Motorsägenkurs: Geile Schnitte im Wald

Brennholz ist gefragt. Wer sparen muss, holt es sich selbst aus dem Wald – und braucht dafür einen Motorsägenschein. Unsere Autorin hat ihn gemacht.

Wrumm, wrumm, wrummmmmm... Bild: dpa

Mit Brennholz ist es wie mit Brot oder Wollsocken oder Sex. Man kann es entweder selber machen oder kaufen. Und auch beim Brennholz ist das Selbermachen viel billiger als das Kaufen. Das ist der Grund, warum ich morgens um halb neun durch einen Köpenicker Wald laufe. Es ist kalt, weiß und still. Nur dann und wann knackt irgendwo ein Ast.

Um halb sieben bin ich aufgestanden. Die Bushaltestelle heißt „Rübezahl“, die nächste wäre „Müggelseeperle“ gewesen. Nicht so mein Teil von Berlin. Ein Specht klopft. Ich suche ein Häuschen, das sich „Lehrkabinett Teufelssee“ nennt und in dem ich heute lernen werde, wie man mit einer Motorsäge sägt.

Den Motorsägenschein, den ich am Abend dann hoffentlich haben werde, braucht man seit 2006, wenn man sich sein Brennholz in einem Berliner Wald selbst besorgen will. Dazu spricht man sich mit dem zuständigen Förster ab und bekommt ein Gebiet zugeteilt, in dem man ausgewählte Bäume fällen und zerlegen kann. „Selbstwerber“ heißt man dann in der Förstersprache. Bezahlt wird pro Raummeter und Baumart. Nadelbäume sind billig, Buche oder Eiche eher teuer.

In Zusammenarbeit mit der Gemeinnützigen Servicegesellschaft zur Förderung des Landschafts-, Natur- und Umweltschutzes m. b. H. (GSG) bieten die Berliner Forsten eintägige Motorsägenkurse an: „Grundsätzliches beim Umgang mit der Motorsäge“ (70 Euro) und „Baumfällung mit der Motorsäge“ (80 Euro). Beide Kurse dauern jeweils einen Tag. Die erworbenen Scheine gelten deutschlandweit. Information: www.gsg-netzwerk.de

Ich habe mich für den Kurs vor ein paar Wochen angemeldet. Seitdem schwanke ich zwischen Vorfreude und panischer Angst. Im Sekundentakt wechsle ich von „Das wird so geil“ zu „Ich werde mir die Hände absägen oder den Kopf oder beides“. Erzähle ich Freunden das erste, sagen sie „Pass bloß auf!“ und erinnern mich an die schlimmsten Szenen aus Splatterfilmen. Erzähle ich das zweite, sagen sie: „Quatsch. Du besuchst doch den Kurs, um zu lernen, wie man es richtig macht.“

Dann sitze ich im Lehrkabinett. An den Wänden hängen Wildschweinfelle, ausgestopfte Tiere stehen herum und gucken mit Glasaugen. Kursleiter Jürgen Wedel beginnt den Lehrgang mit der Bemerkung, die Motorsäge sei „das gefährlichste Werkzeug Deutschlands“. Er sagt etwas von 20 bis 30 Toten im Jahr. In Deutschland, Europa, der Welt? Egal. Die hässlichen Details kommen später.

Ach, die gute Waldluft

Wedel trägt Schnittschutzhosen und ein dunkelgrünes Sweatshirt. Graue Haare, grauer Bart. Er kommt aus Thüringen, redet aber sehr fränkisch. Man schätzt ihn auf Ende fünfzig. „Was man nicht sieht“, sagt Wedel, „ist, dass ich kurz vor meinem 59. Lebensjahr stehe. Das macht die Waldluft.“ Ach, die gute Waldluft.

Der Andrang auf die Kurse sei sehr groß, sagt Wedel. Am Anfang dachte man, nach ein paar Mal werde die Sache vorbei sein. Doch dann kamen immer mehr Interessierte, inzwischen wurden über 200 Lehrgänge durchgeführt. Kein Wunder: Holz ist seit einigen Jahren als Heizmaterial wieder begehrt. So begehrt, dass einige Revierförstereien in Berlin und Brandenburg momentan keine Selbstwerber zulassen, weil es zu wenige Bäume gibt. Zu wenig „stehendes Holz“, in Förstersprache.

Auch heute ist fast jeder zweite von den 17 Teilnehmern hier, weil er zu Hause mit Holz heizt. Einige sind gekommen, weil sie einen Garten haben, die anderen aus beruflichen Gründen: weil ihr Arbeitgeber sie schickt, damit sie den Schein machen, oder weil sie beruflich ab und zu mit der Motorsäge arbeiten müssen und sicherer werden wollen. Fünf der Anwesenden sind hier, weil sie in ihrer Firma Holzpaletten mit Motorsägen zerkleinern. Wedel fragt: „Keine Künstler anwesend oder Bildhauer?“ Jemand lacht. Es gebe immer mehr Leute, die mit der Motorsäge Skulpturen schnitzen, erklärt Wedel. „Waldbesitzer?“ Ein Mann meldet sich, er hat Wald geerbt. Wie viele Hektar, möchte Wedel wissen. Keine Ahnung, sagt der Mann.

Dann erklärt unser Kursleiter, was wir heute machen werden. Zuerst mehrere Stunden Sicherheitsbelehrung. Leises Seufzen im Raum. Dann Sägeübungen. Allgemeines Nicken. Ich bin mit Abstand die einzige Frau unter den Teilnehmenden und wäre auch mit Abstand die Jüngste, gäbe es da nicht Max, den Lehrling, auf dem im Laufe des Tages noch ein bisschen rumgehackt wird. Ansonsten sind alle sehr freundlich.

Holzsplitter in Wunden

Jürgen Wedel spricht über die Berliner Forsten und 30.000 Hektar „Erholungswald“. Er erzählt von einer Försterin, die gerade nicht arbeite, wegen Schwangerschaft. „Ich war’s nicht“, sagt jemand hinten. Allgemeines „Höhö“ unter den Teilnehmern. Dann erklärt Wedel, dass man dringend eine Unfallversicherung abschließen sollte, bevor man Bäume fällt oder sägt, und was alles passieren kann, wenn man etwas falsch macht. Er redet von Blut und herausgerissenen Fleischstücken, von Wunden voller Holzsplitter und Öl, von klaffenden Hauptschlagadern und Kollegen, die verbluteten, bevor der Rettungswagen kam.

Ich habe mir im Kopf eine Liste gemacht, mit welchen Dingen ich mich in meinem Leben schon verletzt habe. Wasserkocher, Espressokocher, Gasherd, Kachelofen, Bügeleisen, Messer: ja. Stichsäge, Bohrmaschine, Schleifgerät, Auto: nein. Dass eine Motorsäge einer Stichsäge näher verwandt ist als einem Espressokocher, beruhigt mich. Ein bisschen.

Wedel fragt, wer bisher ohne Waldarbeiter-Schutzkleidung gesägt habe. Fast alle Hände gehen hoch. „Seit 30 Jahren säg’ ick uff’m Bau, ick hatte nie Schutzkleidung“, sagt einer. „Glück gehabt, dass alles noch dran ist“, sagt Wedel. Der Mann nickt.

Helm und Ohrenschützer

Rund 200 Euro kostet die vollständige Ausrüstung: Schnittschutzhose, Schnittschutzstiefel, Helm mit Visier und Ohrenschützern, Handschuhe. Um am Kurs teilzunehmen, muss man alles dabei haben oder vor Ort ausleihen. Die Säge selbst kostet, wenn sie gut sein soll, mindestens 400 Euro, eher mehr. Plus Werkzeug und Ersatzteile. Für einen kleinen Kamin, den man dreimal im Jahr heizt, lohnt sich die Anschaffung nicht. Für ein Gutshaus mit 24 Zimmern, so wie das von unserer Landkommune, sehr. Ein Raummeter Birke, getrocknet und gespalten, kostet im Handel mit Glück 50 Euro. Macht man alles selbst, kommt man auf etwa 15 Euro.

Nach der Sicherheitsbelehrung geht es los. „Mit der Motorsäge arbeiten“, ruft Wedel, „das ist richtige Männerarbeit! Das ist Action, das ist Risiko und das trimmt den Körper.“ Den Spruch mit der „Männerarbeit“ wird er noch zweimal machen. Der Raum ist ohnehin schon voller Testosteron. Meine Freundin Johanna sagt in solchen Momenten: „Nicht zu sehr einatmen, sonst wächst dir ein Penis.“ So fühle ich mich.

„Wer von Ihnen hat denn überhaupt noch nie mit einer Motorsäge zu tun gehabt?“, fragt Wedel in die Runde. Schweigen. Niemand meldet sich. „Zu tun gehabt“ ist ein weiter Begriff. Ich habe noch nie eine benutzt, traue mich aber nicht, mich als einzige zu melden. „Sehr gut“, sagt Wedel, „dann brauche ich nicht zu erklären, wie man die Säge einschaltet und wie man sie betankt.“ In seinem fränkischen Dialekt klingt „betanken“ wie „bedanken“. Ich werde unruhig. Bei meiner ausgeliehenen Säge werde ich mich in der Tat bedanken, wenn sie im richtigen Moment anspringt.

Wir gehen raus. Inzwischen schneit es wieder. Dicke, langsame Flocken, die sich auf dem Sichtschutz sammeln. Als erstes wird ein Stechschnitt geübt. Wir sollen in einen sehr dicken, liegenden Stamm hineinsägen. „Alle mal die Säge starten!“, ruft Wedel. Um mich herum fängt es an zu rattern. Fast alle starten ihre Sägen. Benzingeruch, wie in einer Autowerkstatt. Ich stehe da und fühle mich sehr, sehr dumm. Dass man an diesem Starterdings ziehen muss, weiß ich. Und Gas geben, irgendwie. Ich fummle an meinen Ohrenschützern herum. Es fühlt sich dumpf an im Kopf, wenn man so wenig hört.

Es ist wie früher beim Schwimmunterricht, wenn man mehrere Wochen geschwänzt hat und plötzlich rückenkraulen soll. Meine Vorbereitung auf heute bestand darin, den Wikipedia-Artikel über Kettensägen zu lesen. Ich habe gelernt, dass der vordere Teil der Säge „Schwert“ heißt und versucht, mir Begriffe wie „Kettenfangbolzen“ und „Gashebelsperre“ zu merken – was in diesem Augenblick so ziemlich genau gar nichts bringt. Immerhin stehen um mich ein paar andere herum, die offensichtlich auch keine Ahnung haben.

Ein neues Gefühl: Wrumm, wrumm

Ich frage den Kursleiter, ob er mir noch mal zeigen könne, was genau ich machen muss. „Klar“, sagt er. Hier festhalten, da einschalten, hier ziehen. Wrumm – die Säge läuft. „Noch mal alleine“, sagt er, ich schalte aus und mache es noch mal alleine. Geht. Toll. Und ich entdecke ein neues Gefühl: das Bedürfnis, beim Gasgeben „wrumm, wrumm, wrrrruuummm“ zu machen statt nur einmal lange „wrummmm“. Weil es geiler ist. Im selben Moment denke ich, ein Motorradführerschein könnte auch etwas für mich sein.

Ich säge hinein in den dicken Stamm. Es macht Spaß. Späne fliegen in den Schnee, es riecht nach frischem Holz. Mein erster Schnitt ist gerade und ein bisschen fransig. Und vor allem ist er schön. Ich will noch einen machen. Und noch einen.

Dann bekommen alle in Kleingruppen mehrere liegende Bäume zugeteilt. Wir sollen Stücke sägen, die einen Meter lang sind. Alles, was kürzer ist, werde spätestens über Nacht geklaut, erklärt Wedel. „Das kriegt Füße, so schnell können Sie gar nicht gucken.“

Ein anderer Teilnehmer und ich gehen zu einer Stelle, wo markierte Birken liegen, die wir zersägen dürfen. Er ist einer von denen, die ab und zu auf Arbeit sägen müssen. Er bekommt die rechte Hälfte, ich die linke. Und los. Die Birke geht durch wie Butter. Die Säge zieht sich ins Holz rein, ich muss fast nichts machen. Gas geben, ansetzen, das Schwert durch den Stamm ziehen. Zur nächsten Stelle gehen, das Gleiche noch mal.

Schwer ist nur die Säge

Das Sägen kostet kaum Kraftaufwand. Schwer ist nur die Säge selbst, sie wiegt sechs Kilo. Die Schutzausrüstung, die ich trage, macht zusammen noch mal fünf Kilo. Ich mache weiter und stelle mir vor, wie heiß das Schwert inzwischen sein muss. Nicht anfassen, um Himmels Willen. Benzingeruch mischt sich mit Holzgeruch, dazu das Öl, das die Kette schmiert. Stechend und süß, waldig, seifig. Irgendwie wild. Und sehr, sehr gut.

Die anderen haben sich im Wald verteilt. Sie sind so weit weg, dass wir sie nicht mehr sehen können. Aber hören können wir sie: Der Wald, der heute früh so leise und idyllisch war, brummt aus allen Richtungen. Überall rattert und dröhnt es, Männer rufen einander Dinge zu. Die Tiere, die jetzt noch Winterschlaf machen, müssen uns hassen.

Als auch der letzte Stamm zersägt ist und der Schnee voller heller Sägespäne und Gott sei Dank nicht voller Blutspritzer, gehen wir zurück zum Lehrkabinett. Jürgen Wedel verteilt die Urkunden und wünscht jedem Einzelnen ein sicheres Arbeiten.

Einer, der seinen Schein schon hat, lässt sich auf einen Stuhl fallen. „Uff“, sagt er, „das war Arbeit. Nur der Helm hat genervt.“ „Bloß nicht die Schutzausrüstung weglassen!“, mahnt Wedel. „Na jetzt ham wa dit Zeuch ja“, beschwichtigt ein anderer, „dann könn’ wa’s ooch tragen. War teuer jenuch.“

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