Kommentar Flüchtlingspolitik: Die Not wird endlich anerkannt

Deutschland fordert eine „Sondermilliarde“ der EU für Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak. Das ist eine Chance, sich Glaubwürdigkeit zurückzukaufen.

Eine Frau aus Syrien in der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in München. Bild: dpa

Gut: Die Bundesregierung intensiviert die Flüchtlingspolitik und übt verstärkt Druck auf die EU aus. Zwölf Millionen SyrerInnen kämpfen ums Überleben. Zumindest denen, die es außer Landes schaffen, soll nun systematisch geholfen werden. Deutschland hatte im Oktober 100 Millionen Euro versprochen und fordert nun, dass die EU zusätzlich eine Milliarde aufbringt.

Damit werden zwei bislang als zweifelhaft geltende Erkenntnisse in Stein gemeißelt. Die erste: Die geflüchteten Menschen aus Syrien und dem Irak werden auf absehbare Zeit nicht zurückkehren können. Nicht weil sie Deutschland für das Sozialamt der Welt halten, sondern weil die internationale Politik und Diplomatie komplett versagt haben. Das Assad-Regime ist kein Stabilisator, der US-geführte Kampf gegen IS milde formuliert undurchsichtig. Nun soll zumindest eine Teilverantwortung für die so entstandene Not übernommen werden.

Statt Zelten sollen Häuser zur Verfügung gestellt werden. Es bräuchte auch dringend mehr Schulen. Allein von den 1,5 Millionen syrischen Kindern werden nur etwa 350.000 unterrichtet. Eine katastrophale Situation und ein sicherer Weg, den Extremismus weiter zu befeuern. Leider ist davon noch keine Rede.

Zweitens: Wenn die EU weiter so geringe Hilfe leistet wie bisher, werden die Bedürftigen schlicht nicht über den Winter kommen. Die EU wäre damit verantwortlich für eine gigantische Hungersnot, die sich direkt vor ihrer Nase abspielt, und zwar dort, wo keine Bomben fallen: in Jordanien, im Libanon und in der Türkei.

Der Rechtsrucks in den EU-Staaten

Aber ist das nicht alles zu viel Geld? Immerhin geht es den meisten EU-Ländern nicht gut. Dagegen lässt sich einwenden: Die UN haben einen Bedarf von 8,4 Milliarden Dollar für die humanitäre Hilfe errechnet. Es handelt sich also nur um einen Bruchteil, mit dem sich die EU ein wenig menschenrechtliche Glaubwürdigkeit zurückkaufen könnte. Das ist dringend nötig, auch für die Europäer. Angesichts des massiven Rechtsrucks in den reichen EU-Staaten ist jede Maßnahme zum menschenwürdigen Umgang mit Geflüchteten wichtig. Sie hilft den Bedürftigen und den hiesigen Demokratien, also allen.

Zudem setzt das humanitäre Bemühen von Außenminister Steinmeier (SPD) und Entwicklungsminister Müller (CSU) auch ein Zeichen gegen die neue Gewalt gegen Flüchtende in Deutschland. Auch das ist eine gute Nachricht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.