NS-Aufarbeitung in Hamburg: Ermittlungen gegen SS-Aufseherin

In Hamburg laufen erstmals Ermittlungen gegen eine ehemalige SS-Aufseherin, die an einem Todesmarsch beteiligt gewesen sein soll. Die streitet alles ab.

Vom KZ Groß Rosen aus begann der Todesmarsch der Häftlinge nach Gubin. Bild: Wikimedia / CC-BY-SA 3.0

HAMBURG taz | Mord oder Beihilfe? Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hamburg gegen die ehemalige SS-Aufseherin Hilde Michnia stehen erst am Anfang. „Der Verlauf der Ermittlungen ist noch nicht absehbar, bisher besteht der Verdacht der Beihilfe zum Mord, das kann sich aber ändern“, sagt Oberstaatsanwältin Nana Frombach, Sprecherin der Hamburger Behörde.

Eine Anzeige löste die Ermittlungen wegen der Beteiligung an einen Todesmarsch 1945 aus. „Ich hoffe, dass für die Öffentlichkeit diese Tat aufgeklärt werden kann“, sagt Hans-Jürgen Brennecke, der die Anzeige stellte. Seit Ende Januar laufen bei der Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen die 93-Jährige aus Schenefeld. Hier nahe Hamburg lebt die Witwe seit 1970 in einer Hochhaus-Siedlung. Bisher konnte sie nicht vernommen werden, sagt Frombach.

Gegen Ende des Dritten Reiches müsse die Aufseherin zum Konzentrationslager Bergen-Belsen gekommen sein, sagt Stephanie Billib von der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Von 1941 bis 1945 starben unter Bewachung der Wehrmacht und SS in dem Konzentrationslager in der Lüneburger Heide 52.000 Häftlinge an Hunger, Seuchen und aus Kälte. Die Staatsanwaltschaft hält Michnia, geborene Lisiewicz, vor, 1945 als Aufseherin an einen so genannten Todesmarsch der Häftlinge vom KZ Groß-Rosen nach Gubin beteilig gewesen zu sein, bei dem von etwa 2.000 Frauen nahezu 1.400 starben.

Bereits 1945 verurteile ein britisches Militärgericht in Lüneburg Michnia, die fünf Jahre bei der SS war, zu einem Jahr Haft. Das Gericht folgte einer Inhaftierten, die aussagte, dass die damals 23-jährige SS-Aufseherin Häftlinge misshandelt hätte. 15 Angeklagte sind in dem Prozess freigesprochen worden, 19 wurden zu Haftstrafen verurteilt, elf weitere SS-Angehörige wurden hingerichtet.

Mit den sogenannten Todesmärschen in der Endphase des Zweiten Weltkriegs wollten die SS-Wachmannschaften einerseits Beweise ihrer Verbrechen vor den heranrückenden Alliierten entfernen.

Außerdem wurde teilweise versucht, die Häftlinge als Arbeitskräfte in andere Lager zu bringen.

Viele der Opfer kamen wegen Erschöpfung auf diesen Märschen um, viele wurden vom Wachpersonal erschossen oder erschlagen.

„Das war ein Schauprozess“, sagte Michnia gegenüber der taz. Zu den neuen Ermittlungen erklärte die Witwe und Mutter dreier Kinder: „Das ist alles erlogen.“ Bei dem Marsch, bei dem sie dabei gewesen sei, sei keiner umgekommen. „Bitte belästigen Sie mich nicht weiter“, schiebt sie nach, ihr ginge es durch dieses Nachfragen körperlich nicht gut.

Zwar darf für eine Tat niemand zwei Mal vor einem deutschen Gericht angeklagt werden. In diesem Fall fand die Verhandlung aber vor einem britischen Militärgericht statt, sagt Frombach, zudem werde überprüft, ob alle Taten damals verhandelt worden.

Der Lüneburger Hans-Jürgen Brennecke, der die Anzeige gegen Michnia gestellt hat, setzt sich seit zehn Jahren mit der Geschichte des Nationalsozialismus in seiner Heimatstadt auseinander. Bei der Vorführung des Films „Close to Evil“ in einem Gesprächskreis in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme fiel dem 70-Jährigen Michnia auf.

In der Dokumentation von Gerry Gregg versucht der Shoa-Überlebende Tomi Reichental mit Michnia zu reden. Der Film zeigt das Scheitern des Gesprächsversuchs von Reichental, der, weil er Jude ist, als Neunjähriger aus der Slowakei nach Bergen-Belsen deportiert worden war. Auf Michnia war Reichental durch den Hinweis einer früheren Nachbarin gekommen. Der hatte Michnia erzählt, Aufseherin in Bergen-Belsen gewesen zu sein. Nach einer Radiosendung mit Reichental suchte diese Nachbarin, die kurz nach dem Gespräch nach Irland gezogen war, den Kontakt zu ihm.

Die Chancen seiner Anzeige kann Brennecke nicht abschätzen. Denn bislang hat die deutsche Justiz weder einen Wachmann noch eine Wachfrau wegen der Beteiligung an einem Todesmarsch verurteilt. „Mit der Anzeige will ich keine alte Frau ärgern“, sagt Brennecke. „Doch dieses Verbrechen muss auch juristisch als Verbrechen aufgeklärt werden.“ Eine Einsicht in ihre Verantwortung erwartet er bei der ehemaligen SS-Aufseherin nicht: „Sie verhält sich wie so viele Täter und Täterinnen nach 1945. Sie will nichts gesehen, bloß Befehle befolgt haben und gar gezwungen gewesen sein.“

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