Mursi-Anhänger in Ägypten: Streiten beim Fastenbrechen

Angesichts der drohenden Räumung des Protestcamps in Kairo bleibt die Führung der Muslimbrüder hart. Doch andere üben Kritik und denken weiter.

Mursi-Anhängerin in Kairo Donnerstagabend. Bild: ap

KAIRO taz | Bei den Demonstranten vor der Rabaa-Adawiya-Moschee im Osten Kairos ist keine Anspannung zu spüren, auch wenn das Innenministerium mit der Räumung des Platzes beauftragt wurde. Am Donnerstag forderte es die Anwesenden zum verlassen des Camps auf. Doch am Vorabend ließen sich Tausende zum Fastenbrechen auf der Straße nieder. Familien sitzen zusammen, ansonsten die Frauen und Männer getrennt.

Die Führung der Muslimbrüder, sofern noch auf freiem Fuss, hat sich in einen hinteren Raum der Moschee zurückgezogen. Dort bricht auch Muhammad El-Beltagi sein Fasten. Er ist neben Essam Erian einer der beiden Köpfe der Muslimbruderschaft, die noch in der Öffentlichkeit auftreten, auch wenn ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt wurde.

El-Beltagi gibt sich unnachgiebig. „Wenn dieser Sitzstreik hier tatsächlich aufgelöst wird, dann werden wir auf hundert Plätzen im ganzen Land neue Proteste beginnen“, sagt er. Es gäbe für ihn keine Lösung, ohne die Legitimität des Präsidenten zu akzeptieren.

Keine Kooperation mit „blutigen Putschisten"

Die Massenproteste gegen Mohammed Mursi vor dessen Absetzung tut er als „vom Militärgeheimdienst fabriziert“ ab. Dieser hätte den Benzinhahn und den Strom abgedreht, um die Menschen auf die Straße zu bringen.

Nach dem Fastenbrechen im Mursi-Camp Freitagnacht in Kairo. Bild: dpa

Vor seiner Festnahme hat er keine Angst: „Sie haben den Präsidenten und die Führung der Muslimbrüder verhaftet. Haben sie damit den Ärger auf den Plätzen verhindern können?“, fragt er. „Mit blutigen Putschisten kann es keine Kooperation geben,“ schließt er die Möglichkeiten von Verhandlungen mit der Übergangsregierung oder dem Militär aus.

Nicht alle auf dem Platz gehören der Muslimbruderschaft an. So mancher dort macht sich Gedanken, wie das Land wieder aus der Sackgasse kommen kann. Einer von ihnen ist Mohammad El-Gebba. Der 29jährige war seit seinem 17. Lebensjahr bei den Muslimbrüdern. Er hat für sie sogar 2011 im Delta als Parlamentsabgeordneter kandidiert. Aber kurz darauf ist er ausgestiegen.

Ihm missfiel, dass keine Frauen und jungen Leute in Führungspositionen der Muslimbrüder gelangen konnten. Und das, obwohl 80 Prozent der Mitglieder unter 30 Jahre alt seien. Er wollte mit seinen liberalen und linken Freunden einen gemeinsamen politischen Nenner finden, wurde aber von der Führung zurückgehalten.

Kritik an den Muslimbrüdern und Mursi

Auf den Platz ist El-Gebba dennoch gekommen. „Ein demokratischer Transformationsprozess und das Militär, dass passt nicht zusammen“, beschreibt er seine Motivation. Er habe selbst erlebt, wie Scharfschützen auf die Demonstranten geschossen hätten. Es seien nicht nur Muslimbrüder auf den Platz, sondern beispielsweise auch Vertreter der 6. April-Jugendbewegung.

El-Gebba kann den Ärger vieler Menschen auf die Muslimbrüder durchaus verstehen. Diese hätten während ihrer Herrschaft unverzeihliche Fehler gemacht, etwa, als sie versucht hätten, die Institutionen nur mit ihren Leuten zu besetzen. Aber dass viele Ägypter den Muslimbrüdern jetzt den Tod wünschen, das kann er nicht nachvollziehen. Auch nicht, das viele Liberale den Putsch unterstützen.

„Es wäre besser gewesen, man hätte die Protest gegen Mursi weiterlaufen lassen bis hin zum Generalstreik“, meint er. Alles wäre viel einfacher gewesen, wenn Mursi vorgezogenen Präsidentschaftswahlen zugestimmt hätte.

„Mursi hat einen Fehler gemacht, aber soll jetzt das ganze Land dafür bestraft werden,“ fügt er hinzu. Für El-Gebba ist Mursi als Präsident nicht mehr tragbar. „Er kann das Land nicht mehr führen und ist zu polarisierend,“ meint er. Demonstranten wie El-Gebba sind einer der Gründe, warum das Prädikat „Pro-Mursi-Demonstration“ für die Proteste bei der Rabaa-Adawiya-Moschee nicht mehr ganz richtig ist.

Zwischen den Muslimbrüdern und der Armee

El-Gebba schlägt als Ausweg vor, eine Kommission mit unabhängigen Mitgliedern ins Leben zu rufen, die Wahlen organisieren und überwachen soll. „Dabei wäre es besser, wenn der nächste Präsident kein Islamist wird, das wäre nicht im Interesse des Landes,“ meint er. Denn ein solcher würde erneut von den staatlichen Institutionen, dem Sicherheitsapparat, dem Militär und der Justiz sabotiert werden, wie zuvor Mursi, glaubt der junge Aktivist. Außerdem müsse ein Prozess der Versöhnung eingeleitet werden. Zuvor müssten allerdings alle, die Verbrechen begangen hätten, zur Rechenschaft gezogen werden.

Dann ist das Fastenbrechen beendet. El-Gebba entschuldigt sich zum Abendgebet und taucht wieder unter, in dieser merkwürdigen Mischung aus Mursi-Anhängern und Anti-Putsch-Demonstranten, die symbolisiert, wie komplex die Lage in Ägypten ist. Aber die Zahl derer wächst, die sich nicht zwischen Militärchef Abdel Fattah El-Sisi und dem Muslimbruder Mursi entscheiden wollen. Auch wenn sie im polarisierten Ägypten bisher eine noch kleine Minderheit bilden.

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