NS-Artikel in Sachsen erschienen: Nazis? Die kommen nicht von hier

In Rosenthal-Bielatal wird im Gemeindeblatt ein NS-Artikel nachgedruckt. Unkommentiert. Für den Bürgermeister offenbar kein Problem.

an einen Baum ist ein Stück Soff getackert, auf dem „Eiland“ steht

In Bieletal nennt man die tschechische Nachbarstadt Ostrov gern noch beim alten Namen „Eiland“ Foto: Laurin Lorenz

ROSENTHAL-BIELATAL taz | Auf einmal ist Sachsen, ist Deutschland zu Ende. Die Straße durchs Bielatal bricht ab. Die vereinsamten Mühlen am Bach lassen vermuten, dass es in diesem Winkel der Sächsischen Schweiz einmal geschäftiger zugegangen ist. Links oberhalb der Straße liegt der Ortsteil Rosenthal, rechts davon der Ortsteil Bielatal – beide Dörfer bilden eine Gemeinde.

Die Straße mündet in einen Parkplatz, der den Touristen als Ausgangspunkt ihrer Wanderungen und Klettertouren dient. Heute ist niemand gekommen, um die Herkulesfelsen zu erklimmen, die spitz wie Zapfen in die Höhe ragen. Eine verwunschene Landschaft. Nur drei bis vier Kilometer sind es bis Tschechien, ein kleiner Spaziergang. Manchen genügt auch der Blick ins Nachbarland von einem Felsplateau aus, das sich kurz vor der Grenze erhebt. Vor und nach der NS-Zeit hieß das Plateau Grenzplatte, die Nationalsozialisten tauften es in „Siegerplatte“ um.

Auf der „Siegerplatte“ stand 1938 eine Fahnenstange mit einer großen Hakenkreuzflagge. Seit August 2018 ist diese Fahnenstange den älteren Menschen von Rosenthal-Bielatal wieder ins Bewusstsein gerückt, den jüngeren überhaupt erst bekannt geworden. Ein Artikel im Dorfblatt, der amtlichen Gemeindezeitschrift, berichtete vom „Grenzlandsingen“, das als Sonnenwendfeier im Juni 1938 auf der „Siegerplatte“ stattfand. Der Text war ein Nachdruck aus der NSDAP-Zeitung Der Freiheitskampf.

„Voller Sehnsucht und Hoffnung“, heißt es dort, blickten die „sudetendeutschen Brüder“ aus der tschechischen Stadt Eiland, dem heutigen Ostrov, auf die deutsche Seite der Grenze. Als die Hakenkreuzfahne im „hellen Fackelschein“ leuchtete, stimmte die Ortsgruppe der Hitlerjugend das „treue deutsche Herz“ an. Am Ende der Veranstaltung grüßten „die Deutschen beiderseits spontan ihren ‚Führer‘ – die Sudetendeutschen freilich dürfen es nur mit dem Herzen.“

„Nazi-Propaganda im Amtsblatt“

Ausgewählt für das Gemeindeblatt hat den Text der Ortschronist Hans-Georg Hering. Ein älterer Herr, der mehrfach am Telefon eine Antwort verwehrt und auch auf Türklopfen nicht reagiert. Für den Inhalt des Dorfblatts verantwortlich ist der Bürgermeister Gebhard Moritz. Er immerhin empfängt den Besucher, wenn auch unwirsch, da er auf die Presse „nicht gut zu sprechen ist“. Die Sächsische Zeitung hatte ihn für die Veröffentlichung unter der Überschrift „Nazi-Propaganda im Amtsblatt“ kritisiert. Aus fachlicher Sicht sei nicht vertretbar, Zitate aus einem Propagandatext ohne erklärenden Kommentar zu drucken, hieß es in der SZ.

Gebhard Moritz bittet in sein Amtszimmer. Für den 58-Jährigen mit Silberbart ist die Sache erledigt, eigentlich will er sich gar nicht dazu äußern, hat er am Telefon erklärt. Schließlich habe er den Artikel in Anführungszeichen setzen lassen.

Der Bürgermeister über Neonazis

„Das wurde von den Linken hochgespielt“

„Die linken Vertreter müssen lernen, dass dies Geschichte ist. Sie haben hier nicht die Deutungshoheit.“ Das Thema abgeschlossen, lehnt sich Moritz nun entspannter in den Sessel zurück. Seine mit Schrammen versehenen Hände zeigen, dass sein Brotberuf nicht in der Gemeindestube ist. Ehrenamtlicher Bürgermeister ist der CDU-Mann seit 2008, hauptberuflich montiert er Haushaltsgeräte und betreibt den einzigen kleinen Laden im Dorf.

Hinter seinem Schreibtisch hängt ein Aquarell der sächsischen Berge, im Regal steht ein bayrischer Maßkrug, ein Urlaubssouvenir. „Die Sachsen haben ja etwas, das man nur bei den Bayern und in Tirol wiederfindet: den Fleiß.“ Und der käme von den Bergen, erklärt Moritz. Für seine Gemeinde scheut der Bürgermeister keine Mühen. Anwohner erzählen, wie er die Straßen nach Unwetter von Ästen freischneidet oder mit seiner Frau Suppe an die Einsatzkräfte verteilt, wenn es in der Gegend ein Feuer gab.

Die AfD erreichte bei den Bundestagswahlen 2017 knapp 39 Prozent in Rosenthal-Bielatal und wurde stärkste Kraft. Bei den Kommunalwahlen im Mai könnte die AfD auch auf Gemeindeebene die meisten Stimmen holen.

Die AfD punktet

Schlecht geht es den 1.600 Einwohnern dem Anschein nach nicht. Fast jeder hat ein Haus mit Garten, es gibt ein reges Vereinsleben. Wer die Natur mag, lebt hier gut. Die einzige Flüchtlingsfamilie ist bestens von Ehrenamtlichen versorgt. Was also ist los in diesem Dorf, in dem NS-Artikel nachgedruckt werden, die AfD punktet und sich alle von links distanzieren, aber nicht von rechts?

Einer, der eine Antwort geben könnte, ist Thomas Winkler. Der Gemeinderat der Linken – einer von zweien – lebt im Nebengebäude einer der ehemaligen Mühlen im Tal. Winkler sprach sich in der Gemeinderatssitzung gegen die Veröffentlichung des Textes aus der Nazizeit im Dorfblatt aus. Er war es auch, der die Presse informierte. Die Gemeindevertreter warfen ihm daraufhin Stasi-Methoden vor, erzählt Winkler. Seine langen grauen Haare und sein buntes Hemd trägt der Mann, der in Dresden ein Mühlenmuseum betreibt und Immobilien besitzt, offen. Im Ort gilt er als Exot.

Als Zugezogener komme man in der Dorfpolitik nicht weit, sagt Winkler. Dass es im Ort noch möglich sei, mit dem Thema Sudetenland zu kokettieren, hält er für die Folge eines misslungenen Geschichtsunterrichts. Die Vorgeschichte der Sudeten und ihre Rolle während des Nationalsozialismus werde einfach ausgeblendet. „Hier im Ort zählt nur die familiäre Bande.“ Rund 300 “Umsiedler“ ließen sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Rosenthal-Bielatal nieder. Die Allermeisten waren Vertriebene aus dem Sudetenland.

Im Dorf stößt man auch heute noch auf Spuren des einstigen Eiland, der Stadt auf der anderen Seite der Grenze, die heute Ostrov heißt. Auf einem Baum ist ein mittelalterliches Wappen, in dessen Mitte ein sakral anmutendes Ei mit der Inschrift Eiland prangt. Auf der Heckscheibe eines vor der Gemeindestube parkenden Autos ist das gleiche Wappen zu sehen. Daneben der Schriftzug „Club Las Vegas“.

Das letzte Lokal hat längst dicht gemacht

Das Las Vegas ist der örtliche Jugendtreff, der sich auf der Rosenthaler Seite des Baches befindet. Es ist kurz nach 17 Uhr. Nach und nach treffen Autos ein, meist junge Männer, noch in Arbeitsmontur, steigen aus. Erst vor Kurzem haben sie die alte Sporthalle in Eigenregie renoviert. Maik Lindemann, Anfang 30, gehört zu den Älteren unter ihnen. Er zeigt die neue Bühne und die sanierten Toiletten. „Zuerst haben wir es mit Förderungen und Gemeinnützigkeit versucht“, erzählt er.

Das hätten sie aber schnell aufgegeben. „Zu viel Bürokratie und zu viel Politik, das kommt bei der Dorfjugend nicht gut an.“ Sie haben sich deshalb nach privaten Geldgebern umgesehen, um einen Treffpunkt einzurichten, der auch für größere Events ausgelegt ist. Im Ort hat das letzte Lokal längst dicht gemacht, andere Räume stehen nicht zur Verfügung.

Laut der draußen aufgestellten Tafel mit den örtlichen Sponsoren heißt die frisch renovierte Halle jetzt „Kulturpalast Rosenthal“ – in guter sozialistischer Tradition. Lindemann und seine Kumpel lachen über ihre Formulierung. Als Bauträger wird der „Wohlfahrtsverband Eiland“ angeführt. Darunter eine europäische, eine deutsche und eine sächsische Flagge – alle durchgeixt. Und eine Karikatur von Angela Merkel, auch sie ist durchgekreuzt. „Dieses Projekt wird nicht von Land, Bund, Kreis, EU oder Mutti gefördert“, steht dort fett.

„Wir wollen nichts mit der Politik zu tun haben“, sagt einer der Männer. Er trägt als einziger keine Arbeitsklamotten, sondern eine grüne Militär-Fleecejacke. Im Haus neben dem Gemeindeamt hat er, ein Physiotherapeut, eine eigene Praxis. „Heutzutage wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt“, mischt sich ein anderer ein. „Wer nicht links ist, ist sofort rechts!“. Auf keinen Fall wollten sie etwas annektieren, schon gar nicht die tschechische Nachbargemeinde. Die Runde nickt beifällig.

Kieferbrüche und traumatisierte Jugendliche

Von Rechten seien ihre Veranstaltungen bisher nicht vereinnahmt worden, sagt Maik Lindemann, der trotz zugestandener Politikverdrossenheit für die CDU im Gemeinderat sitzt. Gegenüber Hitlergruß und Rechtsradikalen „gibt es Nulltoleranz“. Er selbst war bei einer Geburtstagsfeier im Jugendklub vor mehr als zehn Jahren dabei, als plötzlich „die“ aus ihren Autos stiegen und begannen auf die Feiernden einzuschlagen. Kieferbrüche und traumatisierte Jugendliche – irgendjemand im Ort muss den Neonazis Bescheid gegeben haben.

Viel mehr über Nazis im Ort will niemand sagen. 2007 gab es eine Razzia in der alten Mühle im Tal. Dort hatten Mitglieder der verbotenen Skinheads Sächsische Schweiz einen Szenetreff hochgezogen. Viele von ihnen erhielten Strafanzeigen, wurden verurteilt. Die Behörden stoppten den Umbau. „Die kommen nicht von hier“, erklären die jungen Männer vom Las Vegas. „Das wurde von den Linken hochgespielt“, sagt der Bürgermeister. In den letzten Jahren ist es hier ruhiger geworden.

Eine Strategie gegen das Fort- oder Wiederaufleben der Neonaziszene hält Bürgermeister Moritz deshalb für nicht notwendig. Das Grundproblem sei doch, dass diese Rechten durch die Fehler der Politik „gefüttert werden“. Dass knapp 40 Prozent seiner Gemeinde bei der letzten Bundestagswahl für die AfD gestimmt haben, kann er nachvollziehen. Die Bundespolitik gängele kleine Gemeinden. Die Beamtenschaft – die Moritz „den Filz“ nennt – müsse aufgebrochen werden. Rosenthal-Bielatal wurde 2000 teilweise in die Verwaltungsgemeinschaft Königstein eingegliedert. Die Buhmänner sind jetzt in Königstein, Pirna, Dresden oder Berlin.

NPD-Gemeinderat im Nachbardorf

Moritz zeigt Verständnis für die Anliegen der AfDler: „Wenn da vernünftige Leute kommen, werde ich mich nicht abgrenzen.“ Das, was sie damals mit der NPD gemacht hätten, machten sie jetzt mit der AfD. „Sie werden in die rechte Ecke gestellt.“ Aber nimmt die AfD der CDU nicht die Wähler weg? Moritz will lieber über etwas anderes sprechen. „Die Wessis können uns nicht immer die Welt erklären.“

Hier in der Gegend seien Fehler gemacht worden. „Jetzt, mit Kretschmer als Ministerpräsident, bekommen wir Kommunen wieder mehr Geld. Das zählt“, sagt er. „Schauen Sie, selbst der NPD-Gemeinderat im Nachbardorf war privat ein ordentlicher Mensch“, fährt er fort. An den Namen kann sich der Bürgermeister nicht mehr erinnern.

Moritz sitzt zurückgelehnt in seinem Sessel. Schon vor mehr als 40 Jahren saß er in diesem Zimmer. Damals war es ein Klassenraum und Moritz Oberschüler. Hinter ihm hängt das Gemälde der verwunschenen Berge. Auf dem Aquarell sind die Bergspitzen klar, das Dorf im Tal ist in Nebel gehüllt – Hakenkreuzfahne ist keine zu sehen.

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