Münchner Stadtrat: Die neue Afghanistan-Koalition

Dieter Reiter soll Oberbürgermeister von München werden. Doch voraussichtlich steht er ohne Stadtratsmehrheit da: Rot-Grün ist in der Minderheit.

Die drei Afghanen: Reiter, Schmid und Grünen-Chefin Sabine Nallinger wollen sich zusammenraufen. Bild: dpa

MÜNCHEN taz | Eigentlich könnte Dieter Reiter entspannt in die Woche starten: In seinem alten Job als Wirtschaftsreferent der Stadt München muss er nur noch drei Tage absitzen, der Donnerstag ist frei, und am Freitag wird der SPD-Politiker als neuer Oberbürgermeister vereidigt. Eine angenehme Stelle mit großem Dienstzimmer am Marienplatz und weltweiter Fernsehpräsenz, zumindest einmal im Jahr beim Anzapfen auf dem Oktoberfest.

Aber Reiter hat ein Problem: Wenn er sein neues Amt antritt, steht er voraussichtlich ohne Stadtratsmehrheit da. Seit 24 Jahren regiert die Münchner SPD zusammen mit den Grünen, doch seit der Kommunalwahl im März reichen die Sitze für ein rot-grünes Bündnis nicht mehr aus. Am Montag verhandeln die beiden Parteien deshalb erstmals mit der CSU.

Schwarz-Rot-Grün als vorerst letzter Ausweg: Alle anderen Koalitionsoptionen sind bereits weggebrochen. Nach außen gibt sich Reiter seit Wochen zuversichtlich. „Unser Ziel ist ein schnelles Ergebnis“, sagte er am Tag nach der Wahl. Eine ehrgeizige Vorgabe, denn den Posten des Oberbürgermeisters hatte die SPD zwar verteidigt, im Stadtrat verlor sie aber acht Sitze. Zur rot-grünen Mehrheit fehlte damit zunächst eine Stimme, und kurz darauf verließ ein Vertreter der SPD seine Fraktion auch noch im Streit. Egal, behaupteten die Sozialdemokraten, eine Mehrheit finde man auch ohne ihn.

Erste Ansprechpartner waren die beiden Stadträte der Piraten und der Wählergruppe HUT, ein Zusammenschluss verschiedener Bürgerinitiativen. Die zwei sagten aber ab. Sie fürchteten, in einer Koalition unterzugehen – und gründeten stattdessen mit der FDP eine Oppositionsfraktion. Kein Grund zur Sorge, sagte Reiter und plante ein Bündnis mit den beiden Stadträten der Linken. Bis er erfuhr, dass einer von ihnen in Wirklichkeit Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) ist. Für die SPD war Rot-Rot-Grün damit gestorben.

Trotzdem hoffte sie noch auf eine Stadtratsmehrheit, denn parallel hatte sie Gespräche mit der ÖDP begonnen. Die Verhandlungen liefen sogar verhältnismäßig gut, scheiterten am Ende aber an einem Münchner Kohlekraftwerk. Die ÖDP forderte, es bis 2020 abzuschalten; SPD und Grüne wollten sich dagegen auf kein konkretes Datum festlegen. Rot-Grün brach die Gespräche wieder ab, schimpfte über den Dogmatismus der ÖDP und griff auf die Notlösung zurück: ein Bündnis mit der CSU.

Große Koalition keine Option

Vor zwei Wochen baten SPD und Grüne um einen Termin. Da war Josef Schmid, Fraktionschef der Christsozialen, aber gerade in die Osterferien aufgebrochen. Zwei Wochen Mauritius, 13 Flugstunden entfernt im Indischen Ozean. Seine Frau hatte ihn nach dem Wahlkampf zum Familienurlaub verpflichtet, weshalb die Gespräche erst heute beginnen können. Bis Freitag könnten die Grundzüge der schwarz-rot-grünen Koalition stehen, beteuert Reiter jetzt. Mal wieder ein ehrgeiziges Ziel, immerhin sitzen drei Parteien am Verhandlungstisch.

Rechnerisch wäre zwar auch eine Große Koalition möglich, aber die ist für die SPD keine Option. Denn in der Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters wurde Dieter Reiter von den Grünen unterstützt. Nun können die Sozialdemokraten ihren bisherigen Koalitionspartner kaum außen vor lassen.

Und sollten auch die Verhandlungen über Schwarz-Rot-Grün scheitern? Offiziell wäre für den designierten Oberbürgermeister wohl auch das kein Problem. Er könnte ja einfach noch mal auf die ÖDP zurückkommen. „Die Tür für Gespräche ist selbstverständlich nicht zu“, sagte er vergangene Woche. In diesem Fall müsste aber selbst Dieter Reiter zugeben, dass die Zeit bis zum Amtsantritt für einen Koalitionsvertrag nicht mehr reicht.

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