Youtuber Simon Unge und Mediakraft: In den Vorgarten gekackt

Der 24-jährige Unge hat genug vom Content-Netzwerk Mediakraft. Auf seinem Lieblingskanal erklärt er seinen Fans, warum.

Der Star der Entrüstung gegen das Unternehmen: Simon Unge. Tabelle: http://www.youtube/ungefilmt

„Die schwerste Entscheidung meines Lebens #Freiheit“ hat er das Youtube-Video genannt, in dem er das verkündet. Darin erklärt er, warum er seine beiden Youtube-Kanäle mit insgesamt zwei Millionen Abonnenten dicht machen – und beim Youtuber-Netzwerk Mediakraft kündigen will. Ein „Scheißladen“ sei das, würde ihn nicht gescheit unterstützen, sondern nur Geld scheffeln wollen. Mediakraft habe gedroht, ihn in die Privatinsolvenz zu stürzen. „Ich lasse mich nicht wie einen Scheißhaufen behandeln“, sagt er.

13 Minuten lang legt Simon Unge dar, warum es ihm jetzt langt. Gedreht in schwarz-weiss, unterlegt mit getragener Musik sagt Unge an die Adresse von Mediakraft Sätze wie: „Ich möchte nie wieder in meinem Leben etwas mit Euch zu tun haben.“ Ein bisschen überdramatisch wirkt das, wie ein Teenie, der gegen seine Eltern aufbegehrt. Die Wirkung ist aber ungleich viel größer. Über zwei Millionen Mal ist dieses Video binnen zwei Tagen angesehen worden. Unges neuer, unabhängiger Youtube-Kanal hat bereits 450.000 Abonnenten – obwohl darauf nicht mehr steht als ein kurzer Trailer. Der Hashtag #Freiheit schießt sofort in die Trending Topics auf Twitter.

Simon Unge, nie gehört? Der 24-Jährige ist mal wieder so ein Beispiel für die fragmentierten Öffentlichkeiten in Zeiten von Youtube. Über 30 Millionen Mal im Monat werden seine Videos angeklickt, in denen er Computerspiele zockt oder einfach seinen Alltag filmt. Skateboarden, Minecraft, rumalbern mit Freunden. Ganz normales, gut gelauntes Zeug von einem jungen Typen mit langen Dreadlocks, der aktuell einer Firma das Fürchten lehrt, die gerade in diesem Sommer mit über 16 Millionen Euro Venture-Kapital ausgestattet wurde.

Simon Unge ist eines der Zugpferde des Youtuber-Netzwerks Mediakraft – einer Art Produktionsfirma für Webvideos. 2011 wurde die Firma mit Sitz in Köln gegründet, über 2000 Youtuber stehen bei ihr unter Vertrag. Bis zu 10 Millionen Mal am Tag werden deren Videos bei Youtube pro Tag angesehen. Die Idee: Die Jungfilmer, die meist im Teenager-Alter oder etwas älter sind, sollen beraten, unterstützt und vermarktet werden. Denn das Youtuben kann sich durchaus lohnen: Die erfolgreichsten deutschen Kanäle streichen locker Werbeeinnahmen im fünfstelligen Bereich ein. Doch Star werden dort nur wenige, die auf professionelle Hilfe von Youtube selbst oder eben einem Netzwerk wie Mediakraft verzichten.

Berühmte Köpfe laufen weg
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Andererseits ist Mediakraft auch nur dann erfolgreich, wenn es genügend Stars unter Vertrag hat. Stars, die auf Youtube herumalbern, von der jungen Zielgruppe für ihre Unabhängigkeit geliebt werden – und doch brav tun, was ihr Netzwerk ihnen sagt. Simon Unge hat nun – um einigermaßen in seinem Wording zu bleiben ­– Mediakraft einmal in den Vorgarten gekackt. Nicht nur macht er eine Sorte Streit öffentlich, die man eigentlich eher im Stillen austrägt. Mit ihm verliert die Firma auch Millionen Klicks und Abos – das einzige Pfund, mit dem sie ihren Wert begründet.

Das ist besonders unangenehm, weil sie gerade erst im Oktober ein weiteres wichtiges Zugpferd verlor – den Nachrichten-Youtuber und Studenten Florian Mundt alias LeFloid, der ebenfalls zwei Millionen Abos und Millionen Klicks mitnahm und eine Art Klassensprecher der deutschen Youtuberia war. Gemeinsam mit der ehemaligen Mediakraft-Angestellten Marie Meimberg und einer Handvoll anderer Youtuber gründete er in Berlin den Verein 301+, der das Vermarktungs- und inhaltliche Gleichmacherei-Prinzip von Youtuber-Netzwerken wie Mediakraft in Frage stellt – allerdings ohne die große Krawall-Oper, die Simon Unge nun angestimmt hat.

Wie immer bei Vertrags-Hickhacks, wie diesem zwischen Mediakraft und Unge, ist es am Ende schwer zu beurteilen, wer im Recht ist. Medienkritische Stimmen werfen auch Unge einen PR-Coup vor, sprechen von falsch verstandener Demokratisierung, die unter Youtubern eben nicht politische Teilhabe, sondern nur ein Geschäftsmodell sei. Unzählige Posts, Kommentare, Videos und Tweets zeugen allerdings davon, dass es Unge gelungen ist, seine Fanbase zu aktivieren – gegen Mediakraft. Da half auch ein beschwichtigender Facebook-Post des Mediakraft-Geschäftsführers Spartacus Olssons nicht, in dem man widerum Unge Vertragsverstöße vorwirft. Auf Facebook, Twitter und Youtube: allerorten Verachtung für Mediakraft.

Google macht trotzdem Gewinne

David gegen Goliath, Aufbegehren gegen Autoritäten und Profitgeilheit, das zieht. Früher trugen Indiemusiker den Kampf um ihre künstlerische Freiheit mit den dicken Majorlabels aus, die eben vor allem Geld verdienen wollten. Heute sehen wir die Neuauflage dieses Konflikts in der Youtube-Szene. Mit einem Unterschied: bei alledem machen vor allem Youtube und dessen Mutterkonzern Google die Gewinne.

Auf den Content-Zwischenhändler Mediakraft dürften hingegen harte Zeiten zukommen ­– muss man doch nicht nur dringend um die Gunst populärer Youtuber und des Publikums buhlen, sondern auch noch den Investoren verklickern, warum man seine Schützlinge nicht unter Kontrolle hat. Denn das ist der digitale Medienwandel. Die Abstimmung der Hunderttausenden mit dem Zeigefinger. Ein 24-Jähriger, der hunderttausende Fans und Abonnenten mit einem einzigen Youtube-Video dirigieren kann. Wenn er verstanden hat, dass er groß genug ist, um auf kein Netzwerk der Welt angewiesen zu sein, muss er sich einfach nur auf seine Freiheit und seine Fans berufen.

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