Ministerpräsident Weil will Jobs retten: Großbrand trifft Mitarbeiter

Nach der Zerstörung seines Wiesenhof-Schlachthofs im niedersächsischen Lohne will der Hühnerbaron Wesjohann seine Beschäftigten gern loswerden.

Bei Wiesenhof ist ein Teil der Belegschaft über Werkverträge beschäftigt: Diese Jobs sind nach dem Brand des Schlachthofs besonders gefährdet Foto: Jens Wolf/ dpa

HANNOVER taz | Nach dem Großbrand im Wiesenhof-Schlachthof im niedersächsischen Lohne wollen die Gewerkschaften um jeden Arbeitsplatz kämpfen. „Beschäftigung vor Entlassung! Das ist die Devise, nach der wir jetzt vorgehen“, so Matthias Brümmer, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) in der Region Oldenburg/Ostfriesland, zur taz. Zuvor hatte eine Unternehmenssprecherin mitgeteilt, dass Wiesenhof „aufgrund des Produktionsausfalls einen Teil seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorerst leider nicht weiterbeschäftigen“ könne.

Wiesenhof gehört zur PHW-Gruppe des Hühnerbarons Paul-Heinz Wesjohann. Der Konzern schlachtet pro Woche insgesamt 4,5 Millionen Hühnchen und gehört damit zu den größten Unternehmen der deutschen Lebensmittelindustrie. In den vergangenen Jahren stand PHW immer wieder wegen Verstößen gegen Tierschutzrichtlinien und der Verletzung von Hygienevorschriften in der Kritik – von überzüchteten Hühnern, die am Ende der Mast kaum noch laufen und damit weder Futter noch Wasser erreichen konnten, wurde ebenso berichtet wie von schwächelnden Tieren, die lebend in Müllcontainer geschleudert wurden. Im Geschäftsjahr 2014/15 setzte die PHW-Gruppe insgesamt knapp 2,4 Milliarden Euro um.

Möglich wird dieser Umsatz auch durch miese Arbeitsbedingungen: Ein Teil der ArbeiterInnen in den Schlachthöfen stammt aus Osteuropa und wird über Werkverträge (siehe Kasten) beschäftigt. „Die Gefahr, dass diese Kolleginnen und Kollegen nach dem Brand ohne ein Dach über dem Kopf dastehen, ist riesengroß“, sagt Gewerkschafter Brümmer – schließlich sind Arbeit und Unterbringung bei Werkvertrags-Beschäftigten oft aneinander gekoppelt.

Erst im Dezember hatte NGG-Mann Brümmer, der selbst zehn Jahre in der Fleischindustrie gearbeitet hat, im taz-Interview über diese Ausbeutung in Deutschlands Schlachthöfen geklagt: Manche Subunternehmer berechneten den Osteuropäern, die oft kaum Deutsch sprechen, „170 bis 300 Euro im Monat für ein Bett in irgendeiner heruntergekommen Bude“. Um den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro würden sie oft betrogen: Teile der Branche arbeiteten mit gefälschten Arbeitszeitnachweisen. Selbst für die Überlassung des Fleischermessers werde oft Miete fällig – das sogenannte „Messergeld“.

Gewerkschafter schätzen, dass in Deutschlands Schlachthöfen bis zu 80 Prozent der Mitarbeiter prekär beschäftigt sind.

Besonders schlecht ist die Situation von Werkvertrags-Beschäftigten. Sie sind oft Angestellte eines osteuropäischen Subunternehmens, das im Auftrag des deutschen Schlachthofs ein bestimmtes „Werk“ vollbringt – etwa das Abschneiden der Schweineohren.

Vor Kündigung sind Werkvertrags-Beschäftigte kaum geschützt. Das deutsche Sozial- und Arbeitsrecht gilt für sie nicht.

Leiharbeiter sind bei deutschen Zeitarbeitsfirmen angestellt, stehen unter arbeitsrechtlichem Schutz – werden aber mies bezahlt. In der Fleischindustrie erhalten sie etwa 9,20 Euro brutto pro Stunde, Festangestellte bis 14, Werkverträgler 8,50 Euro.

Von Arbeitslosigkeit bedroht sind in Lohne aber nicht nur die 450 Leiharbeiter und Werkvertrags-Beschäftigten – Niedersachsens SPD-Landesminister Olaf Lies sorgt sich auch um die 750 Festangestellten. Der Schlachthof zwischen Bremen und Osnabrück sei „richtig kaputt“, sagte sein Sprecher Stefan Wittke am Mittwoch vor JournalistInnen der Landespressekonferenz in Hannover. Ihnen könne die Bundesagentur für Arbeit mit Qualifizierungs- und Kurzarbeitergeld helfen.

Gewerkschafter Brümmer setzt dagegen auf eine Betriebsausfall-Versicherung – die müsste nach dem Brand auch die Löhne der Beschäftigten übernehmen. Außerdem erwarte er, dass der Konzern MitarbeiterInnen Arbeit an anderen Standorten, etwa im niedersächsischen Wildeshausen oder Holte, anbiete. Des Weiteren sei die NGG bereit, über Arbeitszeitreduzierungen und flexible Urlaubsregelungen zu verhandeln. Diese gelten aber nur für die Stammbelegschaft – Werkvertrags-Beschäftigten muss PHW nicht einmal kündigen.

Vor allem sie müssen deshalb mit einem Rauswurf rechnen: Nachdem im Februar 2015 im bayerischen Bogen schon einmal ein „Wiesenhof“-Schlachthof abgebrannt ist, behielten nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung dort mehr als die Hälfte der Festangestellten, aber nur rund 35 Prozent der prekär Beschäftigten ihren Job. Auch Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) will sich deshalb für die Wiesenhof-MitarbeiterInnen einsetzen: In der nächsten Woche ist ein Treffen mit den Firmenchefs Paul-Heinz Wesjohann und seinem Sohn Peter geplant. Einzelheiten stehen aber noch nicht fest.

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