Moore gegen den Klimawandel: Give me Moor!

Deutschlands erste Moormanagerin soll trockene Moore wiedervernässen, um die Freisetzung von Treibhausgasen zu stoppen. Aber es gibt Widerstände.

Sonnenaufgang über dem Moor, leichter Nebel über der Wiese, im Hintergrund Wald

Über einem Moor im Müritz-Nationalpark, Mecklenburg-Vorpommern, geht die Sonne auf Foto: Andreas Vitting/picture alliance

„Caspar David Friedrich hat sich geirrt.“ Annie Wojatschke steht ungefähr an der Stelle, an der der Maler seine Staffelei aufgebaut haben muss, als er 1822 sein berühmtes Bild „Wiesen bei Greifswald“ malte. Heute ist die frühlingsgrüne Fläche eingezäunt, im Hintergrund weiden ein paar Kühe. Annie Wojatschke kniet nieder und streicht fast zärtlich über den Bewuchs. „Die Torfschicht hier ist bis zu sieben Meter tief“, sagt sie. Caspar David Friedrichs Wiesen sind gar keine Wiesen, sondern trockengelegtes Moor.

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Annie Wojatschke ist Deutschlands erste Moormanagerin, ein Posten, den die Stadt Greifswald 2021 schuf. Greifswald hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2035 klimaneutral zu werden. Die Wiedervernässung, also die Anhebung des Wasserstands der Moore, ist dabei ein wichtiger Baustein. Die Torfschichten der Moore enthalten gigantische Mengen an Kohlenstoff, werden sie trockengelegt, werden Treibhausgase freigesetzt.

Ungefähr 30 Prozent aller Treibhausgase kommen in Mecklenburg-Vorpommern aus den Mooren. Damit ist nicht die Industrie, die Energiebranche oder der Verkehr der schlimmste Klimasünder, sondern die trockengelegten Moore. Doch das Problem ist eigentlich leicht zu lösen. Wenn der Torf vom Wasser luftdicht abgedeckt wird, bleiben die Treibhausgase im Boden und langfristig kann sich sogar wieder neuer Torf bilden.

Auch die CDU macht ­Stimmung gegen Moore

Wiedervernässung bedeutet nicht, dass große Mengen Wasser auf die Flächen gepumpt werden müssten. Die Fläche, auf der Annie Wojatschke steht, der Steinbecker Vorstadtpolder, liegt deutlich unter dem Wasserspiegel des Flüsschens Ryck. „Die Wiedervernässung funktioniert bereits, wenn man aufhört, das Wasser aus dieser Fläche abzupumpen“, sagt Wojatschke.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Einfach wird die Wiedervernässung dieser Fläche trotzdem nicht, dafür gibt es zu viele Hindernisse. Da ist erstens der Graben 15, der sich durch die Fläche zieht und unter anderem das Dörfchen Wackerow entwässert. „Manche Mitglieder der Gemeindeverwaltung Wackerow sind strikt gegen Wiedervernässung“, sagt Wojatschke. „Sie fürchten negative Folgen wie nasse Keller, wenn das Schöpfwerk am Ende des Grabens abgeschaltet wird.“

Da ist zweitens die Öko-Bäuerin, die diese Fläche als Weide für ihre Kuhherde gepachtet hat. Kühe müssen trocken stehen, wenn die Fläche wieder nass wird, verliert die Bäuerin ein Sechstel ihrer Betriebsfläche. Annie Wojatschke kennt die Bäuerin gut, beide haben Abitur zusammen gemacht. Ein heikles Thema, über das sie lieber nicht öffentlich sprechen möchte.

Die Moormanagerin Annie Wojatschke kniet auf dem Boden und hält eine Bodenprobe in der Hand

Annie Wojatschke im trockengelegten Moor Foto: Nick Reimer

Die Stadt verliert Pachteinnahmen

Drittens verliert die Stadt Greifswald durch die Wiedervernässung dringend notwendige Pachteinnahmen. Deshalb muss für die Moorflächen eine neue Nutzung gefunden werden, die ebenfalls Geld einbringt. Aber auch dafür haben sie in Greifswald eine Lösung: Die Firma „Moor and more“ nutzt das, was auf dem wiedervernässten Moorboden wächst, um daraus Baumaterial herzustellen, Dämmstoffe etwa.

Dass ausgerechnet Greifswald in der Moorfrage so innovativ ist, hat viel mit Michael Succow zu tun, der als Vater des Nationalparkprogramms der DDR bekannt wurde. Kurz vor der Wiedervereinigung ließ Succow, ehemals stellvertretender Umweltminister, sieben Prozent der Staatsfläche unter Schutz stellen.

An der Universität in Greifswald baute er danach als Universitätsprofessor den Studiengang „Landschaftsökologie und Naturschutz“ auf. Schließlich gelang es Succow, den renommierten niederländischen Moorforscher Hans Joosten nach Greifswald zu holen, der dort das „Greifswald Moor Centrum“ aufbaute, eine weltweit führende Forschungseinrichtung zum Thema.

Die Grundstücke sind Eigentum der Stadt

„Michael Succow hat mich sicherlich mit seinem landschafts­ökologischen Gesamtansatz geprägt, für das Moor begeistert hat mich allerdings Hans Joosten“, sagt Annie Wojatschke. Die 43-Jährige stammt selbst aus Greifswald und hat dort Biologie studiert, diese Studienwahl habe sie bereits in der 5. Klasse getroffen, erzählt sie. Eine Zeit lang arbeitete Wojatschke in Großbritannien, etwa bei der „Royal Society for the Protection of Birds“ in Schottland. Aber auch dort ging es um Moore.

Nach ihrer Rückkehr in die Heimat arbeitete die Mutter dreier Kinder zuerst für die Universität Greifswald, dann für die Untere Naturschutzbehörde, diese Erfahrung mit der Verwaltungsarbeit hilft ihr heute bei der Arbeit als Moormanagerin. Kommunalpolitisch genießt die Moormanagerin einiges an Unterstützung, seit 2015 regiert ein bündnisgrüner Oberbürgermeister die 60.000-Einwohner-Stadt.

Angesiedelt ist ihre Stelle nicht in der Abteilung Umwelt, sondern im Liegenschaftsamt, was ein Vorteil ist, denn die fraglichen Grundstücke sind im Eigentum der Stadt, der Zugriff über das Liegenschaftsamt leichter, wenn der Stadtrat zustimmt.

Zertifikate für eingespartes CO2

Innerstädtisch besitzt Greifswald 460 Hektar Moorfläche, zählt man jene Liegenschaften dazu, die außerhalb der Stadtgrenze liegen, summieren sich ungefähr 1.000 Hektar, eine Fläche so groß wie 1.400 Fußballfelder. Man könnte meinen, zu viel für das Leben einer einzelnen Moormanagerin. Aber Annie Wojatschke strahlt unglaubliche Energie aus. „Mit den Wiesen von Caspar David Friedrich fangen wir jetzt mal an“, sagt sie.

Zuerst braucht sie dafür eine wasserrechtliche Genehmigung der Umweltbehörde, die aufwändig zu stellen ist, denn für eine Wiedervernässung ist immer eine komplexe Einzelfallbetrachtung nötig. Dann muss die Landschaft genau analysiert werden. Bei der praktischen Umsetzung kommen technische Fragen dazu: „An manchen Stellen müssen wir Stauwerke zurückbauen, Gräben zuschütten oder die oberste Bodenoberschicht abtragen, weil die schon nicht mehr wasserdurchlässig ist“, sagt Wojatschke.

Dafür muss sie eine Finanzierung auf die Beine stellen. Wojatschke überlegt, für das eingesparte Kohlendioxid Zertifikate auszugeben, beispielsweise an Menschen und Unternehmen, die ihren CO2-Fußabdruck reduzieren wollen. In Brandenburg funktionieren solche Konzepte bereits. Doch es stellen sich nicht nur praktische, sondern auch politische Fragen.

CDU macht Stimmung gegen Moore

Es ist kein Geheimnis, dass die CDU in Mecklenburg-Vorpommern Stimmung gegen die Moore macht. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor, der auch in Greifswald studiert hat, sah Vorpommern bereits „absaufen“ und zog mit Gummistiefeln auf den Wahlplakaten in den Kampf. Der CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Diener nennt Experten des Greifswalder Moorzentrums „Moor-Taliban“.

Zudem gebe es, so Wojatschke, zu wenig Anreize für Landwirte, auf herkömmliche Nutzung von Moorflächen zu verzichten. „Wir dürfen den kulturellen Aspekt nicht vergessen: Jahrhundertelang galt das Trockenlegen von Mooren als Kulturleistung.“ Jetzt plötzlich gelte das Gegenteil.

Wie wär’s mit einer ­Moorkommission?

Annie Wojatschke mahnt deshalb, die Wiedervernässung der Moore wie den Kohleausstieg zu behandeln: „Wir müssen den Menschen klarmachen, welchen großen Nutzen sie daraus ziehen: Moore helfen uns, Treibhausgase wegzusparen.“ Das knüpft an die Idee einer Moorkommission nach dem Vorbild der Kohlekommission an, wie sie etwa der Berliner Agrarökonom Harald Grethe fordert.

Die Idee: Die Bundesregierung holt Bauernverbände, Kommunalvertreter, Torfwirtschaft, Gärtnereien, Klimaschützer und andere Akteure, die für Moore relevant sind, an einen Tisch, um einen verbindlichen Einstiegsplan in die bundesweite Wiedervernässung zu beschließen. Doch solche Vorschläge sind weit davon entfernt, umgesetzt zu werden.

Annie Wojatschke geht die Transformation konkret an: „Wir wollen das Konzept der Paludikultur ausprobieren und weiterentwickeln“, sagt sie. Paludikultur, das ist Landwirtschaft auf feuchten Mooren. Ein traditionelles Beispiel dafür ist der Anbau von Dachreet, dem Schilf, mit dem in Norddeutschland viele Dächer gedeckt sind. Auch Seggen oder Rohrglanzgras könnten angebaut und klimafreundlich zur Erzeugung von Fernwärme genutzt werden – entsprechende Konzepte werden aktuell in Greifswald entwickelt.

Trotz aller Hindernisse ist die erste deutsche Moormanagerin optimistisch: „Wer in fünf Jahren an dieser Stelle steht, der bekommt nasse Füße.“

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