Minderheitsregierung in Thüringen: Für Experimente ist es zu ernst

Nach der Wahl wird über eine Minderheitsregierung in Thüringen sinniert. Das ist gefährlich: Wer das Parlament stärkt, stärkt die AfD gleich mit.

Bodo-Ramelow sitzt im Thüringer Landtag

Minderheitsregierung – für Bodo Ramelow der sanfte Zwang zum Kompromiss Foto: Jacob Schröter/imago

Nach der Landtagswahl in Thüringen strebt Ministerpräsident Bodo Ramelow eine Minderheitsregierung an. Ein solches Modell würde bedeuten, dass seine Regierung auch ohne Mehrheit im Parlament weiterregieren würde. Für die Umsetzung von Gesetzesvorhaben wäre sie auf Stimmen von CDU oder FDP angewiesen, die sie sich entweder für jedes Vorhaben einzeln suchen müsste oder durch entsprechende Vereinbarungen permanent absichern könnte.

Minderheitsregierungen verheißen Demokratisierung und Stärkung des Parlaments. Im Bundestag gab es beispielsweise lange Zeit rechnerisch eine Mehrheit von SPD, Linken und Grünen, doch die SPD koalierte als Juniorpartner in einer Großen Koalition. Das führte zu der paradoxen Situation, dass es für viele Reformprojekte (wie etwa eine Bürgerversicherung oder eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes) eine theoretische parlamentarische Mehrheit gab, diese aber nie real zustande kam, weil die SPD an die Koalition mit der CDU gebunden war.

Man traut sich kaum vorzustellen, was mit einer Merkel-Minderheitsregierung und einer rot-rot-grünen Mehrheit im Parlament alles möglich gewesen wäre. Das Parlament entscheidet ganz ohne Koalitionszwang: In normalen Zeiten eine fabelhafte, verlockende Vision, womöglich gar ein Fest der parlamentarischen Demokratie.

Doch die Zeiten sind nicht normal, insbesondere in Thüringen nicht. Denn dort sitzt die AfD als zweitstärkste Kraft im Parlament. Wer in einer solchen Situation durch eine Minderheitsregierung das Parlament stärkt, stärkt die AfD gleich mit. Eine Minderheitsregierung gäbe dem Rechtsextremen Björn Höcke und seinen demokratiefeindlichen Kameraden reale politische Macht. Selbst dann, wenn man diese nicht um Stimmen für rot-rot-grüne Gesetzesvorhaben bitten würde.

Wackliges Mandat

Gerne wird in Diskus­sionen um Minderheitsregierungen auf skandinavische Länder rekurriert; dort sind solche Regierungen nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Ramelow selbst etwa verweist auf Dänemark. Doch die aktuelle sozialdemokratische Regierung in Dänemark wird von linken, linksliberalen und grünen ­Parteien toleriert. Es gibt dort eine parlamentarische ­Mehrheit links der Mitte. Das ist in Thüringen nicht der Fall. Dort hätten AfD, CDU und FDP eine Mehrheit gegen Rot-Rot-Grün.

Zwar könnte eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung Dinge beschließen, die unbedingt notwendig sind. Wenn es um Unverzichtbares wie Rundfunkstaatsverträge, Maßnahmen gegen den Mangel an Lehrkräften und dergleichen geht, könnte man CDU und FDP wohl Verantwortung abringen. Doch wirklich gestalten könnte eine solche Regierung kaum noch, während der Ministerpräsident mit seinem wackligen Mandat auf Bundesebene weniger für sein Land rausholen könnte.

„Den sanften Zwang zum Kompromiss“ nennt Ramelow das im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Einen Haushalt für das nächste Jahr hat man vorsorglich ohnehin schon beschlossen, man könnte also wohl eine Weile weitermachen. Doch nicht nur die Regierung kann Gesetzesvorhaben einbringen, sondern auch die anderen Parteien.

Das Chaos stärkt die AfD

Und diese machen ihre Initiativen nicht davon abhängig, wer ihnen zustimmen könnte. Brächte die CDU einen Antrag ein – etwa zu Abschieberegelungen oder zu Themen der inneren Sicherheit –, wäre es denkbar, dass FDP und AfD zustimmen. In dem Fall müsste die Regierung Ramelow sich zwei unangenehmen Optionen stellen: Entweder sie setzt die tendenziell rechte Politik gemäß Parlamentsbeschluss um oder sie missachtet die Demokratie.

Das ist das zwangsläufige Dilemma einer möglichen rot-rot-grünen Minderheitsregierung. Für beide Optionen wurden die drei Parteien nicht gewählt. Genau genommen wurde Rot-Rot-Grün gar nicht gewählt, sondern abgewählt. Dieser Wahrheit muss man sich stellen. Das Ablaufdatum eines Minderheitsmodells wäre daher auch ungewiss. CDU und FDP könnten schon die nächsten Haushaltsverhandlungen zum Anlass nehmen, Ramelow zu stürzen und Neuwahlen zu provozieren.

Aus dem folgenden Chaos könnte die AfD gestärkt hervorgehen, schließlich wären es die verhassten Etablierten, die nichts auf die Kette kriegten. Die Situation in Thüringen ist zu ernst für demokratiepolitische Experimente, die die AfD nicht nur unmittelbar, sondern womöglich auch langfristig stärken würden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.