Mogelpackungen im Visier: Große Tüte, kleiner Inhalt
Mogelpackungen sind ein Ärgernis für Verbraucher:innen. Nun geht sogar ein Fall vor Gericht – doch die Politik reagiert zurückhaltend.
Das sind nur drei von über 50 Beispielen, die die Verbraucherzentrale Hamburg alleine in diesem Jahr für Mogelpackungen gesammelt hat. Also Lebensmittel und Kosmetika, bei denen der Hersteller eine größere Inhaltsmenge suggeriert als tatsächlich drin ist. Das geht zum Beispiel mit einem Anteil an Luft, mit erhöhten Böden in Pappschachteln, wie sie gerade bei Gesichtscremes häufig zu finden sind. Oder mit einem Trick, den man „Shrinkflation“ nennt – „shrink“ vom englischen Schrumpfen in Kombination mit „Inflation“.
Der Begriff beschreibt ein Phänomen, das besonders seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und den zeitweise deutlich steigenden Erzeugerkosten für Lebensmittel auf der Beliebtheitsskala von Lebensmittelherstellern nach oben gerückt ist: Dabei wird die Füllmenge eines Produktes verringert – doch der Preis bleibt gleich, er steigt oder er sinkt nicht in vergleichbarem Maße wie die Füllmenge. Bedeutet für den Hersteller: mehr Umsatz mit weniger Wareneinsatz. Und für die Kundin: mehr Preis, weniger Inhalt.
Die Erzeugerkosten für Lebensmittel haben sich längst wieder auf niedrigerem Niveau eingependelt, doch Hersteller shrinkflationieren immer noch gerne weiter. Deshalb eskaliert es gerade sogar ein bisschen: Die Verbraucherzentrale Hamburg hat jüngst den Milka-Hersteller Mondelez verklagt. Der Vorwurf auf Basis von Eichgesetz und Lebensmittelinformations-Verordnung: Verbrauchertäuschung.
Denn die Schokoladentafel wiegt nicht mehr 100 Gramm, sondern nur noch 90 Gramm, und das Ganze ist besonders geschickt kaschiert, indem die Tafel in der Fläche gleich geblieben, aber flacher geworden ist. Und steht die Tafel in den üblichen lilafarbenen Kisten im Regal, ist die Grammangabe erst mal gar nicht zu sehen.
Teurer Kakao, teure Schokolade
Mondelez will zu dem Prozess nichts sagen, verteidigt die Schokoladenentscheidung aber mit hohen Einkaufskosten: „So haben sich beispielsweise die Kakaopreise in den letzten zwölf Monaten fast verdreifacht und ein Rekordniveau erreicht“, erklärt Sprecherin Jenny Linnemann.
Auch andere Kosten, etwa die für Energie, Verpackung und Transport, blieben hoch, insgesamt sei damit die Herstellung der Produkte deutlich teurer geworden. Eine Erhöhung der Verbraucherpreise sei das „letzte Mittel“. Transparenz sei dem Unternehmen aber wichtig. Neben der üblichen Gewichtskennzeichnung habe man auch via Social Media über die Preisänderung informiert.
Mondelez ist nicht der einzige Hersteller, der solche Argumente auffährt. Die Gründe, die Unternehmen der Hamburger Verbraucherzentrale schreiben, wenn die nach Hinweisen von Kund:innen die Hersteller mit dem Mogelpackungsvorwurf konfrontiert, klingen meist ähnlich.
Und tatsächlich ist das mit den Preissteigerungen nicht immer ganz von der Hand zu weisen. Zwar sind die Kakaopreise nach dem durch Ernteausfälle bedingten Hoch in den vergangenen Jahren gerade leicht am Sinken. Doch sie liegen immer noch deutlich über dem Niveau von Anfang des Jahrzehnts. Ist es angesichts dessen nicht netter, ein Hersteller verringert den Inhalt, als den Preis zu erhöhen?
Was ist eine Mogelpackung?
„Da kann man sicher darüber diskutieren, gerade, wenn es um Süßigkeiten geht oder Chips, da kann man sagen, dass weniger Inhalt aus gesundheitlicher Sicht gar nicht so schlecht wäre“, sagt Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg, der sich seit Jahren mit Mogelpackungen befasst.
Das Argument gelte aber spätestens nicht mehr bei Grundnahrungsmitteln. Und außerdem: „Shrinkflation darf vor allem nicht klammheimlich, sondern nur mit deutlichem Hinweis geschehen.“ Valet hält das beliebte Argument mit den Rohstoffpreisen häufig für vorgeschoben: „Wird bei einer Schokolade mit gestiegenen Kakaopreisen argumentiert, heißt das nicht unbedingt, dass bei den Kakaobauern viel davon ankommt.“
Das grundsätzliche Problem: Was eine Mogelpackung ist, das ist zwar umgangssprachlich ziemlich klar – juristisch aber nicht. Zwar verbietet das Mess- und Eichgesetz, Fertigpackungen auf den Markt zu bringen „wenn sie ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge vortäuschen als in ihnen enthalten ist“.
30 Prozent Luft gelten in der Rechtsprechung als allgemeine Größe für das, was noch okay ist. Ein Ansatz, den Valet kritisiert: „Warum bekommen Hersteller es hin, eine Tüte Mehl ganz voll zu machen, aber beispielsweise bei Proteinpulver ist in der Regel mindestens ein Drittel Luft in der Packung?“ Die 30-Prozent-Faustregel öffne den Herstellern die Möglichkeit, mehr Luft als nötig in den Packungen zu lassen.
Schlechter für die Umwelt
Und dann wäre da noch der Umweltaspekt. Das Institut für Energie- und Umweltforschung und die Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung haben 2021 im Auftrag des Bundesverbands der Verbraucherzentralen untersucht, wie stark die zusätzlichen Verpackungen den Müllberg erhöhen. Das Ergebnis: 3 bis 27 Prozent an Material – und damit an Müll – ließen sich mit strengeren Regeln gegen Mogelpackungen einsparen. Das entspreche jährlich 3 Millionen Mülltonnen à 240 Liter.
Die Politik reagiert zurückhaltend. In der Ampelkoalition hatte die Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne) noch wiederholt erklärt, gesetzlich gegen Mogelpackungen vorgehen zu wollen – dazu kam es jedoch nicht, was vor allem am Widerstand der FDP lag. Ein Sprecher des nun zuständigen Umweltministeriums von Carsten Schneider (SPD) bezeichnete Mogelpackungen zwar als „großes Ärgernis“ – verweist aber in Sachen gesetzliche Regelung lediglich auf die neue EU-Verpackungsverordnung.
Die soll die Hersteller dazu verpflichten, Verpackungen höchstens so groß und schwer zu machen, wie es für die Funktionsfähigkeit nötig ist. Der doppelte Boden bei Kosmetika könnte tatsächlich damit fallen. Doch die großzügige Menge von Luft oder anderen Gasverbindungen in Chipstüten dürfte bleiben. Denn hier argumentieren die Hersteller mit Schutz für den Transport. Die neuen Regeln „werden auch der ‚Shrinkflation‘ entgegenwirken“, erklärt der Ministeriumssprecher. Allerdings: Die Verordnung gilt erst ab 2030.
Branche findet: Es gibt genügend Schutz
In der Branche ist man ohnehin der Meinung, dass es schon ausreichende Pflichten gibt: Auf Verpackungen müssen Hersteller drucken, wie viele Gramm, Kilo, Milliliter oder Liter drin sind. Am Regal müssen die Händler den Grundpreis etwa pro Kilo oder Liter angeben. So können Kund:innen vergleichen, ob unterm Strich nun das Müsli in der 375-Gramm Verpackung günstiger ist oder das in der 425-Gramm-Schachtel.
Auf den Etiketten muss die Liste mit den Zutaten stehen, geordnet nach Mengenanteilen im Produkt – das, was am meisten drin ist, steht vorne. Tauscht ein Hersteller etwa in einem Pesto die teuren Pinienkerne gegen günstigere Zedernnüsse aus oder spart in der Gewürzmischung bei dem teuren Tasmanischen Pfeffer und erhöht dafür die Menge des günstigen Paprikapulvers, können sehr aufmerksame Leser:innen das im besten Fall in der Zutatenliste erkennen.
Auch dieser Trick hat mittlerweile einen eigenen Namen, der allerdings noch weniger bekannt ist: Skimpflation. Das kommt vom englischen „skimp“, zu deutsch „knausern“. Allerdings: Argumentiert hier ein Hersteller mit sich verändernden Präferenzen der Kund:innen, die mehr Paprikageschmack nun mal besser fänden, ist das schwer zu widerlegen.
Frankreich geht einen neuen Weg
Einen neuen Ansatz gegen die Shrinkflation erprobt seit dem vergangenen Jahr Frankreich: Supermärkte ab einer bestimmten Größe sind seitdem dazu verpflichtet, shrinkflationierte Produkte am Regal zu kennzeichnen. Wie erfolgreich diese Regelung ist, ließ die französische Aufsichtsbehörde auf taz-Anfrage offen. Verbraucherschützer Valet hält den Ansatz ohnehin nur für einen Zwischenschritt.
„Eine deutlich bessere Lösung wäre eine Kennzeichnung direkt auf der Verpackung.“ In der Branche spricht man hier von einem „Störer“. Das ist ein optisches Element, abgehoben vom Stil des restlichen Designs, das auf den geringeren Inhalt hinweist. Die Verbraucherorganisation Foodwatch fordert damit einhergehend die Verpflichtung, die Menge anzugeben, zum Beispiel „20 Prozent weniger Inhalt“. In Italien und Belgien gibt es Medienberichten zufolge bereits Bestrebungen, das national vorzuschreiben.
Derweil zeigt sich, dass Transparenz von den Kund:innen durchaus geschätzt wird. So schrieb ein Hersteller im vergangenen Jahr „Weniger Inhalt als vorher“ auf Verpackungen von Tiefkühlkräutern und verband das mit einer PR-Kampagne. Die Ehrlichkeitsstrategie ging auf: Für die geringere Füllmenge gab es in den sozialen Medien ausnahmsweise keinen Shitstorm – sondern Verständnis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess um verprügelte Neonazis
Anwälte fordern Freispruch für Hanna S.
Aktivistin über Autos in der Stadt
„Wir müssen Verbote aussprechen“
Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen
Kein Bock auf Sahra
Aufnahme gefährdeter Afghan*innen
Dobrindts Tricksereien untergraben den Rechtsstaat
Rüstungsgüter für Krieg in Gaza
Staatssekretär wollte Waffenexporte für Israel stoppen
Soziologin über AfD
„Rechte Themen zu übernehmen, funktioniert nicht“