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Münchener Theater über jüdisches LebenDer Schuh lässt sich nicht ausziehen

Dem jüdischen Leben der Nachkriegszeit widmet sich ein Programm der Münchener Kammerspiele – an authentischen Orten und mit manch schwieriger Verkettung.

Christine Umpfenbachs materialreiches Dokumentarstück „Zeit ohne Gefühle“ widmet sich dem Schoahüberlebenden Mordechai Teichner Foto: Julian Baumann

Von

Chris Schinke aus München

„Wohin jetzt?“, lautet der Titel eines Programmschwerpunkts über jüdisches Leben und Überleben nach 1945 an den Münchner Kammerspielen, den das Haus am Donnerstag mit Lena Goreliks Dokumentarstück „Zeit ohne Gefühle“ eröffnete. „Eine Erzählung aus Feldafing über uns alle“, wie es im Begleittext heißt. Feldafing, gelegen am Starnberger See, ist ein malerischer Ort, der mit seinem Gebirgspanorama Bewohner des Umlandes nicht erst heute zur Naherholung einlädt.

Es ist auch ein Ort, der bezeichnend für die deutsche Vergangenheit ist. Zwischen 1934 und 1945 fand sich in der dort ansässigen Ausbildungsstätte „Reichsschule“ die künftige NS-Elite ein. Nach dem Krieg verwandelten die amerikanischen Besatzer die Einrichtung in ein Auffanglager für jüdische „Displaced Persons“.

„Zeit ohne Gefühle“ widmet sich der Biografie des Holocaustüberlebenden und DPs Mordechai Teichner, der Zentralfigur des Abends, flankiert von dessen noch lebenden Sohn Meir, der für die Premiere aus Israel angereist kam. Für die Lebensgeschichte Teichners findet Regisseurin Christine Umpfenbach zur Form des Dokumentartheaters, einer materialreichen Montage aus Interviews, Zitaten, Dokumenten, Spielszenen.

Dabei entwickelt sich fortlaufend der Eindruck einer textlastigen Metaebene, auf der Schau­spie­le­r:in­nen ihre Rollen – in denen sie abwechselnd als Täter und Opfer agieren – reflektieren sowie den aktuellen Diskurs zur Erinnerungskultur, zu Antisemitismus und zum Gazakrieg wiedergeben.

Das Programm

„Wohin jetzt – Jüdisches (Über)leben nach 1945“, Münchener Kammerspiele, bis Dezember 2025

Die Grundthese des Abends: eine saubere Trennung von damals/heute sei nicht möglich, völkische Kontinuitäten und Ideologie bestünden bis heute. Anschaulich wird das in einer Szene gemacht, in der ein Schauspieler und „Reichsschüler“ mit dem Stiefel seiner Naziuniform kämpft – der Schuh lässt sich partout nicht ausziehen. Eingestreute AfD-Zitate von Höcke oder Gauland – „Vogelschiss“ – wollen den Fortbestand der NS-Ideologie zeigen. Der Rassenhass von einst – verkörpert im Stück von blonden Nazis in Lederhosen, die Juden drangsalieren – lebt hier und heute im Döp Dö Dö Dö Döp eines Sylter Clubs und im Ausländerhass junger Deutscher fort.

Archivraum und Gegenwartslabor

Das minimalistische Bühnenbild entfaltet sich als offenes Erinnerungsfeld: eine karge Spielfläche mit Projektionen und verschiebbaren Elementen – Archivraum und Gegenwartslabor zugleich, passend zum Metatheater. Zur reinen Projektionsfläche wird dabei aber leider auch der eigentliche Gegenstand des Stückes.

Aus der erzählerischen Auseinandersetzung mit dem DP-Schicksal der Hauptfigur und seinem Überleben der Lager Auschwitz-Birkenau, Dachau und des Außenlagers Mühldorf wird bei Gorelik und Umpfenbach im Nu eine haltlose Assoziationskette an Schauplätzen und erinnerungspolitischen Begriffen, die auf direktem Weg von deutschen Vernichtungsstätten ins heutige Israel und schließlich nach Gaza zu führen scheinen. Von der Schoah zum vermeintlichen Genozid an den Palästinensern, von 1939 bis 1945 und bis 1948 und zur Nakba.

Gorelik und Umpfenbach wollen den Diskurs über Antisemitismus, Israel und Gaza performativ einerseits vorführen, „Ja, aber was Israel gerade anrichtet, das ist …“, verheddern sich andererseits aber selbst in den Fallstricken der Diskussion, unter anderem dann, wenn sie Meir, den Sohn des Protagonisten Mordechai für ihre sämtliche Unterscheidungen einebnende Argumentation mit einem Zitat heranziehen: „Wir sehen, dass auch Israel sich in letzter Zeit zunehmend nach rechts bewegt. Viele von uns fürchten, dass wir nicht länger immun sind gegen Faschismus und Rassismus.“

In Zeiten der Boykottaufrufe, in denen Kulturinstitutionen Veranstaltungen mit Israelbezug scheuen, ist so ein Programm keine Selbstverständlichkeit

Die textlichen Abstandsgesten und ironischen Brechungen scheinen spätestens von hier an nur mehr vorgeblich, die Positionierung der Autorinnen deutlich. Täter- und Opferkategorien verschwimmen im sprachlichen Ungefähr. Was die Rollenbesetzung angeht, spielen die Akteure ohnehin Täter- und Opferrollen abwechselnd. So wird das Stück zu einem höchst unkonzentrierten wie neurotisch anmutenden Debattenabend, der eklatante antisemitische Erscheinungsformen unserer Zeit jenseits rechtsradikaler Kreise ausblendet.

Dabei wäre eine intellektuell redliche, kritische Auseinandersetzung mit israelbezogenem Antisemitismus, der seine Verbreitung gleichermaßen in der deutschen Mehrheitsgesellschaft, migrantischen wie linken Kreisen findet, besonders am Theater zu begrüßen. Das ist eine vergebene Chance, zumal man an diesem Abend als Zuschauer viel lieber mehr vom Schicksal Mordechai Teichners und der Realität anderer jüdischer Überlebender wie ihm erfahren hätte.

Spaziergang zum „Palestine Express“

Einen konzentrierten Blick auf diesen Teil der Nachkriegswirklichkeit bot glücklicherweise am Folgetag der Stadtspaziergang „Jüdisches Leben im Nachkriegs-Bogenhausen“ der Historikerin Lilly Maier, die es versteht, sinnvolle Verbindungen vom Gestern ins Heute zu knüpfen. So erfuhren Besucher, warum Bogenhausen noch heute das vermutlich jüdischste Viertel Münchens ist, und was es mit dem „Palestine Express“, der heutigen Trambahnlinie 17 auf sich hat.

Nachkriegsmünchnern war das öffentliche Verkehrsmittel ein Begriff, weil es mit der Station Möhlstraße ins Zentrum jüdischen Lebens in der Stadt führte. In dem Villenviertel bündelten sich unter Aufsicht US-amerikanischer MPs jüdische Hilfs- und Auswanderungsorganisationen wie u. a. Joint, Hias und Jewish Agency.

Hatten zuvor NS-Parteigrößen wie Heinrich Himmler in der noblen Straße residiert, wurde die Möhlstraße sowie die sie umgebenden Seitenstraßen im Nachkriegsmünchen zum quirligen Bezugspunkt vieler DPs, inklusive einer Synagoge, jüdischer Geschäfte, koscherer Restaurants und einem florierenden Schwarzmarkt, über den die US-Militärkräfte hinwegsahen und auf dem auch nichtjüdische Münchner einzukaufen pflegten.

Für Aufruhr sorgte 1949 die „Aktion Möhlstraße“, eine Großrazzia der nun zuständigen Münchner Polizei, bei der es zu massiven Gewalteinsatz kam. Von dem Einsatz von 500 Polizisten gegen in der Möhlstraße lebende und verkehrende Juden nahm die internationale Presse besorgt Notiz. Für jüdische Proteste sorgte hingegen die Berichterstattung der Süddeutschen, vor allem aufgrund des Abdrucks eines antisemitischen Leserbriefs. Bilder des Demobanners auf dem zu lesen stand: „Down with the Süddeutsche Zeitung, the Stürmer of 1949“ gingen damals um die Welt.

Der „Wohin jetzt?“-Schwerpunkt der Kammerspiele verspricht bis Jahresende vertiefende Einblicke in das jüdische Nachkriegsleben und -überleben mit Lesungen, Diskussionen und Kurzfilmabenden. In Zeiten von Boykottaufrufen, in denen Kulturinstitutionen nicht mehr nur Veranstaltungen mit Israelbezügen scheuen, sondern längst auch jüdische – man denke an das soeben im schwedischen Malmö abgesagte jüdische Filmfest –, beileibe keine Selbstverständlichkeit mehr.

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