Mittendrin-Mitgründerin David über Nachrichtenblogs: „Hintergrund wird mehr gelesen“

Als die Polizei Anfang 2014 ihr größtes Gefahrengebiet ausrief, war „Hamburg Mittendrin“ zur Stelle. Heute ist der Blog beinahe eingeschlafen.

„Ich bin Politikwissenschaftlerin und Demokratin, auch wenn ich viele Zustände ungeil finde“: Isabella David. Foto: Foto: Miguel Ferraz

taz: Frau David, auf „Hamburg Mittendrin“ ist sehr viel weniger los ist als noch vor einem Jahr. Warum?

Isabella David: Wir sind ein kleines Team und arbeiten alle noch nebenbei, um unsere Mieten und unsere Büromiete zu bezahlen. Das ist leider so, wir wünschen uns aber auch, dass das wieder anders wird. Nur leider haben wir noch nicht den Goldschatz gefunden ...

Es liegt also nicht am fehlenden Bedarf?

Wir haben einen hohen idealistischen Anspruch und irgendwann muss man sich fragen: Wie weit bin ich bereit, mich für eine Sache aufzuopfern? Denn es ist ja eine von vielen Sachen, die wir alle so machen. Die Wahrheit ist einfach: Es fehlt das Geld. Jeden Cent, den ich nicht bei uns verdiene, muss ich woanders verdienen. Und da bleibt natürlich einiges auf der Strecke.

26, ist Mitbegründerin und Chefredakteurin des Online-Nachrichtenmagazins Hamburg Mittendrin. Sie studiert Politikwissenschaften.

Sie haben das Projekt auch ohne Geld angefangen.

Es war nie das Ziel, es war nie der Gedanke, überhaupt einen Cent zu verdienen. Aber dann ist das Projekt größer geworden und hat jetzt auch den Anspruch an eine gewisse Professionalität. Und wenn man multimediale Inhalte haben will, muss man die Leute auch bezahlen. Aber das ist ja die Challenge, vor der wir alle stehen: Wie kann ich das alles finanzieren? Ich will damit nicht reich werden, aber ich muss meine Leute bezahlen.

Funktioniert hyperlokaler Journalismus nicht immer nur durch Selbstausbeutung?

Klar. Aber wir versuchen trotzdem, jede Woche aufs Neue zu gucken, wie wir die Themen besetzen können und nebenbei die anderen Sachen zu erfüllen: Masterarbeiten schreiben und so. Die Leute bleiben, weil sie sich damit identifizieren und mehr Gestaltungsspielraum haben als woanders.

Wir stellen eine gewisse Verschiebung fest: seichtere Themen, mehr Veranstaltungen, weniger Politik.

Das ist gar nicht das Ziel, sondern den Kapazitäten geschuldet. Dominik Brück, mit dem ich das Projekt gegründet habe, ist ja nicht mehr dabei. Das zu kompensieren, ist nicht leicht. Er hat gerade im politischen Bereich viel gemacht. Aber wir hoffen, dass wir da wieder hinkommen.

Sind Sie in einer Krise?

Für mich ist es überhaupt keine Krise. Es ist eher eine Phase, die ich so auch vorher schon erlebt habe. Das Tagesaktuelle können wir nicht leisten, deshalb liefern wir gerade im Politikbereich dann eher Hintergrundgeschichten.

Was zahlen Sie den AutorInnen für eine solche Geschichte?

Das ist immer verhandelbar. Bei einem längeren Text fängt es bei 25, 30 Euro an. Gut, das ist immer noch nicht viel. Aber mit Bildergalerie und Audiospur geht der Preis hoch. Für Videos zahle ich natürlich mehr.

Woher kommt dieses Geld?

Von den Kooperationen mit Tageszeitungen unter anderem. Wenn ein Artikel zum Beispiel in der taz erscheint, fließt das Geld erstmal in die Gesamtkasse und wird dann für Artikel bei Mittendrin ausgezahlt. Dazu kommen Abos von unseren LeserInnen und Soli-Geld. Oder das Honorar, wenn ich einen Vortrag halte.

Also Ihr eigenes Einkommen?

Ja. Das ist der Kreislauf der Dinge. Es ist kein tragfähiges wirtschaftliches Konzept, aber das ist, wie es momentan funktioniert. Man darf nicht vergessen: Mittendrin ist ein Startup, aber wir haben nie einen Kredit aufgenommen. Da ist also kein Startkapital. Man investiert halt die Zeit. Auch unsere RessortleiterInnen kriegen den Großteil ihrer Arbeit nicht honoriert.

Zeitungen prophezeihen das Ende der Hyperlokalblogs.

Wir sind nun mal die Kleinsten, die immer am wenigsten Kohle haben und das immer mit viel Idealismus gemacht haben. Da stößt man irgendwann persönlich und körperlich an Grenzen. Das ist einfach logisch. Eine Zeitung, die wenig Geld aus ihrem Online-Bereich zieht, hat vielleicht daran zu knabbern, aber die hat ein ganz anderes Fundament, auf das sie bauen kann – und kann ihre Leute immer noch bezahlen. Aber die ganze Branche guckt doch im Moment, wie man das finanzieren kann. Alle haben super viele Ideen, nicht nur für die Hyperlokalen, aber die Kernfrage bleibt: Wie bringen wir die Leute dazu, online zu bezahlen oder wie finanzieren wir es anderweitig?

Den größten Erfolg hatte Mittendrin, als die Polizei Anfang 2014 das Gefahrengebiet ausrief. Hat sich der Einsatz auch monetär ausgezahlt?

Es haben sicherlich ein paar Leute mehr ein Soli-Abo abgeschlossen. Ich bin immer beeindruckt, dass es Leute gibt, die mittlerweile seit über zwei Jahren monatlich fünf oder zehn Euro überweisen. Wir wussten aber auch damals schon, dass das ein Erfolg ist, der einem nicht zu Kopf steigen darf. Man darf auch nicht vergessen, dass da eine Zeit war, die einen ziemlich ausgelaugt hat. Wir sind ja jede Nacht unterwegs gewesen. Insofern waren wir auch froh, als das Gefahrengebiet irgendwann wieder aufgehoben war. Auf der anderen Seite war eine Menge Hype im Spiel, der dazu geführt hat, dass wir immer tagesaktuell – und immer die Schnellsten sein wollten.

Wie wichtig ist diese Schnelligkeit überhaupt?

Wenn wir die gute Hintergrund-Story haben, wird die viel mehr gelesen. In der Demo-Berichterstattung bin ich zwar nicht die Mopo, die das eine Stunde später schon bringt. Dafür hat unser Text dann eine gewisse Länge, ein Interview und eine Bildergalerie dabei.

Wie viele LeserInnen hat Mittendrin eigentlich?

In den Zeiten der Gefahrengebiete hatten wir bis zu 15.000 unique User am Tag. Es war aber klar, dass wir das nie halten können. Heute haben wir im Schnitt an einem Demo-Tag vielleicht 3.000, an einem normalen Tag bis zu 2.000.

Was wird von Ihnen erwartet?

Die Erwartung ist, dass wir alles machen müssen. Die Wahrheit ist, dass wir das natürlich nicht schaffen. Wir haben eine bestimmte Themenauswahl und zum Beispiel beim Thema Polizeigewalt gehen die Meinungen sehr weit auseinander. Wegen der Berichterstattung über die Gefahrengebiete haben manche Leute gedacht, wir sind total gegen den Staat und die Polizei. Das ist natürlich Quatsch.

Ach ja?

Ich bin Politikwissenschaftlerin und ich bin Demokratin, auch wenn ich viele Zustände ungeil finde. Wir berichten ja auch viel über marginalisierte Gruppen. Ob das nun im Bereich der Wohnungslosigkeit, Obdachlosigkeit oder der Flüchtlingspolitik ist.

Solche Themen allein verschaffen einem Medium kein Alleinstellungsmerkmal.

Das sind ja nun auch große Themen, das wird auch noch so bleiben. Aber unsere Texte lesen sich anders als die im Hamburger Abendblatt oder in der Mopo.

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