Musiker und Autor Sven Regener über Jazz: „Musik spricht Gefühle an“

Sven Regener erzählt vom Sound seiner Trompete. Warum er mit ihr seine Leidenschaft für Jazz neu entfacht hat, und wann er morgens zu brötzen anfängt.

Die drei Musiker stehen in einem Aufnahmestudio, schwarze Wände, Holfußboden, kahler Raum, an der Wand lehnen Klappstühle

Ekki Busch, Sven Regener und Richard Pappik Foto: Charlotte Goltermann

taz: Sven Regener, was hat Jazz, was Rock nicht hat?

Sven Regener: Ach, so verschieden sind diese Stile dann auch wieder nicht. Jazz ist überwiegend instrumental. Wenn man so will, ist es noch freiere, noch wildere Instrumentalmusik, wobei auch da die Meinungen auseinandergehen. Es gibt im Jazz einen Bereich, der sehr kontrolliert ist, Richtung klassische Musik geht. Im Grunde sind Jazz und Rock Geschwister für mich.

Wie sind Sie zur Trompete gekommen? Oder ist sie zu Ihnen gekommen?

Ich habe als 10-Jähriger Gitarre gelernt und als 15-Jähriger Trompete, weil ich Jazzmusiker werden wollte. Das war in Bremen, bei Eckfrid von Knobelsdorff. Als er 2011 gestorben ist, bin ich dann als ehemaliger Schüler eingeladen worden, ihm zu Ehren auf seiner Abschiedsfeier mitzuspielen. Das war das erste Mal nach sehr langer Zeit, dass ich wieder Jazz gespielt habe. Seit 1984, da bin ich bei Zatopek, einer jazzaffinen Berliner Band, ausgestiegen und als Trompeter im Rock ’n’ Roll gelandet.

Bei Element of Crime sind Sie der mit dem Faible für Louis Armstrong gewesen, erzählt Richard Pappik in der zweiten Folge Ihres Podcasts, als es um das zweite Album von Element of Crime geht.

Louis Armstrong mochte ich schon als Kind. Den Sound, den er auf der Trompete hatte, das war und ist Wahnsinn. Seine Aufnahmen aus den Zwanzigern, mit den Hot Five und Hot Seven aus Chicago, sind Meilensteine, Weltkulturerbe. Als ich im Alter zwischen 18 und 20 begonnen hatte, mit anderen Leuten Musik zu machen, sollte es Jazz sein, das lag als Trompeter nahe.

Da waren dann Leute wie Miles Davis und Lester Bowie große Vorbilder für mich. Gerade Lester Bowie wegen der fast schon wilden, punkigen Herangehensweise an sein Instrument. Er kommt ja aus der Gruppe der lauten Trompeter, von den Leuten, die ich am meisten mochte.

Ihr neues Werk, „Ask Me Now“, ist als Trio eingespielt. Stand die Frage nach einem Bassisten im Raum? Oder ist das eine Verbeugung vor den basslosen Bands des frühen Jazz?

Das kann man so nicht sagen, zumal im frühen Jazz, von den Brassbands her, der Bass mit der Tuba besetzt wurde. Nein, so kontrolliert geplant war das nicht, das hat sich relativ organisch und spontan ergeben. Ich habe, wenn ich Trompete geübt habe, mich dabei immer wieder mit Jazz beschäftigt. Und dann habe ich Ekki Busch, der nicht nur Akkordeon spielt, sondern auch ein ausgezeichneter Pianist ist, gefragt, ob wir das nicht mal zusammen machen wollen.

Dann stellten wir fest, wir brauchen auf jeden Fall noch einen Schlagzeuger. Die Entscheidung, es im Trio mit Richard Pappik weiterzumachen, lag einfach darin begründet, dass uns das besonders gut gefiel. Dieser knöcherne, direkte Sound, bei dem alle drei sehr deutlich zu hören sind. Das ist ein typisches Triophänomen.

Wie sind Sie bei der Titelauswahl vorgegangen?

Die Auswahl hat sich eher aus dem Spielen ergeben. Wir hatten letztendlich ein Repertoire von circa 40 Stücken und wussten, welche uns so leicht von der Hand gingen, dass wir sagen konnten, das und das könnte in einer potenziellen Aufnahme sehr charmant sein.

Dann sind wir mit 15, 16 Stücken ins Studio gegangen, und davon landeten auf dem Album 12. Aus dieser Auswahl heraus ergab sich auch eine innere musikalische Klammer, die ich jedoch nicht benennen kann. Aber das ist ja auch nicht so wichtig.

Thelonious Monk, auf den auch der Albumtitel „Ask Me Now“ zurückgeht, und John Coltrane sind je zweimal vertreten. Dann ist da einer, den man sehr oft gehört hat, vielleicht ohne zu wissen, dass er es ist: Lennie Niehaus, Filmkomponist für Clint Eastwoods Charlie-Parker-Film „Bird“.

Ja, Niehaus, „Bunko“, der ist eine super Herausforderung, die macht Spaß. Das ist Jazz, Jazz, Jazz, dieses Schnelle, Energetische, was kann man da noch wollen? Natürlich merkt man uns an, dass Stücke, die eher Songs sind, wie Arthur Herzogs und Billie Holidays „Don’t Explain“, uns sehr nahe sind. Das, was ich „Jazz, Jazz Jazz“ genannt habe, hat noch mal eine andere Farbe, ähnlich wie der „Cool Blues“ von Charlie Parker, wobei da der Blues uns als Rockmusikern auch nicht fremd ist.

Da sind wir wieder bei der Frage „Jazz und Rock“. Richard Pappik, unserer Drummer, von Haus aus Krautrocker, ist da eine sehr gute Brücke. Einerseits Rockschlagzeuger, relativ grade, aber sehr verspielt, nicht berechenbar. Dann sind unsere Soli nicht sehr lang, eher Mi­nia­turen, Versuche übers Thema. So weit weg von dem, woher wir kommen, ist das nicht. Wir spielen sehr kompakt und auch ein bisschen mit einer Anmutung des früheren Jazz, als das Kompakte viel normaler war, vor Erfindung der Langspielplatte.

Sind Sie passionierter Plattensammler, und frequentieren Sie Flohmärkte?

Nein, eigentlich nicht. Ich habe Freunde mit großen Sammlungen, zur Not profitiere ich davon. Als ­Sammler war ich immer schon ein Flop, ich bin als Kind schon ein schlechter Briefmarkensammler gewesen. Das ist eine Neigungsfrage. Ich bin aber leidenschaftlicher Musikhörer. Wenn ich an den Streamingdiensten leide, dann ist es nur wegen der mitunter schlechten Qualität, und deshalb habe ich auch wieder angefangen, Vinyl zu kaufen.

Die letzte Flohmarktplatte aber, das war 1981 in Lüneburg, da habe ich mir das Album „On the Corner“ von ­Miles Davis gekauft, und zwei Jahre habe ich gebraucht, bis ich Spaß dran gefunden habe. Das war was anderes als „Kind of Blue“, schon vom Cover her.

Jazz hat, beispielsweise über John Coltrane, in der US-Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre eine große Rolle gespielt. Heute sind es Musiker wie Kamasi Washington, die sich auf den Freiheitsgedanken beziehen.

Jazz ist Musik afroamerikanischen Ursprungs, und natürlich waren seine Künstler von Anfang an mit Ausgrenzung konfrontiert, mit der Frage, wo sie auftreten, wo sie im Bus oder der Eisenbahn sitzen dürfen. Natürlich verbindet das dann. Soll man per se Musik und Politik kombinieren?

Da haben wir ein Dilemma. Musik ist Geschmacksache, Politik ist es nicht. Politik ist auch keine Frage kultureller Prägungen, sondern eine von Vernunft und Aufklärung, finde ich. Musik spricht die Gefühle an. In der Politik halte ich Gefühle für gefährlich.

Sie haben beim fünften Geburtstag der taz gespielt, erzählen Sie in Ihrem Podcast.

Ja, 1984 im Tempodrom, vor den 3 Tornados. Das war aber mit Neue Liebe, der Vorgängerband von Element of Crime. Wir waren eine eher bläserorientierte Avantgarde-Krachband, haben seltsame Musik gemacht, mit einem Sänger, der seine Stimme wie ein Instrument handhabte. Wilder No-Funk-Kram, das kam nicht gut an. Die 3 Tornados dafür umso besser, die haben allen Beteiligten den Abend gerettet.

Stichwort Avantgarde. Peter Brötzmann, der Impulsgeber des europäischen Free Jazz, wird heute, am Sonnabend, 80. Hören Sie Ihn?

Peter Brötzmann, klasse, natürlich! Ein Pionier, ein großer Künstler, dessen Konsequenz ich sehr bewundere. Wobei, man steht nicht morgens auf und legt sich eine Brötzmann-Platte zum Wachwerden auf, das macht wahrscheinlich niemand. Aber es gibt dieses Verb, „brötzen“, das geht auf ihn zurück. Ich fange mal an zu brötzen, toller Begriff.

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