Mubarak vor Gericht: Auf dem Anklagebett

Der 83-jährige Ex-Präsident Husni Mubarak erklärte sich am ersten Prozesstag für unschuldig. Draußen demonstrierten viele Gegner und eine Handvoll Anhänger.

Eine aufgebrachte Menge verfolgt den Prozess gegen Husni Mubarak auf einer Leinwand. Bild: dapd

KAIRO taz | Jubeltriller, gefolgt von "Gott ist groß!"-Rufen, so reagierten hunderte Menschen, als die Kamera des ägyptischen Fernsehens erstmals auf Expräsident Husni Mubarak schwenkte. Der gestürzte Pharao, auf seinem Anklagebett liegend, hinter den Gittern des Angeklagtenkäfigs: Die Menschen vor der großen Leinwand außerhalb des Gerichtssaals der Polizeiakademie, die einst Mubarak-Akademie hieß, waren hierher an den Rand der Stadt gekommen, um diesen Moment nicht zu Hause vor dem Fernseher, sondern möglichst nah an der Person zu erleben. Ausgerechnet an diesem Ort hatte Mubarak noch am 25. Januar, zu Beginn der Revolution, seine Polizeitruppen für ihre gute Arbeit gelobt.

"Ich konnte es nicht fassen, als ich ihn gesehen habe. Ich war einfach nur glücklich", sagt eine Frau, die das Bild ihres Ehemanns Ussama Ahmad hochhält, der 35-jährig während des 18-tägigen Aufstands gegen Mubarak von der Polizei erschossen wurde. "Das mit der Liege ist doch Theater, das glaubt ihm keiner", sagt sie mit Hinweis auf den kuriosen Auftritt des Diktators a. D., der auf einer Liege in den Gerichtssaal getragen wurde.

"Ich fordere die Todesstrafe für ihn. Er soll das Gleiche fühlen wie ich, als mein Mann umgebracht wurde." Besonders verärgert hat sie, dass Mubarak zeitweise sein Gesicht unter einem Kissen versteckt hielt. "Es ist ihm peinlich, dass er jetzt vor Gericht steht", schimpft sie.

Neben ihr steht eine weitere schwarz gekleidete Frau, die das Bild ihres erschossenen Sohnes Muhammad Radi hochhält. "Er war zwanzig", erzählt sie. Auch sie wünscht die Todesstrafe für Mubarak. "Wir sind Muslime und sagen, dass es Gott überlassen bleibt, zu strafen, aber Mubaraks Strafe möchte ich auf Erden erleben." Kaum hat sie zu Ende gesprochen, fliegen Steine, eine Gruppe von einem Dutzend Mubarak-Anhängern versucht vor laufenden Kameras die Gegner zu provozieren. Ein kurzes Intermezzo. Die Polizei jagt sie davon, dann wenden sich die Zuschauer wieder dem Geschehen auf der Leinwand zu.

Etwas zurückgelehnter analysiert Nabil Abdel Fattah vom Al-Ahram-Zentrum für Strategische Studien den Prozess. Für die Ägypter sei der heutige Tag vor allem eine Botschaft, meint er. "Egal, wie er am Ende ausgeht, ob er verurteilt oder freigesprochen wird. Der Erfolg ist, dass das erste Mal in der Geschichte gegen den Pharao ermittelt wurde und er von seinem Volk vor Gericht gestellt wird", sagt er. "Man kann das gar nicht überbewerten, wenn die Menschen Mubarak vor Gericht sehen. Das ist ein wichtiges Signal für die Zukunft", fügt er hinzu.

Ein wichtiges Signal

Für den Tahrir-Aktivisten und IT-Manager Wael Chalil ist das Verfahren ein großer Erfolg für die Revolution. Es zeige den Vertretern des alten Regimes endgültig, dass Mubarak weg ist, dass ihre Zeit vorbei sei. Aber auch für der Revolutionäre, glaubt er, beinhalte das Verfahren eine Botschaft. Der Prozess sei der Beweis, dass die Revolution nicht, wie manche behaupten, "gestohlen wurde". Und er beweise auch die Grenzen der Macht des Obersten Militärrats, der kommissarisch das Land verwaltet.

"Ich habe keinen Zweifel, dass die Militärs Mubarak bei seinem Abgang ein ruhiges Rentendasein versprochen haben, schließlich kam er aus ihren Reihen und war lange Jahre ihr oberster Befehlshaber", sagt er. "Selbst wir haben an dem Tag seines Rücktritts nicht an diesen heutigen Tag gedacht. Wir haben damals gerufen: Steig ins Flugzeug und hau ab. Dass er eines Tages vor Gericht stehen wird, lag damals außerhalb unserer Vorstellungskraft." Es sei vor allem dem Druck der Straße geschuldet, dass die Militärs einlenken mussten.

Neben Husni Mubarak sitzen dessen Söhne Gamal und Alaa Mubarak auf der Anklagebank, außerdem der ehemalige Innenminister Habib al-Adli und sechs seiner Assistenten. Ihnen allen wird vorgeworfen, für den Tod von 840 Demonstranten verantwortlich zu sein, die während des 18-tägigen Aufstands bei Zusammenstößen mit der Polizei, aber auch durch Scharfschützen ums Leben gekommen sind.

In der Verhandlung geht es vor allem darum, die damaligen Befehlsketten zurückzuverfolgen. In den Ermittlungsprotokollen, die an die ägyptische Presse durchgesickert sind, versuchte sich Mubarak in einer Art "Vogel-Strauß-Taktik". Er habe den Schießbefehl nicht gegeben und sei vom Innenministerium schlecht gebrieft worden, hat Mubarak zu Protokoll gegeben. Damit schiebt er die Verantwortung seinem einstigen Innenminister zu. Die Dynamik zwischen beiden dürfte sich zu einem der entscheidenden Momente dieses Prozesses entwickeln. Alle Angeklagten, einschließlich Mubarak und El-Adli, haben zu Beginn des Prozesses auf "unschuldig" plädiert.

Bis zuletzt war die Anwesenheit des 83-jährigen Mubarak in Zweifel gestellt worden. In letzter Zeit hatte es widersprüchliche Meldungen über seinen Gesundheitszustand gegeben. Während Mubaraks Anwalt Farid El-Deeb erklärte, sein Mandant leide an unheilbarem Krebs und falle immer wieder ins Koma, erklärten die verantwortlichen Ärzte des Krankenhaus im Badeort Scharm El-Scheich und auch der jetzige Gesundheitsminister Amr Hilmi, dass Mubaraks Zustand stabil und damit verhandlungsfähig sei.

Mubarak soll außerdem an einer schweren Depression leiden und seit einer Woche kaum Nahrung zu sich genommen haben. Im Prozess selbst lag er zwar auf seiner Liege, aber folgte dem Prozedere aufmerksam. Laut Gesetz hätte der Prozess ausgesetzt werden müssen, wäre der Angeklagte nicht transportfähig gewesen. Ein Angeklagter kann allerdings in einem Bett liegend oder im Rollstuhl vor Gericht erscheinen.

Hoher Erwartungsdruck

Bereits am Sonntag hatte der oberste Staatsanwalt Abdel Meguid Mahmud den Überstellungsbefehl von Scharm El-Scheich an das Gericht in Kairo unterschrieben. Und der Vorsitzende Richter Ahmed Fahmi Refaat hat den Ruf, schon zu Mubaraks Zeiten nicht nur regimefreundliche Urteile gesprochen zu haben.

Der Richter steht von zwei Seiten unter Druck. Amnesty International hat noch einmal öffentlich einen fairen Prozess eingeklagt. Er weiß auch, dass die Milliarden, die die Familie Mubarak ins Ausland transferiert hat, nur zurückgegeben werden, wenn er einen fairen Prozess leitet. Andererseits steht er unter dem Druck der öffentlichen Meinung in Ägypten. "Das ganze Land hat ihn bereits für schuldig befunden, weil sie genau wissen, was er in den letzten 30 Jahren verbrochen hat", glaubt Khalil.

Außerdem, erinnert er sich, hat die Richterschaft noch eine Rechnung mit Mubarak offen. Als sie 2006 für die Unabhängigkeit der Judikative auf die Straße gegangen waren, wurden die Richter von Mubaraks Polizei niedergeknüppelt.

Das Urteil und die Prozessführung werden unmittelbare politische Folgen haben, analysiert Abdel Fattah. "Wenn die Menschen das Gefühl haben, dass dies kein echter Prozess ist, oder wenn es ihnen zu langsam geht, werden sie ihren Ärger zum Ausdruck bringen. Die Kluft zwischen Militärrat, Übergangsregierung und Revolutionären wird dann wachsen und mit einem weiteren Vertrauensverlust einhergehen", sagt er.

Der Vorsitzende Richter Ahmed Fahmi Refaat will offensichtlich unter Beweis stellen, dass er es mit dem Verfahren ernst meint. Anders als von vielen angenommen, hat er den zweiten Verhandlungstag nicht auf nach dem Ende des gerade begonnenen Fastenmonats Ramadan verschoben. Der Fall Mubarak wird am 15. August weiterverhandelt. Sein Innenminister Habib Adli sitzt bereits morgen wieder auf der Anklagebank.

Für die Ägypter spielen im Ramadan traditionsgemäß Fernsehseifenopern eine große Rolle, die speziell für diesen Monat konzipiert werden. Da viele dieser Ramadan-Serien bereits vor der Revolution gedreht wurden, gehen sie dieses Jahr an der neuen Realität der Ägypter vorbei. Der Richter Rafaat hat das jetzt korrigiert und spannende Unterhaltung im Ramadan sichergestellt. Bei jedem Prozesstag ist das ägyptische Fernsehen live dabei.

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