NGO in Russland: Memorial droht ein neuer Prozess

Den Menschenrechtsaktivisten wird vorgeworfen, zum Umsturz aufzurufen. Im Falle einer Klage droht Memorial die Schließung.

Russlands Präsident Wladimir Putin.

Kein Freund von Nichtregierungsorganisationen: Regierungsorganisation Putin. Foto: reuters

MOSKAU taz | Wieder ist die Menschenrechtsorganisation Memorial ins Fadenkreuz der russischen Justiz geraten. Diesmal flatterte der Nichtregierungsorganisation ein Bescheid des Justizministeriums ins Haus, in dem ihr vorgeworfen wird, „die Grundlagen des verfassungsrechtlichen Aufbaus der Russischen Föderation zu untergraben“ und zum „gewaltsamen Umsturz des politischen Systems aufzurufen“.

Memorials Menschenrechtspolitik und die Aufarbeitung der Stalinistischen Vergangenheit waren den Moskauer Machthabern seit jeher ein Dorn im Auge. Bislang beschränkten sich die Behörden jedoch darauf, den Bürgerrechtlern verwaltungsrechtliche Nadelstiche zu verabreichen.

Nun dürfte die Atmosphäre noch ungemütlicher werden. Am 6. November war das Menschenrechtszentrum Memorial - ein eigenständiger Ableger Memorials - bereits offiziell in das staatliche Register der „ausländischen Agenten“ übernommen worden. Diesen Titel müssen sich seit 2012 Organisationen zulegen, die zur Finanzierung auch auf Gelder aus dem Ausland zurückgreifen.

Der Vorwurf einer anti-staatlichen Verschwörung hätte erstmals strafrechtliche Konsequenzen, sollte die Staatsanwaltschaft grünes Licht geben. Bei der turnusmäßigen Überprüfung der Website Memorials, die bei „ausländischen Agenten“ häufiger vorgenommen wird als bei Nichtagenten, hatte das Ministerium vor allem an zwei Fällen Anstoß genommen: Russlands Vorgehen in der Ukraine falle „unter die Definition Aggression“, hatte es auf dem Portal geheißen.

Russische Soldaten im Krieg

Das Ministerium monierte, dass führende Köpfe der NGO von einer „direkten Beteiligung russischer Soldaten in Kriegshandlungen auf dem Gebiet eines fremden Staates“ sprechen. Moskau streitet dies bislang trotz erdrückender Beweise ab.

Ministeriellen Unmut weckte auch die Kritik an den Prozessen gegen Demonstranten, die im Mai 2012 gegen die Amtseinführung Wladimir Putins auf die Straße gegangen waren. Dutzende Demonstranten wurden unter fadenscheinigen Anschuldigungen im sogenannten „Bolotnaja“- Prozess später zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Der Hinweis Memorials, dass Beweise von Ermittlern und Richtern fabriziert worden seien, wertete das Ministerium als Rechtfertigung von Massenunruhen. Offensichtlich werde Kritik an der Regierung mit Umsturzversuchen vom Ministerium gleichgesetzt, wehrte sich Memorial in den sozialen Medien.

Alles in allem gefällt den Machthabern nicht, dass die NGO „politisch tätig“ ist, da sie darauf abzielt, die „öffentliche Meinung zur Politik der höchsten Staatsorgane negativ zu beeinflussen“. So deutlich hatte es bisher niemand gesagt.

Memorials Hausjurist, Kirill Korotejew, will neben einem Strafprozess gegen einzelne Mitglieder auch die Möglichkeit einer Klage nicht mehr ausschließen, die mit der Schließung Memorials endet.

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