Mordserie der Zwickauer Zelle: Angehörige sollen entschädigt werden

Justizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger möchte den Hinterbliebenen der Opfer der rassistischen Morde ein Zeichen der Solidarität geben. SPD fordert Kronzeugenregelung für Zschäpe.

Einer der Tatorte der Mordserie: Der ehemalige Kiosk, in dem Mehmet Kubasik erschossen wurde, in der Dortmunder Nordstadt. Heute befindet sich darin die Teestube eines Kulturvereins. Bild: dpa

BERLIN rtr | Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger will den Angehörigen der Neonazi-Mordopfer eine finanzielle Entschädigung anbieten. "Den Familien der Opfer gehört jetzt unsere Anteilnahme", sagte die Ministerin der Welt am Sonntag. Zwar könne Geld das Leid nicht ungeschehen machen. Mit Entschädigungen aus ihrem Haushalt wolle sie aber versuchen, den Angehörigen ein Zeichen der Solidarität zu geben.

Die FDP-Politikerin äußerte die Befürchtung, dass am Ende der Aufklärung noch mehr Opfer zu beklagen sein könnten als bislang bekannt. "Wir schulden den Angehörigen der Opfer eine lückenlose Neubewertung", erklärte Leutheusser-Schnarrenberger.

Der Zwickauer Gruppe werden mindestens zehn Morde an Migranten und einer Polizistin zu Last gelegt. Der offenbar rechtsextremistische Hintergrund der Mordserie zwischen 2000 und 2007 war den Ermittlern nicht aufgefallen und kam erst ans Licht, als Anfang November zwei Mitglieder der Zelle in einem Wohnmobil in Eisenach Selbstmord begingen und später in ihrer Zwickauer Wohnung Tatwaffen entdeckt wurden. Ein mutmaßliches Mitglied und ein mutmaßlicher Komplize sitzen in Untersuchungshaft.

Kronzeugenregelung für Zschäpe

Der Vorsitzende des Geheimdienstkontrollgremiums des Bundestages, Thomas Oppermann, sprach sich ebenfalls für eine Entschädigung der Angehörigen aus. Um den Hinterbliebenen Gewissheit über die Taten zu geben, regte der SPD-Politiker zudem eine Kronzeugenregelung für Beate Zschäpe an, die einzige Überlebende der rechtsextremen Terrorzelle von Zwickau. Es bestehe ein herausragendes öffentliches Interesse, die Struktur der Gruppe und ihrer Helfer genau aufzuklären. "Auch die Angehörigen wollen wissen, warum die Opfer sterben mussten", sagte Oppermann der Bild am Sonntag.

Der Ausschussvorsitzende rechnet fest damit, dass der Bundestag ein Aufklärungsgremium zu den Ermittlungspannen im Fall der rechtsextremistischen Terrorzelle einsetzen wird. Eine restlose Aufklärung des Falles sei auch deshalb unabdingbar, weil verlorenes Vertrauen in die Sicherheitsbehörden zurückgewonnen werden müsse. "Dieses Verbrechen hat die Menschen in Deutschland tief erschüttert", sagte Oppermann. "Nur die Wahrheit kann das Vertrauen in unsere wehrhafte Demokratie und in einen Staat, der seine Bürger schützen kann, wieder herstellen."

Als erste Konsequenz hatte die Bundesregierung am Freitag die Einrichtung eines Zentralregisters und eines gemeinsamen Abwehrzentrums der Ermittlungsbehörden und der Geheimdienste angekündigt, um militante Rechtsextremisten zu bekämpfen. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich forderte zudem eine Stärkung der Kompetenzen des Generalbundesanwalts.

V-Schutz: Song liefert keine Hinweise

Der 2010 herausgebrachte Song "Döner Killer" lieferte nach Einschätzung des niedersächsischen Verfassungsschutzes keine Hinweise auf die Mordserie der Zwickauer Zelle. "Die Tatsache, dass diese Band über die Morde singt, heißt nicht, dass sie Täterwissen hat", sagte die Sprecherin des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Maren Brandenburger. Es sei nicht einmal klar, ob die rechte Szene selbst eine Verbindung von den Morden zu Beate Zschöpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gelegt habe. "Es ist schrecklich, dass die Strafverfolgungsbehörden die Zusammenhänge damals nicht erkannt haben", betonte die Sprecherin.

Brandenburger sieht in diesem Punkt allerdings kein Versäumnis beim niedersächsischen Verfassungsschutz. Das hatte sie auch der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung gesagt. Denn der rechtsextremistische Musiker Daniel Giese aus dem emsländischen Meppen, der den menschenverachtenden Song über die Mordserie an Migranten veröffentlicht hat, wird seit Jahren beobachtet. "Wir haben die CD "Adolf Hitler lebt" zur strafrechtlichen Prüfung an das niedersächsische LKA gegeben", berichtete die Sprecherin. Nach Auskunft eines Sprechers des sächsischen LKA enthielt der Song "Döner Killer" keine strafrechtlich relevanten Inhalte. Das Amtsgericht Osnabrück ordnete allerdings eine Beschlagnahme der gesamten CD wegen Volksverhetzung an.

Alte Melodien, neue Texte

"Es sind eindeutig aufhetzende, menschenverachtende Texte, die gesellschaftliche Gruppen wie Migranten und Juden verhöhnen", sagte Brandenburger. "Warum ist es so schwer, strafrechtlich gegen diese Musik vorzugehen?" Dem Verfassungsschutzbericht 2010 zufolge finden Gieses Projekte Gigi und die Braunen Stadtmusikanten sowie Stahlgewitter bundesweit große Beachtung in der rechtsextremistischen Musikszene. "Bekannte und erfolgreiche (Schlager-)Melodien werden mit Texten u.a. über Aussteiger, Israel, Panzer, Kinderschänder und Staatsschutz versehen und transportieren jetzt extremistische Inhalte", schreiben die Verfassungsschützer in ihrem Bericht 2008.

Aber auch Kenner der rechtsextremistischen Musikszene glauben nicht, dass der Sänger von "Döner Killer" schon 2010 von dem Verbrechen wusste. Der Herausgeber des Buchs "RechtsRock - Bestandsaufnahme und Gegenstrategien", Jan Raabe, sagte im Gespräch mit Spiegel Online: "Ich halte es für sehr problematisch, auf ein mögliches Täterwissen zu schließen."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.