Nach Lynchmord in Afghanistan: Vier Todesurteile

Für den Lynchmord an einer Frau wegen angeblicher Schändung des Korans werden vier Männer verurteilt. Der Mord könnte Reformen auslösen.

Solidarität mit der Ermordeten in Kabul Ende April. Bild: ap

BERLIN taz | Ein Gericht in der afghanischen Hauptstadt Kabul hat am Mittwoch vier Männer zum Tode und acht weitere zu jeweils 16 Jahren Gefängnis verurteilt. Sie sollen sich am 19. März an dem Lynchmord der 27-jährigen Koranschülerin Farkhunda beteiligt haben, die wie viele Afghanen nur einen Namen hat. 18 weitere Angeklagte wurden freigesprochen. Das Urteil gegen 19 Polizisten, die bei dem Mord zusahen, steht noch aus.

Die Ermordung der Frau durch einen männlichen Mob am helllichten Tag im Zentrum Kabuls hatte im In- und Ausland für Empörung gesorgt. Das Opfer wurde vor den Augen der Polizei erschlagen, mit einem Auto überfahren, ans Ufer des Flusses Kabul geworfen und angezündet. Proteste von Frauen und Menschenrechtlern waren die Folge. Bei Farkhundas Beerdigung trugen aus Protest Frauen entgegen der Tradition den Sarg. Für Präsident Ashraf Ghani war der Mord ein „Akt extremer Gewalt“. Er traf sich mit den Eltern des Opfers und setzte eine Untersuchungskommission ein.

Laut deren Bericht hatte die sehr gläubige Farkhunda mit den Wärtern des Schah-Du-Schamschaira-Schreins an der gleichnamigen Moschee Streit. Denn sie hatte diese aufgefordert, keine Amulette mehr an kinderlose Frauen zu verkaufen. Diese Amulette, mit denen die Wärter ein Geschäft machten, förderten den Aberglauben. Darauf beschuldige sie jemand, ein Exemplar des (heiligen) Koran verbrannt zu haben. Ein wütender Mob begann auf die Frau einzuschlagen. Ihre Unschuldsbeteuerungen blieben nutzlos wie auch halbherzige Versuche einiger Polizisten, sie zu schützen.

Dass der Mord so viel Aufsehen erregte und jetzt schnell in erster Instanz – wenn wohl auch nicht rechtsstaatlich – geahndet wurde, ist dem Umstand zu verdanken, dass Passanten die Tat mit ihren Handys filmten und über soziale Netzwerke verbreiteten. Auch in dem am Samstag begonnenen Gerichtsverfahren wurden Filme der Tat gezeigt.

Unterlassene Hilfeleistung

Farkhundas Familie, die seit dem Mord versteckt lebt, zeigte sich wie viele Frauen von dem Urteil enttäuscht. Ihr Bruder forderte gegenüber der BBC die Todesstrafe für alle 49 Angeklagten. Der Vater war von der Polizei zunächst gedrängt worden, Farkhunda für geisteskrank zu erklären. Die Polizei wollte kein Aufsehen. 19 Polizisten wurden wegen unterlassener Hilfeleistung und zum Teil sogar wegen Tatbeteiligung vom Dienst suspendiert. Auch ein Polizeisprecher, der den Lynchmord zunächst gerechtfertigt hatte, verlor seinen Posten.

Laut Untersuchungsbericht gibt es keinen Hinweis, dass Farkhunda wirklich einen Koran geschändet hatte. Der Schrein, an dem der Streit ausbrach, ist seit dem Mord geschlossen. Dass eine tiefgläubige Muslima so einfach unter falschen Anschuldigungen getötet werden kann, überraschte selbst konservative Geistliche.

In Kommentaren wurde der Mord sowohl als Beispiel für die Rechtlosigkeit afghanischer Frauen gewertet wie als Beweis für die Verrohung der afghanischen Gesellschaft nach 35 Jahren Krieg wie auch für die Instrumentalisierung religiöser Gefühle. Andere sehen die Proteste als Hoffnungsschimmer für den überfälligen Wandel der Gesellschaft oder wenigstens für eine Reform der Polizei, bei der weibliche Opfer bisher kein Gehör finden. Doch könnte sich das auch als trügerisch erweisen, wie das gemischte Urteil andeutet.

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