Museumsdirektor über Wagner-Denkmal: „Das Relief ist dingliche Quelle“

Das Stadtgeschichtliche Museums in Leipzig erwarb ein Relief, das Teil eines geplanten Wagner-National-Denkmals war. Der Direktor im Gespräch.

Die Zeichnung zeigt einen riesigen leeren Platz, der von Grün umgeben ist. In der Mitte ist ein monumentaler Quader zu sehen, das Richard-Wagner-Denkmal, das auf der riesigen Fläche trotzdem klein wirkt

Ausschnitt aus Emil Hipps Wettbewerbezeichnung zum Richard-Wagner-Denkmal, Postkarte 1933 Foto: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

taz: Herr Hartinger, zwei Reliefs des Denkmals tauchten im Sommer 2020 in Privatbesitz auf. Gemeinsam mit dem Richard-Wagner-Verband Leipzig hat sich Ihr Museum um den Erwerb bemüht. Was sprach aus Ihrer Sicht für den Ankauf?

Anselm Hartinger: Wir planen im Jahr 2022 eine Ausstellung zur Musikstadt Leipzig in der NS-Zeit. Das Objekt bietet uns die Möglichkeit, diese schwierige Epoche zu dokumentieren. Beinah zeitgleich zur Grundsteinlegung des Wagner-National-Denkmals wurde 1936 das Mendelssohn-Denkmal abgerissen. Das war ein bewusster Bruch mit einem Jahrhundert Leipziger Musik- und Kulturgeschichte.

Diese Fallhöhe müssen wir in der Ausstellung zeigen. Für uns ist das Relief eine dingliche Quelle. Als Stadtgeschichtliches Museum ist es unsere Aufgabe, Zeugnisse der politischen und kulturellen Stadtgeschichte und eben auch der NS-Zeit zu dokumentieren und Geschichten und Diskurse anhand von Objekten zu erzählen. In unserer Dauerausstellung zeigen wir auch eine in Leipzig unter Einsatz von Zwangsarbeitern produzierte Panzerfaust. Wir können uns unsere Geschichte nicht aussuchen. Das tut auch mal weh oder ist im wahrsten Sinne des Wortes ein schwerer Stein.

Über die Kaufsumme der Reliefs wurde Stillschweigen vereinbart. Warum?

Der jüngste Ankauf des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig wirft Fragen auf: Es handelt sich um ein Naturstein-Relief, das der Bildhauer Emil Hipp (1893–1965) für ein monumentales Richard-Wagner Denkmal geschaffen hatte. 1932 war er als Sieger aus einem von der Stadt Leipzig ausgerufenen Wettbewerb hervorgegangen und mit der Ausführung beauftragt worden. Adolf Hitler legte 1934 den Grundstein für das Denkmal. Bis 1944 stellte Hipp die meisten Teile fertig, aufgestellt wurde es jedoch nie. Museumsdirektor Anselm Hartinger über das Objekt als historische Quelle.

Das war eher im Interesse des Verbandes. Um Kosten zu sparen, wurden die Reliefs gemeinsam transportiert, aber die Ankäufe sind sauber getrennt. Uns hat das Relief inklusive Transportanteil etwa 6.000 Euro gekostet, die wir aus dem Ausstellungsbudget genommen haben. Das Stück wiegt 500 Kilo und ist 1 mal 1 Meter groß.

Zu sehen ist Hans Sachs auf einem Stuhl, mit dem Schumacher-Werkzeug hantierend, im Hintergrund noch ein paar Bücher und eine Feder. Daran können wir auch gut erzählen, wo möglicherweise Anknüpfungspunkte für eine spätere Indienstnahme sind, denn die „Meistersinger“ sind die Wagner-Oper, die weniger in den germanischen Nationalmythos weist, aber politisch am stärksten instrumentalisiert worden ist.

Richard Wagner ist unbestritten Antisemit gewesen, Hitler hat das Denkmal-Projekt für seine Propaganda vereinnahmt und Emil Hipp weitere Aufträge für ihn realsiert. Wie werden Sie diese Komplexitäten in der Ausstellung vermitteln?

Wir werden das Relief mit kritischer Distanz behandeln und es auf keinen Fall als Gegenstand der Verehrung präsentieren. Es ist eine Raumdominate, die man nicht leichtfertig irgendwo aufstellt. Da wird uns in Zusammenarbeit mit dem Gestalter eine Lösung einfallen. Es soll als Teil eines monströsen Nationalprojektes, mit dem Wagners Werk in sehr tendenziöser Weise ausgeschlachtet werden sollte, erkennbar sein.

Anselm Hartinger, 1971 in Leipzig geborener Musikwissenschaftler. Nach Stationen als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bach-Archiv Leipzig und Kurator der Sammlung historischer Musikinstrumente am Landesmuseum Württemberg wurde er 2019 als Direktor des stadtgeschichtlichen Museums Leipzig berufen.

In der Ausstellung werden wir auch Mechanismen der Gleichschaltung ab 1933 und dem Antisemitismus vor 1933 nachgehen, schauen, wie sich die Musikhochschulen und Konservatorien verhalten haben, was ist beim Thomanerchor gelaufen ist. Da wird es sehr viele Dokumente und Klangbeispiele geben. Aber es braucht auch ein starkes Bild, um die Wucht des Kulturbruchs zu erzählen. Dabei wird uns die Platte helfen. Wir haben sie nicht angeschafft, um einen Beitrag zur Wagner-Verehrung zu leisten oder Emil Hipp zu rehabilitierten.

Emil Hipp gilt in dem Sinne nicht als Nazikünstler“, sagte Kerstin Sieblist, Kuratorin für Musikgeschichte an Ihrem Haus, kürzlich gegenüber dem Deutschlandfunk. Laut der Kunsthistorikerin Ursel Berger war Hipp „wohl der erste Lieblingsbildhauer Adolf Hitlers“ und der Kunsthistoriker Frank Zöllner formulierte schon 2008, Hipp sei „auch stilkritisch betrachtet ein Nazi-Bildhauer ersten Ranges“. Inwieweit kann Ihr Haus einen Beitrag zur wissenschaftlichen Einordnung Hipps leisten?

Wir werden für die Ausstellung sicherlich einen kleinen Fachbeirat zusammen holen, um eine pluralere Sicht zu haben. Wir sind kein Kunstmuseum. Bei uns steht nicht das Werk von Hipp im Vordergrund. Für uns ist das Relief ein Zeugnis der massiven Indienstnahme Wagners für diesen Nationalmythos. Hipp war ohne Zweifel ein Künstler, der im Nationalsozialismus und für die Nationalsozialisten tätig war.

Er hat intensiv vom Regime profitiert und ist eindeutig in die nationalsozialistische Kunstpolitik verstrickt. Er hat diesen Auftrag angenommen und ihn unter veränderten Bedingungen nach 1933 fortgeführt, denn durch Hitlers Grundsteinlegung hat er eine vollkommen andere Dimension angenommen.

Das größere Relief zeigt Siegfried und Brünhilde. Der Verband will es der Stadt Leipzig für eine künftige Neugestaltung des Richard-Wagner-Hains zur Verfügung stellen. Unterstützen Sie die Wiederaufstellung am ursprünglich angedachten Standort?

Der Richard-Wagner-Hain ist eine ganz eigenartig verwundete Parkanlage, wo man sich nicht wohl fühlt. Ich bin dafür, dass die Geschichte des Ortes dort vermittelt wird. Ob dabei Fragmente des ursprünglichen geplanten Denkmals eine Rolle spielen, das muss die Bürgerschaft entscheiden. Wir wollen befördern, über diese Fragen nachzudenken und ins Gedächtnis rufen, was in den 30er Jahren im Bereich der Kunst und Kultur geschehen ist, um der Bürgerschaft zu helfen, sich eine Meinung zu bilden.

Keinesfalls beabsichtigt ist eine vollständige Rekonstruktion des Denkmals. Wir wollen nicht das Werk von Adolf Hitler vollenden, sondern einen Beitrag zur Debatte leisten, wie an diesem Ort daran erinnert werden kann. Ein Wiederaufbau kann nicht das Ziel sein.

Das heißt, eine Aufstellung Ihres Reliefs an diesem Ort ist nicht ausgeschlossen?

Das bleibt abzuwarten. Bei uns im Magazin liegt das Stück derzeit gut und wir werden es für die Forschung bereitstellen, so wie wir 600.000 Objekte im Magazin haben, die immer wieder neu befragt werden.

Der Ankauf trifft auf Zustimmung und Ablehnung, medial wurde in den vergangenen Wochen vermehrt berichtet. Inwieweit sehen Sie es als Ihre museale Verantwortung, die Debatte aufzugreifen, etwa Ex­per­t:in­nen zu einer Podiumsdiskussion zu laden?

Selbstverständlich werden wir uns ein kluges Veranstaltung-Programm überlegen. Wir nehmen seit Jahren ein neues Interesse an Kunst im öffentlichen Raum und an Erinnerungskultur wahr. Da sind wir als Haus intensiv eingebunden, etwa bei Straßenumbenennungen.

Wir versuchen, diese Debatten konstruktiv zu gestalten und ein Stück weit zu versachlichen. Als Historiker freuen wir uns, wenn die Gesellschaft intensiv diskutiert: Woran möchte sie erinnern? Welche Namen sind für sie wichtig? Wie will sie mit bestimmten Erbe-Bestandteilen umgehen? Das wollen wir befördern und dafür wird die Ausstellung einen Rahmen geben.

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