Digitalwirtschaft auf der re:publica: Die Freiheit, mehr einzukaufen

Innovative Wirtschaftsförderung? Fehlanzeige. EU-Kommissar Oettinger stellt seine Vision eines digitalen Europas vor und erntet dafür Kritik.

Piraten-Politikerin Julia Reda tritt für ein kompromisslos grenzenloses und diskriminierungsfreies Netz ein Bild: dpa

BERLIN taz | So viel ist sicher: Wer bei der Internet-Konferenz re:publica in Berlin den Namen Günther Oettinger ausspricht, hat die Lacher auf seiner Seite. Dass ausgerechnet Oettinger, ein bekennender digitaler Laie, in der EU-Kommission für das Internet zuständig ist, beklagen Netzaktivisten seit langem. re:publica-Mitbegründer Markus Beckedahl stellt seufzend fest: „Die Netzgemeinde ist am Ende, die Regeln werden in Brüssel geschrieben.“

Am Mittwoch kamen sie nun, die neuen Regeln für den „digitalen Binnenmarkt“, wie die Brüsseler Behörde das Internet am liebsten sieht. Im Vordergrund steht dabei allerdings das Geschäft, nicht die Freiheit. Die neue EU-Strategie verschwendet kein Wort auf die digitale Massenüberwachung, die der US-Geheimdienst NSA, der Bundesnachrichtendienst oder auch die französischen Behörden aufgebaut haben und nun mit Milliardensummen weiter entwickeln.

Auch die Förderung von sicherer, offener und frei verfügbarer Software kommt nicht vor. Umso mehr redet die EU-Kommission von Kommerz. „Wir müssen für eine moderne Gesellschaft bereit sein“, betonte Oettinger bei der Präsentation seiner Strategie, damit Europas „Bürgerinnen und Bürger das Potenzial der neuen digitalen Dienstleistungen und Produkte voll ausschöpfen“. Was das genau bedeutet?

Durch einen digitalen Binnenmarkt könnten 415 Milliarden Euro an zusätzlichem Wachstum geschaffen werden. Konkret heißt das vor allem, dass alle nationalen oder digitalen Grenzen niedergerissen werden sollen. Künftig soll es nicht nur möglich sein, dass Deutsche ihren geliebten „Tatort“ in allen EU-Ländern sehen können – ohne Barrieren wie beim bisher üblichen „Geoblocking“. Man soll auch grenzenlos shoppen können, ohne fürchten zu müssen, dass in Belgien andere Regeln gelten als in Deutschland.

Allerdings fallen die Vorschläge, die auch den Verbraucherschutz, das Urheberrecht, die Mehrwertsteuer und vieles mehr betreffen, ziemlich verschwommen aus. Details sollen erst in einigen Monaten nachgereicht werden. Die Umsetzung ist bis Ende 2016 geplant.

Um den vagen Ankündigungen Nachdruck zu verleihen, leitete die EU-Kommission gleich noch eine kartellrechtliche Untersuchung des europäischen Onlinehandels ein. Dabei nimmt Brüssel auch die Marktmacht von US-Online-Plattformen wie Facebook unter die Lupe. Jenseits des Wettbewerbsrechts sollen mangelnde Transparenz bei Suchergebnissen, die Preispolitik oder die Nutzung von Daten untersucht werden.

Kritik aus dem Europaparlament

Im April war bereits ein gesondertes Verfahren gegen Google eingeleitet worden. Das Echo auf diese Pläne fiel eher mau aus. Während die Arbeitgeber die Vorschläge der Kommission begrüßten, kam aus dem Europaparlament viel Kritik.

Die EU-Abgeordnete Julia Reda von der Piratenpartei kritisierte, dass beim Geoblocking nur bezahlte Dienste ins Visier genommen werden. Angebote von öffentlich-rechtlichen Sendern würden völlig ausgenommen, sagte die Politikerin, die auch bei der re:publica zu Gast war. Es sei „inakzeptabel, in einem gemeinsamen Binnenmarkt und einem schrankenlosen Medium künstlich Landesgrenzen aufrecht zu erhalten“, so Reda. Das Netz müsse kompromisslos grenzenlos und diskriminierungsfrei sein. Damit sprach die Piratin vielen Internetaktivisten und Bloggern aus dem Herzen.

Kritik kam auch zu unklaren oder fehlenden Aussagen der Kommission zur Netzneutralität und zum Datenschutz. Die EU müsse endlich die Verhandlungen über die Datenschutz-Grundverordnung abschließen, forderte der grüne EU-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht. Die Kommissionspläne kämen zu spät und gingen nicht weit genug. „Finding Europe“ hatten sich die Netzaktivisten der re:publica auf ihre Fahnen geschrieben. Doch was sie da aus Brüssel hören, wird sie mit Brüssel kaum versöhnen.

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