Montagsinterview mit Country-Musikerin: "Countrymusik macht mich einfach an"

Der Sound der Südstaaten wurde ihr in die Wiege gelegt. Laura Bean kommt aus einer großen Musikerfamilie im US-Bundesstaat Kentucky. Seit 2007 macht sie Straßenmusik in Berlin.

"Nach Deutschland zu kommen, war eine große Befreiung für mich. Hier ist es ganz normal, dass die Leute bis 25 studieren": Laura Bean mit Gitarre. Bild: Sonja Trabandt

taz: Frau Bean, Sie haben ein ganz spezielles Styling. Können Sie das mal beschreiben?

Laura Bean: Ich habe rote Haare, frisiere mir gerne Victory-Rolls und stecke frische Blüten hinein. Ich mag punkige Farben, trage Kleider und Kostüme aus den 40er und 50er Jahren, Netzstrümpfe und dazu mit Vorliebe Highheels.

Würden Cowboystiefel nicht besser zu Ihnen passen?

Die trage ich nur noch manchmal. Ich verändere mich eben, genauso wie meine Musik. Manchmal sitze ich eine halbe Stunde vor dem Spiegel, um zu entscheiden, was ich anziehe. Ich muss das machen, damit ich in die richtige Laune komme, um einen Auftritt zu geben. Auch wenn es nur auf der Straße oder in einer Kneipe ist.

Sie sind Musikerin …

Die Migrantin: Laura Bean wird 1982 in Louisville/Kentucky geboren und wächst in einer großen Musikerfamilie auf. Sie studiert Geografie und Geologie. 2003 geht sie für ein Austauschsemester nach Heidelberg. Es wird ein Daueraufenthalt daraus.

Die Musikerin: Anfang 2007 zieht Bean nach Berlin, ein halbes Jahr später fängt sie mit Straßenmusik an: Countrymusik der Südstaaten, insbesondere Bluegrass. Ab 2008 tritt sie mit den Runaway Brides auf, einer Frauenband, die in einer Berliner Küche gegründet wurde und Country mit Punkrock und Pop mischt.

Die Solo-Karriere: 2010 verlässt sie die Runaway Brides, spielt solo oder zieht mit Musikern durch Kneipen. Viele ihrer Lieder schreibt sie selbst. Andere, die zum Teil 200 Jahre alt ist, wurden von schottischen und irischen Einwanderen in die USA gebracht. Seit kurzem hat Laura Bean eine neue Band und arbeitet an einem eigenen Album.

Nächste Auftritte: 6. 11., 19 Uhr im Tiki Heart, Wiener Straße 20; 21. 11., 22.00 Uhr im Bassy Cowboy Club, Schönhauser Allee 176a (Keller des Pfefferbergs)

Laura Bean in Ton und Bild:

www.taz.de/berlinfolgen

… das gilt für früher. Da hab ich mich mehr als Musikerin gesehen. Das hat sich in letzter Zeit sehr geändert. Inzwischen würde ich mich als Sängerin bezeichnen. Jetzt habe ich Bands, in denen ich sehr wenig spiele und mich aufs Singen konzentrieren kann.

Die Musik, die Sie machen, hat eine lange Tradition.

Ja, ich mache altmodische Countrymusik, Bluegrass und ältere Sachen wie Hank Williams. Die Zeit von 1920 bis 1960. Alles, was aus dem Süden der USA kommt. Da ist New-Orleans-Stil drin, Jazz und Swing, aber auch ganz viel Rock n Roll. In dem alten Countryzeug steckt Folk und Blues. Diese Musik ist unglaublich schön und vielfältig. Das macht mich einfach an.

Bluegrass - woher kommt denn dieser Name?

Bluegrass stammt aus Kentucky, so wie ich. Der Name kommt daher, dass das Gras bei uns auf den Feldern blaugrün ist.

Wie würden Sie jemandem, der Blugrass nicht kennt, diese Richtung beschreiben?

Man muss es sich vorstellen wie ein klassisches Quartett. In den ersten Blugrass-Bands spielten sehr begabte Musiker auf typischen Folk-Instrumenten: Banjo, Geige, Mandoline, Kontrabass und Gitarre. Schlagzeug gibt es nicht. Viele Leute sagen, das sei das Wichtigste am Bluegrass. Die Kickdrum wird vom Kontrabass übernommen, die Snare von der Mandoline. Die Solos sind echt wild. Dazu drei- oder vierstimmiger Gesang. Viele Stimmen und viele Instrumente - volle Musik also.

Welche Instrumente spielen Sie?

Mandoline und Gitarre, eine Zeit lang habe ich auch Kontrabass gespielt. Banjo habe ich gespielt, als ich neun war. Deswegen beherrsche ich Fingerpicking auf der Gitarre. Ich hab auch ganz früh mit Klavier angefangen.

Haben sich Ihre Eltern um Ihre musikalische Erziehung gekümmert?

Das war vor allem mein Opa. Ich komme aus einer großen Musikerfamilie in Louisville. Wir lebten in einem kleinen Holzhaus voll mit Instrumenten. Mein Opa hat in den 40er, 50er Jahren eine Danceband gehabt. Er hat auch das Gemeindeorchester dirigiert. Mir und meinen drei Schwestern hat Opa Klavier beigebracht. Sogar Horn habe ich von ihm gelernt.

Lebt Ihr Großvater noch?

Er ist jetzt Mitte 80. Meine Oma und er haben dieses Jahr ihren 60. Hochzeitstag gefeiert. Die beiden haben acht Kinder, meine Mutter ist die Älteste. Sie ist auch Musikerin. Alle Kinder haben später in einer Bluegrass-Band gespielt, der Herde-Family Band. Herde ist der Nachname meines Opas.

Sind Sie nie an den Punkt gekommen, wo Sie die Lust an der Musik verloren haben?

Als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich zum ersten Mal in meinen Leben gar keine Musik gemacht. Ich brauchte eine Pause, Abstand von dem klassischen Musikunterricht, den ich davor an der Schule und der Uni in Kentucky hatte. Da musste jede Note sitzen. Alles ist vorgeschrieben: schneller, langsamer, hier leise, da lauter. Einen Takt zu spät, und alles ist versaut. Das war mir zu krass. Ich habe immer Fehler gemacht. Ich bin kein Mensch, der jedes Detail 1.000-mal übt, bis es perfekt ist. Wenn ich Musik mache, möchte ich Spaß haben.

Geschadet hat Ihnen dieses Training jedenfalls nicht.

Musik ist eine Sprache. Je früher man das lernt, um so besser. Meine Mutter hat Orgel in der Kirche gespielt, und wir sind jeden Sonntag hingegangen, wir waren ja katholisch. Meine drei Schwestern und ich haben ständig gesungen. Das kann mir niemand wegnehmen. Als meine Mutter schwanger mit uns war, hat sie Banjo gespielt. Was für ein Lärm für das Kind im Bauch! Ich glaube, auch deswegen kann ich dieses Instrument nicht so sehr leiden. Außer wenn es jemand wirklich sehr gut spielt.

Wann sind Sie nach Deutschland gekommen?

Das war 2003, ich war damals 20. Ich wollte weg von Kentucky. Dort hatte ich Geografie und Geologie studiert. Geplant war zunächst nur ein Austauschsemester in Heidelberg. Schon mit 13 hatte ich angefangen, am Gymnasium in Kentucky Deutsch zu lernen.

Warum gerade Heidelberg?

Die Universität, von der ich kam, hatte ein Austauschprogramm mit der Uni Heidelberg. Und die meisten Amerikaner sind von Heidelberg ganz begeistert. Alle haben tolle Sachen über die Stadt erzählt.

In Heidelberg ist ein großer Stützpunkt der US-Armee.

Heidelberg ist very cosmopolitan. Ich habe dort viele Leute kennen gelernt. Für jemanden, der aus dem Süden der Vereinigten Staaten kommt, ist es echt schön, wenn man mit Freunden einfach auf einer Wiese sitzen und Wein trinken kann. Bei mir zu Hause wäre das undenkbar.

Sind die Südstaatler wirklich so prüde, wie ihnen nachgesagt wird?

Der Süden ist richtig streng. Niemand darf in der Öffentlichkeit Alkohol trinken. Die meisten jungen Leute machen es trotzdem, nur eben heimlich. Offiziell sind die Unis natürlich dry.

Und Sie?

Ich bin ein late bloomer …

ein Spätentwickler.

Ja, ich hatte meinen ersten Kuss erst mit 17. In Amerika steht man unter Druck, die Uni ganz schnell durchzuziehen, Karriere zu machen und danach viel Kohle zu verdienen. Nach Deutschland zu kommen, war eine große Befreiung für mich. Hier ist es ganz normal, dass die Leute bis 25 studieren. Ich war 20 und hatte mein Studium fast fertig, als ich herkam. Plötzlich war der ganze Druck weg. Das war schön.

Wie lange hat Ihre Musikpause gedauert?

Ich hatte mein Studium abgeschlossen, eine Weltreise gemacht und eigentlich gerade angefangen, in Heidelberg zu arbeiten. Aber das war ein Kampf.

Was haben Sie denn beruflich gemacht?

Zuerst ein Praktikum bei der Stadtverwaltung Heidelberg im Bereich Umweltberatung. Darüber habe ich dann bei der Armee für ein Jahr einen Job als Umweltberaterin bekommen. Das war extrem frustrierend. Jeden Morgen um sechs aufstehen, Projektanträge schreiben. Abgesehen von dem ganzen Papierkram - es war ungeheuer schwer, als junge Frau Projekte mit Männern durchzuführen, die älter als mein Vater waren und überhaupt nichts von Hybridautos hielten. Außerdem … wie soll ich sagen? Ich bin ein Zappelkind.

Wie drückt sich das aus?

Ich kann mich nicht lange auf eine Sache konzentrieren. Ich muss immer machen und tun. Das war schon immer so. An Weihnachten haben wir zu Hause immer einen Weihnachtschor gemacht, mit Onkeln, Tanten, Nichten, Neffen. Opa hat dirigiert. Das war meine Lieblingszeit. Aber da gab es natürlich auch viele Erwartungen, wie man zu sein hatte, und ich war schon immer ein bisschen wilder. Da bin ich oft zur Ordnung gerufen worden.

Stehen Sie gern im Mittelpunkt?

Ja. Ich glaube, auch deswegen mache ich Musik.

Wie haben Sie schließlich zur Musik zurückgefunden?

Irgendwann hat sie mir einfach gefehlt. Ich hatte keine Freunde, die Instrumente spielten. Keiner hatte eins im Haus. Es hat etwas gedauert, bis ich es gemerkt habe. Aber irgendwann war klar: Ich muss Musik machen. Das war ein Wendepunkt in meinem Leben. Mit einer Freundin habe ich angefangen, auf der Straße Weihnachtslieder zu spielen. Es muss schrecklich gewesen sein.

Warum?

Ich konnte kaum Gitarre. Meine Mutter hatte mir früher mal ein paar Akkorde gezeigt, den Rest hab ich mir dann selber beigebracht. Heute kann ich sagen: Das hat mich gerettet. Ein oder zwei Monate später bin ich mit meinem damaligen Freund nach Berlin gezogen.

Und hier kam der Durchbruch?

Überhaupt nicht. Ich habe versucht, eine Umweltberatung aufzubauen, bin damit aber total gescheitert. Furchtbar. Und dann haben wir uns getrennt. Das wars. Ich saß da und musste mir was überlegen. Manchmal wusste ich nicht, wovon ich am nächsten Tag meine Haferflocken kaufen sollte.

Das klingt nicht gut.

Ich wohnte in einer WG zur Zwischenmiete, in einem dunklen Durchgangszimmer. Das waren wirklich dunkle Zeiten. Ich bin Ausländerin, ich kriege nichts vom Staat. Das Gute war: Die Wohnung lag ganz nah am Mauerpark. Da hab ich mich dann hingestellt und Straßenmusik gemacht. Bald hat eine Freundin aus Amerika mitgespielt. Und dann kam ein Verrückter mit wehenden Haaren und Banjo-Koffer vorbei. Banjos sieht man nicht so oft in Deutschland. Er stand da, hörte kurz zu und rief: "Bluegrass! Ich hol meinen Kontrabass." Das war Maciek.

Muss man den kennen?

Maciek Pietraho ist Mitte 50 und kommt aus Polen. Wir machen jetzt seit vier Jahren zusammen Straßenmusik in Berlin. In Polen ist er bekannt für Punkfolk. Aber Bluegrass hat er schon lange, bevor wir uns kennen gelernt haben, gespielt. Ohne ihn hätte ich es vermutlich nicht geschafft.

Worauf wollen Sie hinaus?

Maciek hat mir alles über Straßenmusik beigebracht. Nach ein ein paar Monaten hat er mir seine Mandoline ausgeliehen, ohne die geht es eigentlich gar nicht beim Bluegrass. Und Maciek kennt sich in der Berliner Straßenmusikszene aus. Die Stadt ist ja unter den Musikern aufgeteilt. Wenn einer auf fremdem Gebiet in einem bekannten Restaurant spielt, gibts Ärger.

Wie wird kontrolliert, dass die Grenzen eingehalten werden?

Man ruft sich an. Es gibt Gebiete, in denen wir nicht auftreten können, außer wir sind uns sicher, dass die anderen nicht in der Stadt sind.

Wie läuft so eine Musiktour durch die Kneipen ab?

Ich rufe Maciek an oder die anderen Leute, mit denen ich mittlerweile spiele. Und dann ziehen wir den ganzen Abend rum. Fünf Stunden. Die Leute in Stimmung bringen. Mit dem Hut herumgehen.

Welche Tricks benutzen Sie, um die Leute in Stimmung zu bringen?

Das ist mein Geheimnis (lacht). Manchmal ist man ein bisschen unsicher, weil das eben eine normale Kneipe oder ein Restaurant ist, wo die Leuten einfach dasitzen, sich unterhalten und essen. Man muss dann seine ganze Kraft nutzen, um das zu einer Performance zu machen. Wenn man gute Musik macht, merkt man schon, dass es den Leuten gefällt. Der eine oder andere fängt an, mit dem Kopf zu nicken oder zu klatschen. Es gibt auch Situationen, in denen sich keiner traut zu reagieren, aber danach kommen welche zu mir und sagen: Danke, das war sehr schön. Auch wenn man es nicht denkt: Meistens gefällt es den Leuten. Aber inzwischen trete ich ja nicht mehr nur in Kneipen auf.

Könnte man sagen, Sie sind auf bestem Wege, eine Profi-Musikerin zu werden?

Das ist einfach so eine Leiter, die man hochklettern muss. Eine Sache, die man aufbauen muss. In Berlin ist in den letzten Jahren eine Szene für Bluegrass-Musiker entstanden. Dadurch kennen mich jetzt viele Leute. Ich war gerade ein paar Monate weg, komme zurück und werde gebucht. Das ist schön. Aber ich bin gar nicht gut darin, mich zu promoten. Die Leute sagen immer, ich sei ein schlechter Kapitalist.

Sind Sie ein politischer Mensch?

In Kentucky haben die Republikaner die Mehrheit. Mein Vater ist Mitglied bei den Demokraten und bei einer Gewerkschaft. Ich habe Meinungen, aber politisch engagiert bin ich nicht. Ich gucke kaum Nachrichten. Das belastet mich. Ich bin sehr emotional.

Haben Sie vor, irgendwann in die USA zurückkehren?

Berlin ist gerade mein Zuhause. Vielleicht nicht für immer. Aber im Moment findet mein ganzes Leben hier statt.

Gibt es eigentlich eine spezielle Bluegrass-Attitüde?

Das Leben ist scheiße, aber wir können trotzdem eine schöne Zeit haben. Das gilt auch für Berlin. Deswegen mag ich es so.

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