Massentierhaltung in Deutschland: Das Schweine-Imperium

Im Osten Deutschlands herrscht Adrianus Straathof über Abferkelboxen, Futtersilos, Gülletanks. Eine Tierfabrik soll nun geschlossen werden.

Tristesse: Tausende Ferkel verlassen Tag für Tag die Gladauer Tierfabrik. Bild: dpa

GLADAU/BURG/KLEINDEMSIN taz | Hilmar Kühne heizt mit seinem Passat über den Feldweg, dass die Werkzeugkiste scheppert. Kühne folgt einer Treckerspur, hält wie ein Fährtenleser inne, schaut sich um – und vertraut dabei auch der Nase. „Hier links die Wiese, dort hinten auch, ganz frisch, das Gras ist noch dunkel.“ Überall hat es Gülle geregnet. Die Saison hat begonnen. Alle Wiesen und Felder hier sind Gülleland – Schweinegülleland.

Ein Gülletanker rollt vorbei. „Stickstoff und Nitrat sind nicht das Schlimmste. Die ganzen Medikamente, die in der Gülle sind.“ Der 49-jährige Kühne, Mitglied im fünfköpfigen Gladauer Ortschaftsrat, hat sich schon früh gegen den Gülleregen und seinen Verursacher gestellt. Kühne steuert auf einen Hallenkomplex zu, der hinter Maschendraht liegt. Die Wände leuchten blau, nahtlos schmiegt sich Halle an Halle, obenauf Solarpaneele, ein paar bauchige Silos – fertig ist die Fabrik bei Gladau im Nordosten Sachsen-Anhalts. Sie ist eine der größten ihrer Art in Deutschland und sie produziert Ferkel, Hunderttausende pro Jahr. Am 31. August soll Schluss ein.

Im November 2014 hatte der zuständige Landkreis Jerichower Land gegen den Besitzer Adrianus Straathof ein Schweinehaltungsverbot ausgesprochen wegen fortgesetzter Verstöße gegen den Tierschutz – sofort und deutschlandweit. Es ist das erste Mal, dass eine Kreisverwaltung so energisch gegen Straathof vorgeht, einen der Größten in der Branche. Allein in Deutschland betreibt der Holländer rund 20 Anlagen mit etwa 400.000 Schweinen, fast ausschließlich in Ostdeutschland. Straathof hat ein weit verzweigtes Imperium geschaffen, das aus Kastenständen, Abferkelboxen, Futtersilos und Gülletanks besteht. Seine Farbe ist nicht das blasse Rosa seiner Produkte, sondern das makellose Blau, das von den Wänden strahlt.

Dahinter geht es weit weniger sauber zu. Wieder und wieder haben Amtstierärzte Verletzungen und Erkrankungen bemängelt. Beanstanden würden sie zudem zu volle Ställe, eine unzureichende medizinische Behandlung und zu enge Kastenstände, in denen die Sauen vor und nach dem Abferkeln fixiert werden. Die Bildstrecken und Filme, die Tierschützer heimlich in Straathofs Reich aufgenommen und ins Netz gestellt haben, sind eindrücklich.

Tiere mit mächtigen Brüchen, sterbende Ferkel im Kot, Ferkel mit Schnittwunden und Ferkel, die von den Arbeitern erschlagen werden. Im Dezember gab Straathof die Geschäftsführerposten in seinen Betrieben ab. Allerdings blieb er Gesellschafter. Im Januar legte der Landrat nach und verfügte die Schließung der Gladauer Anlage bis Ende August.

„Mehr, mehr mehr!“

„Keiner hat hier was gegen 30.000 Schweine“, beteuert Kühne, ein Mann mit struppigem Haar und kräftigen Unterarmen. Schließlich wurden schon zu DDR-Zeiten mehr als 25.000 Schweine in der Anlage gehalten. Das Problem heiße Straathof. „Mehr, mehr, mehr!“, ruft er. Das sei sein Prinzip: Alte LPG-Anlagen kaufen, aufrüsten und mit Tieren zupferchen. Dass ein eigentlich hübsches Dorf zu einem Anhängsel dieses blauen Monstrums wird – das ist es, was Kühne so aufbringt.

Die Fabrik sprengt jede Dimension. Straathof hielt in Gladau bis Anfang des Jahres 60.000 Schweine, davon rund 14.000 Sauen, die pro Jahr im Schnitt 32 Ferkel werfen. Eine unermessliche Armee gleichförmiger Wesen mit Ohrmarken und Stummelschwänzen verlässt bis heute auf Lkw das Gelände. „Ferkelströme“ nennen das Agrarvermarkter. Allein Straathofs ostdeutscher „Strom“ ergießt mehr als eine Million Ferkel pro Jahr in Mastanlagen.

Eigentlich kann so ein Fluss nicht unsichtbar bleiben. Sicher, die Güllebecken thronen wie Öltanks auf dem Gelände. Aber die Schweine? Sie bleiben verborgen. Nur dort, wo die Hallen dicht an den Zaun reichen, dringt vereinzelt Grunzen heraus. Und nebenan hört man das Quieken von Ferkeln, hell zwar, doch gedämpft.

Kühne fährt den Zaun der Anlage ab. Am Verwaltungsgebäude recken sich zwei leere Masten. Die Fahnen der Straathof Holding mit dem lustigen Schweinegesicht sind eingeholt. Kühne fährt zurück ins Dorf. In der Kurve deutet er auf die Risse im Asphalt. Von frühmorgens bis spätabends rollen die Gülletanker.

Die Ställe leeren sich

Nicht nur die Schweine, auch ihr Meister bleibt verborgen. Ein Unternehmenssprecher, der von München aus agiert, betont, dass der 62 Jahre alte Straathof nicht zur Verfügung stehe. Und die Vorwürfe? Über die Größe der Kastenstände gebe es ganz unterschiedliche Auffassungen, sagt der Sprecher. So wie in der Tierhaltung allgemein. Und die anderen Vorwürfe? De facto gebe es „eine Anhäufung von möglichen Reklamationen, die in jedem anderen Stall Deutschlands vorkommen“, weicht er aus. Gladau werde bis Ende August geleert, bestätigt der Sprecher.

Freundlich, aber bestimmt sei Straathof im Dorf aufgetreten, erinnert sich Kühne. Ein Foto zeigt den Investor inmitten seiner Sauen. Zwischen den massigen Wesen wirkt Straathof geradezu gefährdet. Doch selbst auf Papier verströmt er eine Entschlossenheit, auf die das Wort herrisch gut passt. „Schweinebaron“ nennen ihn viele.

Um das Jahr 2000 hat Straathof die Schweinemast mit damals 12.000 Plätzen gekauft, erzählt Kühne. Nur modernisieren will er, nichts neu bauen, heißt es. Doch dann will Straathof expandieren, auf 52.000 Tiere. Die Gemeinde verweigert das zum Bauen nötige Einvernehmen. Das Landesverwaltungsamt Halle überstimmt den Beschluss. Das Dorf zieht vor Gericht, bekommt Recht. Gebaut hat Straathof trotzdem. Später soll er den Tierbestand auf das Ausgangsmaß reduzieren.

Es folgen Zwangsgeld, neue Vorwürfe, Ermittlungen, neues Zwangsgeld. Straathof ist nicht zu stoppen. Er kauft Anlagen und verwandelt sie in stahlblaue Bastionen, in Fabriken mit ergebenem Personal. „Sie verhängen gegen unseren Chef ein Berufsverbot, aber wir, die wir uns täglich um unsere Tiere kümmern und sie versorgen, können bestätigen, dass keines unserer Tiere gequält wird“, beteuern Gladauer Mitarbeiter. Nur mit „Hingabe“ habe Straathof so erfolgreich sein können.

Anonymes Schreiben

Dieser Treueid, gepaart mit Angriffen gegen den Landrat, verbreitete sich dank einiger Zeitungen im Kreis. „Landrat, wir haben dich gewählt, nun verlieren wir unsere Arbeit!!!“ steht dem anonymen Schreiben voran.

Als er auf den Brief zu sprechen kommt, wirkt Steffen Burchhardt etwas gereizt. Doch nur kurz. Sollte er auf diese Boshaftigkeit eingehen? Schnell ruhen seine Hände wieder auf der Lehne. Der Landrat sitzt in seinem Büro in der Kreisstadt Burg. „Straathof ist von Anfang an gegen die Mittel, die wir gewählt haben, juristisch vorgegangen“, erläutert Burchhardt. Seit mehr als fünf Jahren beschäftige sich das Veterinäramt mit Straathof. Verbesserungen? Fehlanzeige. Im Gegenteil. „Zu meinem Amtsantritt hatte sich die Situation eher verschlechtert.“ Am 24. November 2014 erlässt er das Haltungsverbot.

Burchhardt, ein hoch aufgeschossener Mann, wurde im Juni 2014 zum Landrat gewählt. Die Wahl des 33 Jahre alten SPD-Kandidaten galt als Überraschung. Es gibt nicht wenige, die behaupten, dass es an Burchhardt liegt, dass der Kreis so energisch gegen Straathof vorgeht. Dem alten Landrat hätte die Kraft gefehlt – und vielleicht auch der Wille. Demnächst steht er wegen Bestechlichkeit vor Gericht.

„Begeisterung für Ferkel“

„Ich muss auf die Einhaltung der Gesetze und Verordnungen achten“, fasst Burchhardt zusammen. Und Straathof halte sich nicht an die Regeln. Doch Adrianus Straathof ist keiner, der kampflos das Feld räumt. „Begeisterung für Ferkel“ lautet sein Wahlspruch. Man könnte das auch als Drohung verstehen.

Am 16. April erreichen seine Anwälte einen Etappensieg. Das Oberverwaltungsgericht setzt in einer Eilentscheidung das Schweinehaltungsverbot wieder außer Kraft. Begründung: Straathof habe schließlich bereits seine Funktion als Geschäftsführer abgegeben. Zudem seien bei Kontrollen in anderen Bundesländern keine so schwerwiegenden Verstöße festgestellt worden, die ein Schweinehaltungsverbot schon vor dem eigentlichen Verfahren rechtfertigten. Wann das sein wird, ist offen. Beide Seiten – Landkreis und Straathof – wollen ein anderes Verfahren abwarten, in dem über die Größe der Kastenstände entschieden wird.

Immerhin, die Schließung der Gladauer Anlage bleibt bestehen. Und auch in anderen Landkreisen kontrollieren Veterinärämter verstärkt. Das Landwirtschaftsministerium, das industrielle Tierhalter ins Land holte, warnt nun vor „schwarzen Schafen“, und Ministerpräsident Reiner Haseloff betont, dass Tiere zur Schöpfung gehören. Und die Grünen, seit 2011 wieder im Landtag, machen Druck.

Wertlose Grundstücke

Doch das Ende der Ferkelfabriken ist das noch nicht. Kleindemsin ist ein winziger Flecken, 20 Kilometer von Gladau entfernt. Hier lässt die Abendsonne die metallischen Gülletanks bronzen erglühen. Hinter Erdwällen dreht sich ein Kran. Bis Jahresende soll die LPG-Anlage bei laufendem Betrieb ausgebaut werden. Mehr als 8.000 Sauen, 900 Abferkelplätze, Güllelager, Futtersilos, Rampen – das volle Programm. Das Straathof-Imperium wächst. Die Gladauer Mitarbeiter, die ihre Entlassung beklagen, dürften hier bald unterkommen.

Die Bewohner der elf Wohnhäuser haben dagegen verloren. Ihre Grundstücke sind jetzt schon wertlos, dabei produziert die Fabrik höchstens mit halber Kraft. Doch ihre Ausdünstungen sind enorm. Es ist, als würde man durch Jauche waten. Die Einwände der Anwohner wurden kleingeredet. Das Landesverwaltungsamt hat die Erweiterung genehmigt. Es habe auch in Kleindemsin „Feststellungen“ gegeben, hatte der Landrat gesagt, „aber nicht in dem Ausmaß wie in Gladau“. Kleindemsin wird also bald voll produzieren. Der Ort, so steht es in der Genehmigung, ist eine „Splittersiedlung im Außenbereich“. Könnte heißen – wer hier noch lebt, ist selber schuld.

Eine Anwohnerin führt ihren Hund aus. Ja, heute sei es besonders schlimm, sagt sie, und geht weiter. Seltsam, dass nicht wenigstens der Hund rebelliert. Doch der schnüffelt im Gras – schicksalsergeben wie ein Straathof-Schwein.

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