Misstrauensvotum gegen Wikimedia-Vorstand: Konzern oder Community?

Stress in Wikiland. Der Vorstand von Wikimedia Deutschland steht in der Kritik. Auslöser ist die Gründung einer Tochtergesellschaft für die Spendenverwaltung.

Spenden sind ein wichtiges Thema: WikiMedium, die Vereinszeitung von Wikimedia Deutschland. Bild: ausriss wikimedium

Kaum sind die Feierlichkeiten zum zehnten Geburtstag der Wikipedia abgeklungen, stehen beim Verein Wikimedia Deutschland weniger erfreuliche Angelegenheiten auf der Tagesordnung. Am Samstag muss sich der Vorstand des gemeinnützigen Vereins einem Misstrauensvotum stellen. Der Vorwurf: Wikimedia habe sich von seiner Basis entfernt, gleiche immer mehr einem Konzern als einer lebendigen Community.

Kern des Streits: der Vereinsvorstand hatte im September die Gründung einer Tochtergesellschaft beschlossen, die seither die Spendengelder verwaltet, mit denen sich das Freiwilligen-Projekt finanziert. "Die Ausgründung einer weiteren Körperschaft aus einem Verein ist eine wesentliche Entscheidung, die – unserer Meinung nach – nicht ohne Einbindung der Mitglieder hätte erfolgen dürfen", erklärt Vereins-Mitglied René Schwarz.

Er war schon länger mit dem Gebahren der Geschäftsstelle des Vereins in Berlin unzufrieden, nun verlangte er Konsequenzen: Auf einer eigens eingerichteten Webseite sammelte er Unterschriften, um eine Außerordentliche Mitgliedsversammlung einzuberufen – und hatte letztlich Erfolg.

Der Vorstand sieht sich zu unrecht attackiert: "Wir wissen, dass die Art und Weise, wie wir kommunizieren, nicht perfekt ist und dass sie ständig verbessert werden muss", heißt es in der Stellungnahme des ehrenamtlich arbeitenden Vorstands: "Daraus allerdings zu einem Widerruf der Vorstandsbestellung aufzurufen, halten wir für ein Signal, das die Zukunft des Vereins und vor allem die zukünftige Besetzung ehrenamtlicher Gremien nachhaltig gefährden kann".

Pavel Richter, Geschäftsführer der Geschäftsstelle von Wikimedia in Deutschland betont, dass nicht die Gründung der Fördergesellschaft selbst kritisiert wird, sondern nur das Kommunikationsverhalten des Vereins. Die Einbindung der Mitglieder sei aber nicht notwendig gewesen: "Es handelt es sich nicht um eine wirkliche strukturelle Änderung, sondern um eine verwaltungstechnische Konstruktion", erklärt Richter.

Greenpeace für freie Daten

Hintergrund: Wikimedia Deutschland vertritt Wikipedia und deren Schwesterprojekte in Deutschland nach außen, ist aber rechtlich nicht für den Betrieb der Online-Enzyklopädie verantwortlich. In der Vergangenheit hatte der Verein die globale Wikipedia-Bewegung zum Beispiel mit der Organisation von Konferenzen oder mit dem Aufbau einer Server-Farm in Amsterdam unterstützt. Seit 2007 leitet die Kanadierin Sue Gardner die US-Stiftung und begann die vorher chaotische Organisation in eine schlagkräftige Bewegung, eine Art Greenpeace für freie Daten zu verwandeln.

Derzeit steht zum Beispiel der Aufbau eines Wikimedia-Büros in Indien auf der Agenda – das Wissen, das bisher vorwiegend in industrialisierten Ländern gesammelt wurde, soll nun auch weniger entwickelten Ländern zu Gute kommen. Solche Projekte verlangen jedoch eine zuverlässige Finanzierung. Mit informellen Absprachen und transatlantischer Projektarbeit wollte sich die US-Stiftung daher nicht mehr zufrieden geben.

Es geht um viel Geld: 12 Millionen Euro spendeten Wikipedia-Fans bei der letzten Sammlung, allein zwei Millionen davon kamen aus Deutschland. Die neu gegründeten Fördergesellschaft organisiert die Kampagne in Deutschland und rechnet die Spenden ab – die Einnahmen fließen zur Hälfte in die Geschäftsstelle in Berlin und in die Wikimedia-Zentrale in San Francisco.

Auch René Schwarz übt keine direkte Kritik an der nun gefundenen Regelung, dennoch will er den Vorstand für das unabgestimmte Vorgehen abgestrafen. Folgen hat das kaum: Selbst wenn der Vorstand die Abstimmung verliert, wird er bis zur nächsten regulären Mitgliederversammlung im Amt bleiben – dort steht sowieso eine neue Wahl an.

Abstimmung über Vereinsstruktur

Doch nicht nur das Misstrauensvotum steht am Samstag zur Abstimmung, die angereisten Mitglieder sollen auch über eine neue Vereinsstruktur entscheiden. Der bisherige Vorstand wird demnach in ein Präsidium ausgelagert, der Vorstand soll in Zukunft von hauptamtlichen Mitarbeitern gebildet werden.

Auch hiergegen hat Schwarz Vorbehalte: "Der Satzungsentwurf stellt in meinen Augen einen riesigen Schritt in die falsche Richtung dar: Er schafft Strukturen, die über Jahre hinweg den Verein nachhaltig dahingehend verändern werden, dass er einem Konzern und keiner Community mehr gleicht." Stattdessen schwebt Schwarz ein basisdemokratischeres Modell vor: "Ein Verein, der eine Community fördern soll, kann auch nur von einer Community und nicht von einem 'Aufsichtsrat', Geschäftsführer oder einem Präsidium geführt werden."

Problem dabei: Schon mit der bestehenden Community der Wikipedia-Autoren hat der Verein schwer zu kämpfen. Als es in der deutschsprachigen Wikipedia Ende 2009 wegen der zum Teil rigiden Löschpolitik Streit gabe, hagelte es Kritik an Wikimedia Deutschland – obwohl der Verein mit den Löschentscheidungen nichts zu tun hatte. Mehr tun, als das Geschehen zu erklären, konnte Pavel Richter nicht.

Die Online-Community der Wikipedianer verbietet sich jede Einmischung von außen – auch von Wikimedia. Jede Veränderung muss über Monate angekündigt, diskutiert und abgesegnet werden. Das musste zuletzt auch Wikipedia-Gründer Jimmy Wales feststellen: als er 2010 einige hundert vermeintlich anstößiger Bilder löschen ließ, sorgte er für einen Aufstand unter den Wikipedianern und musste schließlich einige Kompetenzen abgeben.

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