Computer geschrieben und ausgedruckt. Darauf hat er die Zahl der Toten aus Lekongole notiert: 662 Frauen und Kinder, 191 Männer. "Sie wurden erschossen, als sie schon auf der Flucht waren, zu Fuß unterwegs nach Pibor." Außerdem seien 162 Kinder und 80 Frauen entführt und 18.527 Rinder gestohlen worden.

Jetzt erst, Wochen nach dem Überfall, kommen erste Geflüchtete zurück. In Gruppen sitzen sie im Schatten der Bäume - das Einzige, was hier noch steht. Eine Frau sitzt etwas abseits auf dem Boden und ist bis auf die Knochen abgemagert. Sie mag um die 40 sein und will reden. "Ich habe 19 Menschen aus meiner Familie verloren", sagt sie. "Alle wurden auf der Flucht nach Pibor erschossen" - die Tochter mit ihren Kindern, eine Schwägerin mit ihren Kindern, ihre Mutter, einige Brüder und Schwestern. Die Frau hat nur eine Erklärung: "Die Lou Nuer wollen uns alle vernichten. Wer Frauen und Kinder tötet, will den Baum mit den Wurzeln ausreißen."

Vor ein paar Tagen ist sie nach Lekongole zurückgekommen, obwohl sie überzeugt ist, dass die Angreifer wiederkommen. "Aber es ist mir egal, wenn sie mich töten. Dann bin ich wenigstens wieder mit meiner Familie zusammen." Und wenn nicht, sei das auch egal. "Dann lebe ich eben weiter, hoffnungslos, wie ich bin."

Die anderen Rückkehrer ergreifen jede Chance. Sie gehen zu den Hilfsorganisationen, die Nahrung und Haushaltsgegenstände verteilen: Moskitonetze, Wasserkanister, Töpfe. Einige unter den Bäumen haben Kanister mit Speiseöl oder Getreidesäcke neben sich liegen. Das UN-Welternährungsprogramm WFP hat angekündigt, seine Hilfe aufzustocken, um 80.000 Betroffene zu erreichen.

Doch es ist nicht einfach, die Betroffenen zu finden. "Viele verstecken sich immer noch im Busch", erzählt Karel Janssens von Ärzte ohne Grenzen, "sie haben Angst vor weiteren Angriffen." Seine Mitarbeiter fahren fast täglich von Pibor nach Lekongole. "Noch immer kommen praktisch täglich Patienten mit Schussverletzungen an. Wir behandeln sie in unserer ausgebrannten Station."

Ein Monat verwundet im Busch

Kürzlich nahm das Team einen 40-Jährigen mit nach Pibor, dessen Schusswunde am Bein lange unbehandelt geblieben war. Ehe ihn jemand fand, lag er fast einen Monat lang schwer verletzt im Busch. Jetzt sitzt er mit gesenktem Kopf auf seinem Bett im Krankenhaus in Pibor - die Zimmer sind wieder instandgesetzt. Schlimmer noch als seine Verletzung scheint ihn der Verlust seiner Rinder zu schmerzen. Zehn Tiere haben sie ihm abgejagt, jetzt hat er keines mehr. Wie er dasitzt, wirkt er wie ein geschlagener Mann. Er wolle nie wieder Rinder haben, sondern lieber lernen, wie man Felder bestellt, meint er.

Einige seiner Zimmernachbarn sind zum Reden zu schwach oder noch nicht in der Lage, über ihre Erlebnisse zu sprechen. Sie sitzen oder liegen auf ihren Betten und starren an die Wand. Einer ist dann doch zum Erzählen bereit. Sein linkes Bein ist komplett bandagiert. "Ich hatte hundert Rinder", sagt er. "Ich habe gegen die Viehdiebe gekämpft. Aber ich war praktisch unbewaffnet, deshalb konnten sie mir die ganze Herde stehlen."

Als Waffe hatte er immerhin ein deutsches G3-Gewehr. Für ihn und für viele anderen Menschen in der Region gelten G3 und Kalaschnikow fast als Kinderspielzeug, so selbstverständlich ist der Umgang damit. Doch jetzt wolle er mit damit nichts mehr zu tun haben und stattdessen Bauer werden, sagt er. Das könnte auch für viele andere eine Zukunft sein.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.