Mit Plakaten gegen Frauenhass: Wände voller Wut
Mit Plakatieraktionen trägt die Gruppe „Feministische Plakate Berlin“ politische Botschaften in den Stadtraum – und erhält dafür nicht nur Zuspruch.
Bei Einbruch der Dunkelheit ziehen die Kollektivmitglieder durch die Straßen. In ihren Taschen haben sie Pinsel und Plakate, dazu Eimer voller Klebstoff. Sie halten vor einer Mauer an der U-Bahn-Station Eberswalder Straße und bekleben sie mit weißen Blättern: „Ni una menos“ (Nicht einige weniger) steht darauf in schwarzen und violetten Buchstaben. Um den Slogan aus der argentinischen Feminismusbewegung herum kleben sie die Namen der Frauen, die in Berlin zuletzt Opfer von Femiziden geworden sind. Am Fuß der Wand stehen rote Kerzen aufgereiht.
Das Denkmal haben die Aktivist:innen nach den Demonstrationen zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen errichtet. Kurz zuvor, am Trans Day of Remembrance, hatten die Aktivist:innen queerfreundliche Plakate an Wänden auf der Sonnenallee aufgehängt. In zahlreichen Ecken Berlins hängen die über Nacht aufgeklebten Blätter der „Feministischen Plakate Berlin“.
Seit 2019 bringen die Kollektivmitglieder nach Sonnenuntergang ihre Botschaften und ihre Wut an die Wände der Stadt. Ihr Engagement definieren sie als „intersektional; das heißt pro-palästinensisch, antirassistisch, antiqueerphob, antiklassistisch, antiimperialistisch und antikolonialistisch“, listet Charlie, ein Kollektivmitglied, auf. Sie kleben für Studierendendemonstrationen in Serbien, für Frauen in der Türkei, zum Gedenken an das Massaker von Hanau, gegen die israelischen Bombardierungen im Gazastreifen, gegen die Kommerzialisierung der Pride sowie gegen sexualisierte Gewalt.
Mittlerweile sind etwa 50 Mitglieder in der Gruppe aktiv. Sie treffen sich regelmäßig in kleineren Gruppen, um gemeinsam Plakate aufzuhängen. Was treibt sie an? „Ich wollte meine Wut und meine Energie nutzen, um die Straßen und den öffentlichen Raum zurückzuerobern. Ich wollte diesen Hass nutzen, um etwas zu bewegen“, sagt Charlie. „Doch alle Männer“, „Trans lives over cis comfort“ oder „Merz, dein Stadtbild braucht mehr Farbe“ lauten einige ihrer Slogans. Manchmal plakatieren sie in ihren Collagen auch Statistiken zu sexualisierter Gewalt, um darauf aufmerksam zu machen.
Plakate als Zeichen der Solidarität
„Die Punkte, die wir ansprechen, sind unglaublich basic“, sagt Freddy. Die Person ist seit zwei Jahren mit dem Kollektiv auf den Straßen unterwegs. „Auf die Straße zu gehen, ist auf jeden Fall euphorisierend“, sagt Freddy. „Das Plakatieren ist für uns wie ein Katalysator für die uns alle verletzenden politischen Entscheidungen, die wir damit auf die Straßen tragen.“ Die Plakate sollen Menschen, die Gewalt erleben, zeigen, dass sie nicht allein sind. „Es geht darum, füreinander einzustehen, selbst wenn wir uns nicht persönlich kennen“, sagt Freddy.
Damit wollen sie tabuisierte Gesellschaftsthemen aufgreifen, marginalisierte Menschen schützen und ein Spiegel dessen sein, was hinausgetragen werden soll – auf eine Art und Weise, die viele Menschen wahrnehmen können. „Wir wissen nicht, wer es liest. Es ist nicht algorithmusgebunden, sondern einfach Teil der Öffentlichkeit“, sagt Freddy.
Bei dem Slogan „Gender is a Social Construct“ (Geschlecht ist gesellschaftlich konstruiert) an der Ecke Blumenthalstraße/Kurfürstenstraße haben die feministischen Wildplakatierer*innen sogar Erklärblätter in verschiedenen Sprachen angebracht. „Es ist uns nicht nur wichtig, das auf die Straße zu bringen, sondern auch, bei erklärungsbedürftigeren Slogans dieses Verständnis bei den Leuten herzustellen“, erklärt Freddy.
Die Aktionsorte wählt die Gruppe auch je nach bevorstehenden konservativen Demonstrationen oder Veranstaltungen und nach ihrer Reichweite in den Stadtteilen aus. „Wir würden beispielsweise keine Anti-AfD-Plakate in Neukölln oder an Orten kleben, die bereits links engagiert sind“, erklärt Charlie. „Wir wählen Orte aus, die mit den Botschaften in Verbindung stehen, soweit es unsere Sicherheit und unsere Kenntnis des Stadtteils ermöglichen.“
Bewegung kommt aus Paris
Mit der Idee sind sie nicht die ersten: 2016 plakatierte die Gruppe Insomnia Riot in Paris im Rahmen der lateinamerikanischen Bewegung Ni una menos gegen Femizide die Namen und Opferzahlen von Femiziden an Bushaltestellen. Die ersten Plakate mit schwarzen Buchstaben auf A4-Blättern hat im Frühjahr 2019 die transfeindliche Aktivistin Marguerite Stern in Marseille und Paris geklebt.
Um diese Plakate herum gründete sich die Gruppe Collages Féminicides Paris, die Vornamen von Femizid-Opfern an die Wände der französischen Hauptstadt klebte sowie Dankeschöns an starke Persönlichkeiten der #MeToo-Bewegung. Innerhalb eines Jahres entstanden Wildplakatier-Kollektive im ganzen Land – und weltweit in Hauptstädten. Schnell distanzierten sie sich von Stern, um sich den Kämpfen der queeren und antirassistischen Bewegungen anzuschließen. In Deutschland bildeten sich Gruppen unter anderem in Stuttgart, Köln, München und Berlin.
Für das Wildplakatieren drohen ihnen in Berlin bis zu 7.500 Euro Geldstrafe plus Reinigungskosten. Wird das Bekleben – etwa von Bushaltestellen oder Stromkästen – als Sachbeschädigung gewertet, kann es auch eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren geben. Mit der Polizei hatte die Gruppe noch nie Probleme, auch wenn während ihrer Aktionen bereits Nachbarn die Polizei riefen, wie die Aktivist:innen berichten.
Aktionen stoßen auf Widerstand
Sie seien während ihrer Aktionen auch schon gefilmt und beleidigt worden. Einmal habe ein Anwohner sogar ein Ei nach ihnen geworfen, erzählt Charlie. „Vor lauter Adrenalin haben wir das gar nicht sofort bemerkt. Die Person muss gedacht haben, dass wir das Gebäude beschädigen. Aber das war trotzdem kein Grund, uns anzugreifen.“
Nicht selten würden die Plakate auch zerrissen, manchmal sogar in der Nacht, in der sie angehängt werden. „Wenn wir noch in der Gegend sind, kleben wir sie neu auf“, erzählt Freddy. Andere, etwa der Slogan „Gender is a Social Construct“, halten sich seit über einem Jahr in Schöneberg. Immer wieder hätten andere Menschen die Schilder bemalt, die Blätter wurden wieder angebracht. „Dass dieser Schriftzug so erhalten bleibt und dass da aktiv Arbeit reingesteckt wird von Leuten, von denen wir nicht wissen, wer sie überhaupt sind, das ist für uns das Schönste gewesen“, sagt Freddy. Manchmal würden sie beklatscht oder von Passant:innen ermutigt. „Es sind so kleine Momente, die uns viel geben“, sagt Freddy.
Nach zwei Tagen sind die Buchstaben „Ni una menos“ und die vielen Frauenvornamen an den Wänden unter der U-Bahn-Station Eberswalder Straße nicht mehr zu sehen. Die weiße Wand steht intakt da. An der Stelle des Slogans hängt nun ein kleines Schild der Sasse Traffic Logistic GmbH. „Achtung, frisch gestrichen!“
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