Kolumne Konservativ: Ich bin das Volk

Pegida und die AfD gerieren sich als Stimme des Volkes. Das ist gelogen. Ich kann das viel besser – und ganz einfach beweisen.

Wer ist hier das Volk? Bild: dpa

Bitte glauben Sie dieser Zeitung nicht. Oder irgendeiner anderen Zeitung. Die Systemmedien wollen Ihnen neuerdings einreden, jeder dritte Deutsche teile die Ansicht des Bündnisses Pegida, es gebe eine zunehmende Islamisierung Deutschlands. Das ist gelogen. Ebenso wie die Rufe der Dresdner Demonstranten „Wir sind das Volk!“. Ich muss es wissen. Denn das Volk, liebe Leserin und lieber Leser, das bin in Wahrheit ich.

Das kann ich ganz einfach beweisen. „Das Volk“ muss nicht die Mehrheit der Bevölkerung repräsentieren. Man muss es nur behaupten. Die AfD hat es vorgemacht. Sie nimmt für sich in Anspruch, den „gesunden Menschenverstand“ und „richtige“ politische Inhalte zu vertreten. Wer das bezweifelt, beweist laut AfD nur seine Voreingenommenheit, hat also Unrecht. Und wenn jemand anderes Unrecht hat, hat die AfD Recht. Das nennt man logisches Denken.

Bei mir – dem Volk – ist das genauso: Die Mainstream-Medien schweigen mich tot. Wirklich. Kann man überall nachlesen.

Aber so ist sie halt, die Systempresse. Nur, weil ich die Anwesenheit von Leuten, die anders sind als ich, nicht ertrage, gelte ich als intolerant. Dabei wird „Toleranz“ bei mir großgeschrieben, denn es ist ein Substantiv.

Ich bin auch nicht radikal

Ich bin auch nicht radikal. Denn wer hierzulande als radikal gilt, ist ibääh. Und weil ich das nicht sein möchte, bin ich auch nicht radikal. Das nennt man gesunder Menschenverstand. Wer das nicht glaubt, dem sollte man den Mund verbieten. Abführen, einsperren, Schlüssel wegwerfen. Meine Meinung. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen. Ist schließlich immer noch ein freies Land.

Die Mainstream-Medien geben schon lange nicht mehr meine Meinung wieder. Laut einer Umfrage des ARD-Deutschland-Trends sind 3 Prozent der Bevölkerung sehr zufrieden und 50 Prozent zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung. Wie kommen diese Leute dazu, eine andere Meinung zu haben als ich? Was ist denn das für ein Demokratieverständnis?

Aber ich durchschaue, was dahintersteckt: Bei dieser Umfrage hat mich nämlich niemand gefragt. Dabei bin ich das Volk. Etwas stimmt da also nicht. Das ist eine Verschwörung von Systemmedien, CIA und Powerpoint-Präsentations-Industrie. Dass ich dafür keine Beweise vorlegen kann, zeigt, wie geschickt die Intrige gesponnen ist. Ich verwahre mich entschieden gegen Stimmen, die behaupten, ich durchliefe eine akute psychotische Phase. Das ist Unsinn. Diese Stimmen sind schließlich nur in meinem Kopf.

Ach, ich hasse den Mainstream

Ach, ich hasse den Mainstream. Vor allem hasse ich es, dass ich ihn nicht beherrsche. Den Mainstream-Medien zufolge belegen Statistiken, dass die Menschen in vielen Dingen eine andere Meinung haben als ich. Aber Zahlen darf man nicht trauen. 78 Prozent der Leute wissen das.

Kommt bei einer Abstimmung etwas anderes heraus, als ich will, ist das undemokratisch und zeigt nur die Verlogenheit der Politik. Die da oben haben etwas Wichtiges vergessen: Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersdenkenden. Und das bin ich.

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Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wird von der Kritik gefeiert.

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