Moschee in der Kirche: Die letzten knien draußen

Eine der größten muslimischen Gemeinden Hamburgs will umziehen – aus ihrem unterirdischen Gebetsraum in eine entwidmete Kirche. Denn die Gläubigen sitzen heute in der Einfahrt einer Tiefgarage.

Beten in der Tiefgaragen-Einfahrt: Besucher der jetzigen Al-Nour-Moschee in St. Georg. Bild: Hannes von der Fecht

Bevor die Männer beten, stellen sie ihre Schuhe am Randstein ab. Der Asphalt ist abschüssig, er führt in die Tiefgarage. Der Schnee hat einen Film auf seine Oberfläche gelegt und Autoreifen haben Nässe und Dreck verteilt. Die Männer rollen ihre Teppiche darüber. Es ist Freitag, Mittagszeit. Freitagsgebet der muslimischen Al-Nour-Gemeinde im Hamburger Stadtteil St. Georg. Die Letzten knien draußen.

Im Parkhaus ist Mekka hinter einer fleckigen Wand aus Beton. Daniel Abdin blickt die Einfahrt hinab, in der sich die Gläubigen sammeln. Vor zehn Jahren wurde er zum Vorsitzenden dieses sunnitischen Vereins, vor acht ging er in den Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg, der Schura. Im letzten Herbst, am 13. November, unterschrieb er einen Vertrag mit der Stadt, der Muslimen mehr Rechte zugesteht. Am selben Tag kaufte er eine christliche Kirche.

Abdin, 49 Jahre alt, trägt eine Krawatte über seinem weißen Kragen, er hat sein graues Haar zum Seitenscheitel gekämmt, seine Haut ist glatt. Er weiß, was ein seriöser Auftritt wert ist. Doch seine Moschee in St. Georg ist zusammengeflickt.

Die schmale Glastür, die zum Treppenhaus führt, hat jemand mit farbigem Papier verkleidet. Grün, die Farbe des Islams. Dahinter steht ein gekacheltes Becken, badewannengroß. An jedem Freitag sollen sich hier die mittlerweile sechshundert Muslime waschen. Für sie alle ist aber nicht einmal der Gebetsraum lang genug – ein Parkdeck voller Teppiche. Wenn sie hier dicht gedrängt sitzen, öffnen Helfer die Stahltür zur Straße. Jede Woche.

Gebete in der Garageneinfahrt, „das ist unislamisch“, sagt Daniel Abdin, „und unchristlich“. Er will, dass die Gemeinde umzieht. Abdin hat acht Jahre lang über leer stehende Hallen verhandelt und über Bauland. Vergeblich. Schließlich fand er die entwidmete Kapernaumkirche im Stadtteil Horn.

Erbaut in den Sechzigerjahren, ist das Gebäude an einer breiten Kreuzung seit 2002 unbenutzt. Abdin hat es bereits abbezahlt, aus Spenden, sagt er. Als dieser Kauf fast drei Monate später bekannt wird, hört Abdins Handy nicht mehr auf zu klingeln. Ob nun der Muezzin vom Kirchturm ruft, fragen ihn die Journalisten. „Nein“, antwortet er dann. „Wir sind Hamburger Muslime.“

Die Tiefgaragen-Moschee entstand vor 20 Jahren, ihre Besucher stammen aus dem Nahen Osten, aus verschiedenen Regionen Afrikas, aus Afghanistan, Indonesien, Deutschland. Sie ist der größte arabischsprachige Gebetsraum in Norddeutschland, sagt Abdin. „Al-Nour“ heißt „das Licht“.

Turmspitze mit Halbmond

Hinter seinem dunklen Schreibtisch legt der Imam das Gewand an. Ein schwarzer Mantel aus feinem Stoff und eine hohe, weiße Mütze. Samir El-Rajab beugt sich vor, um den Computer einzuschalten. Dann holt er schmale Zettel aus seiner Brusttasche und zieht die Augenbrauen zusammen. Die Predigt beginnt in fünfzehn Minuten. Auf dem Tisch des Imams steht ein goldener Teller mit der Inschrift „Allah“ und ein Libanon-Fähnchen – da kommt er her.

An der Wand, über dem Kopf des Imams, hängt neben arabischer Kalligraphie seit ein paar Tagen auch der Modellentwurf eines Architekten in einem Rahmen: Die sonnenbestrahlte Kapernaumkirche, davor eine Frau mit Handtasche und Kopftuch. Auf der Turmspitze steckt ein kleiner, goldener Halbmond. Im Herbst soll die neue Moschee eröffnet werden. „Wir haben keine Alternative“, sagt El-Rajab. Er erhebt sich, greift eine Zeitung und hält sie neben das Bild. Auch dort wird ein Foto des Gotteshauses gezeigt. Die Schlagzeile: „Warum die Aufregung?“

In der Kirche ist Mekka rechts. Daniel Abdin hebt die Hände zum Altar, dann dreht er sich zur Seite. Hier in Horn werden sich die Betenden zur Wand ausrichten. Nicht zu den bunten Glasbausteinen am Ende des Kirchenschiffs, die ein trübes Schimmern hereinlassen. „Es riecht nach Feuchtigkeit“, sagt Abdin. Die Holzdielen haben sich in zehn Jahren Leerstand nach oben gewölbt, Abdin überschreitet kleine Hügel auf dem Weg nach hinten. Über den Heizkörpern hängen Spinnenweben. Bänke gibt es nicht mehr, nur noch einen grauen Teppich und Bilder an den Wänden. Szenen aus den Evangelien, handgemalt. Der Künstler will sie in den nächsten Wochen abholen.

Eine Million Euro, sagt Abdin, wird es kosten, aus diesem Haus eine Moschee zu machen. Die hintere Empore soll ersetzt werden durch eine, die über den ganzen Raum reicht. Eine zweite Ebene soll entstehen und damit ein separater Bereich für die Frauen. Die protestantische Kargheit der Klinkerwände wird arabischen Verzierungen weichen. Geplant ist auch eine Fußbodenheizung, denn Schuhe zu tragen ist auf den Teppichen von Moscheen verboten. Vor allem aber sollen zwei Elemente des Gewölbes verglast werden – damit Licht hereinfällt.

Daniel Abdin verlässt seine Kirche durch den Hinterausgang. Die vorderen Türen kann er im Moment nicht benutzen. Denn unter dem Vordach stehen zwei Sofas über Eck, darauf Kissen, Decken, und ein ganzes Bettgestell mit Matratzen. Obdachlose Männer haben für einige Monate hier gelebt. Eine „Zufluchtsstätte“, sagt Abdin. Ein „Schandfleck“ für die Nachbarschaft. „Wir werden uns darum kümmern“, sagt er. Mit Polizisten und Sozialarbeitern.

Empörung im Stadtteil

Um die Kapernaumkirche herum leben viele alte Menschen. Der private Investor, der 2005 das stillgelegte Haus und die angrenzenden Grundstücke erwarb, baute dort Seniorenunterkünfte. Für den Kirchenraum war eine Kindertagesstätte vorgesehen. Doch die wurde nie eröffnet. Dass nun Muslime in das Gebäude ziehen wollen, empörte Kirchenvertreter und Politiker. Damit habe er gerechnet, sagt Abdin.

Im kommenden Monat möchte der Vereinsvorsitzende eine Infoveranstaltung im Stadtteil organisieren. „Wir wollen Ängste abbauen“, sagt er. Mit Bildern. Mit einem seriösen Auftritt. Das Modell aus dem Büro des Imams druckt er für die Nachbarn auf Handzettel, gleich neben ein Foto von den Matratzen und Betten, vom Schandfleck. „Damit die Leute sehen, dass wir das Gebäude verschönern.“ Am 3. Oktober, am Tag der Deutschen Einheit, der auch der Tag der offenen Moschee ist, soll alles fertig sein.

In St. Georg, im Gebetsraum unter der Erde, sitzt der älteste Mann der Gemeinde auf einem Stuhl neben der Treppe. Er hat einen runden Bauch und einen langen, weißen Bart. Damals hat er die Gemeinde gegründet, heute ist er ihr Hausmeister. Das Gebet hat noch nicht begonnen, vorne sitzen einige Herren in kleinen Gruppen auf dem Boden. Die Alten kommen immer zuerst. Die Moschee ist für sie ein Treffpunkt. Erst wenn schon die Verse des Muezzins durch die kleine Lautsprecherbox am Eingang quäken, eilen auch die Jungen herein.

Der Hausmeister hält sich ein Smartphone vor die Brille, er liest die Koransuren ab und singt. Mit den Jahren ist die Gemeinde immer größer geworden, sie wird sich teilen müssen. Dreihundert Menschen wird die neue Moschee in Horn fassen, wer übrig bleibt, wird sich einen der umliegenden Gebetsräume suchen müssen.

Wohin er geht, hat der Hausmeister schon entschieden. Für die Kirche in Horn hat er bereits einen Schlüssel.

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