Start der 1. Fußball-Bundesliga: Die große Soap-Opera

Zum Saisonbeginn der Bundesliga sind viel Zoff, irrlichternde Torhüter und bald ein Ösi-Klub zu erwarten. Elf Thesen.

Hat schon für so manchen Unmut gesorgt: HSV Torwart René Adler Bild: reuters

1. Liga ist nicht WM. Gut so!

Kein Elfmeterschießen, wenige Sensationen, kaum Shootingstars. Hier gibt es keine mit Hochspannung aufgeladene K.-o.-Phase, wichtige Entscheidungen fallen erst während der letzten Spieltage, also in neun Monaten. Die Bundesliga ist nicht die WM und auch nicht der Pokal.

Liga heißt Fußballalltag – und ist deshalb etwas für Liebhaber. Für Menschen, die trotz des ganzen kommerziellen Brimboriums an einem Dienstagabend im November das Flutlichtspiel des Tabellenvierzehnten gegen den Fünfzehnten sehen wollen. Vielmehr: sehen müssen. Denn Freiburg gegen Paderborn kann so schön sein.

2. Es gibt keine „Typen“ mehr.

Mit Erzkonservativen, die auf die Straße gehen, begann in den USA der Aufstieg einer rechten Bewegung. Sind Anti-Homo-Proteste und AfD erste Anzeichen einer deutschen Tea Party? Eine Spurensuche in der taz.am wochenende vom 23./24. August 2014. Christine Preißmann ist Autistin und Psychotherapeutin. Ihre Patienten profitieren. Und: Der rote Kretschmann: Ein Portrait von Bodo Ramelow, der vielleicht der erste Ministerpräsident der Linken wird. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Wo sind sie hin, die eckigen und kantigen Charaktere, all die unbequemen „Super-Marios“ oder, um in der Liga-Historie weiter zurückzugehen, die Walter Froschs? Trainer, die am Spielfeldrand rauchen, Spieler, die aus dem Trainingslager ausbüxen und in die Disco gehen. Das „Kampfschwein“ ist zum „Schweini“ geworden – und selbst der ist inzwischen erwachsen.

Der Verlust „echter Typen“ hat viele Gründe: die Professionalisierung des Spiels, der zunehmende Druck auf die Spieler. Und letztlich ist Fußball eben auch Abbild gesellschaftlicher Veränderungen: mehr Pop, mehr Leistung, weniger Originalität.

3. Klasse, der BVB-Bayern-Zoff.

Sie beharken sich wie zwei alte Xanthippen, die Vereinsbosse von Bayern München und Borussia Dortmund. Man möge doch bitte schön „einfach mal den Mund halten“, schimpfen die Gelben. Der Rekordmeister lasse sich „von niemandem den Mund verbieten“, geifern die Roten.

Das ist noch besser als der Zickenzoff zwischen Claudia Pechstein und Anni Friesinger vor ein paar Jahren. Die Liga, das beweist der Zwist der Schwergewichte, ist nichts anderes als eine große Soap-Opera in 34 Folgen.

4. Willkommen in der Dreiklassengesellschaft.

In der Bundesliga wisse man ja schon vorher, wer gewinnt, ätzte José Mourinho neulich: Bayern oder Dortmund. Was man darüber hinaus noch weiß: Die Liga ist eine Ständegesellschaft mit den Abstiegskandidaten (mutmaßlich Paderborn, Mainz, Berlin oder Augsburg), einem etwas breiterem Mittelfeld (mutmaßlich Bremen, Schalke, Stuttgart, Hoffenheim oder Gladbach) und den Meisterschaftskandidaten, zu denen vielleicht noch Leverkusen zählt. Berechenbar erscheint die Liga, zu berechenbar.

5. Die Bundesliga ist zu deutsch.

Anders als in den Erfolgsligen in England und Spanien schottet man sich hierzulande bei der Besetzung der Trainerposition weiter von internationalen Einflüssen ab. Die altbewährten Armin Veh und Thomas Schaaf sollen in Stuttgart und Frankfurt Neues schaffen.

In Leverkusen kommt man sich schon reichlich kühn vor, weil man den in Österreich zum Erfolgstrainer gereiften Roger Schmidt unter Vertrag nahm. Die Einstellung innovativer Strategen vom Schlage eines Diego Simeone (Atlético Madrid) werden als ein zu großes Wagnis erachtet. Der Mainzer Kasper Hjulmand? Eine Ausnahme!

6. Achtung, die Neuer-Jünger stürmen raus!

Strafraumbeherrschung – das war einmal. Hymnisch wurde Manuel Neuer während der WM für sein raumgreifendes Torwartspiel gefeiert. Die Folgen sind absehbar. Jede Gelegenheit werden die Kollegen von Neuer nutzen, um ihren patzenden Vorderleuten wo auch immer zur Seite zu stehen.

Angesichts des erwartbaren schlechteren Augenmaßes und Timings dürfte der gegenteilige Effekt eintreten. Es werden noch mehr Tore fallen. Nur wenige sind für den großen Sprung nach vorn geschaffen.

7. Ganz vorne trotz Retrokick

Ausgerechnet der Branchenführer setzt auf Retrofußball. Man wähnte sich beim FC Bayern mit der Verpflichtung von Pep Guardiola, dem Obergelehrten des Ballbesitzfußballs, für die Zukunft gerüstet. Doch seit die Erfolgsgeheimnisse der Ballmonopolisten beispielhaft von Real Madrid in der Champions League und von Holland bei der WM dechiffriert worden sind, droht Pep zu einem Gestrigen zu werden. Er wolle sein System verfeinern, heißt es.

Die überlegene individuelle Klasse, die sich der FC Bayern leisten kann, könnte genügen, um Meister zu werden. Ansonsten läuft der Klub der Entwicklung des internationalen Fußballs wieder hinterher.

8. Hier werden Weltmeister ausgebildet.

Welche Effekte der deutsche Weltmeistertitel wohl für die Bundesliga haben wird? Die Frage ist beliebt. Interessanter aber ist, den Zusammenhang von der anderen Seite aus zu betrachten. Nur drei deutsche Nationalspieler im WM-Finale waren nicht an einen Bundesligaklub vertraglich gebunden. Die heimische Liga ist zu einer optimalen Ausbildungsstätte für talentierte Fußballprofis geworden.

Zuerst wurden den Vereinen Investitionen in die Nachwuchsarbeit auferlegt. Mittlerweile haben viele erkannt, dass sie nur durch die Integration der eigenen Talente wettbewerbsfähig bleiben können. Das Nationalteam wird auch von den Talenten, die in dieser Saison nachdrängen, profitieren.

9. Blechen für Polizeieinsätze – jawoll.

Warum sollen gewinnorientierte Unternehmen, die Millionen umsetzen, nicht auch etwas bezahlen für die Stadionsicherheit, zumal sie nur schäbige Präventivarbeit leisten? Die Fanprojekte, die auch zur Befriedung der Fanszene beitragen, werden mit lächerlichen Summen alimentiert. Meist schießt die DFL ein paar Tausender zu, aber die Hauptlast tragen Land und Kommune.

Solange dieser Zustand der Unterfinanzierung und das Desinteresse an echten Fanbelangen anhält, darf die Polizei ruhig mal eine Rechnung stellen für Fanrandale.

10. Das Freistoßspray kommt. Yippie!

Die Schiris müssen noch ein paar Spieltage üben, doch dann wird auch in deutschen Stadien gesprüht, dass jedem Barbier das Herz aufgeht. Es schäumte ja schon in Brasilien so schön. Diese Innovation ist „wichtig und richtig“ (Exkanzler Schröder), sie ist „alternativlos und unabwendbar“ (Merkel). Bald kommen auch noch die Überwachungskameras. Das isser, der Zeitgeist!

11. Wo sind die Frauen?

Mitspielen dürfen Frauen zwar laut den Statuten nicht, aber auf den Rängen werden es immer mehr, und eine Schiedsrichterin gibt es auch schon, zumindest in Liga zwei. Warum soll Bibiana Steinhaus nicht auch im Oberhaus pfeifen dürfen? Und wie wäre es mit einer Trainerin? Am besten einer, die ihren Mann wegen der Vorbereitung auf ein wichtiges Spiel in den Urlaub schickt – so wie es der Coach des schwedischen Klubs Malmö FF kürzlich mit seiner Frau tat.

Ein wenig mehr Weiblichkeit würde dem Testosterongeschäft Männerfußball sicher guttun.

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