Kolumne Luft und Liebe: Ein Laster voller Mädchenkotze

Früher guckten sich Leute Hinrichtungen an, heute Castingshows. Warum „Germany’s Next Topmodel“ weg muss.

Wer GNTM guckt, dem kann schon mal bisschen was hochkommen. Bild: skyla80 / photocase.de

Okay. Wenn „Germany’s Next Topmodel“ (GNTM) jetzt eh schon Thema ist, können wir hier auch noch mal drüber reden. Es gab also eine Bombendrohung im Finale der Sendung, die Halle wurde geräumt, die Show wird nachgeholt. So weit, so gar nicht gut. Natürlich. Es wäre schrecklich gewesen, wenn es da eine Bombe gegeben hätte.

GNTM war aber auch vor der Bombendrohung schon Thema, weil eine neue Studie besagt, dass die Sendung einen starken Einfluss auf Essstörungen hat. Der Psychiater Manfred Lütz hat GNTM daher „mörderisch“ genannt, man nehme dort „eiskalt den Tod junger Mädchen in Kauf“. ProSieben schickte eine Unterlassungserklärung, Lütz unterschrieb nicht.

Die neue Studie ist nicht die erste ihrer Art. Dass Castingsendungen das Körpergefühl und Schönheitsempfinden von Jugendlichen beeinflussen, ist belegt. Jetzt wird von der Kommission für Jugendmedienschutz doch noch mal geprüft, ob GNTM jugendgefährdend ist.

Ich hab das auch mal geprüft. Stelle gerne meine Ergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung, bitte schön: Ja, verdammt, natürlich macht GNTM nicht nur krank, es ist auch krank.

Eine perverse Maschine

Die Sendung ist eine perverse, niederträchtige, menschenverachtende Geldmaschine, die kapitalistische Krönung von Sexismus und Neoliberalismus in Form von Frauendressur mit Product Placement, und eine überraschungsarme Aneinanderreihung von Erniedrigungen, bei der junge Menschen dafür ausgezeichnet werden, dass sie geile Gene haben und sich den Regeln der Jury unterwerfen, weil man als Model halt auch einfach mal machen muss, was der Kunde will.

Der verfickte Kunde aber, der wartet auf die allermeisten Mädchen, die GNTM gucken, überhaupt nicht. Die Ausrede, die Show spiegele nur die harten Arbeitsbedingungen der Modewelt, kackt ab. GNTM ist keine Infobroschüre des Berufsinformationszentrums; es ist das meinungsbildende TV-Format einer ganzen Generation. In den letzten Jahren haben sich über 135.000 Menschen beworben, um in der Sendung mitzumachen. Die aktuelle Staffel ist die zehnte: 18-Jährige, die da heute mitmachen, gucken das mitunter, seit sie acht waren.

Da fällt auch der Witz weg, wenn man behauptet, die würden das alles freiwillig machen. Ja, natürlich. Denen wird das ins Hirn getrichtert, seit sie geradeaus gucken können. Klar denken die irgendwann, sie müssten sich ihre Daseinsberechtigung erhungern, erlächeln und erposen.

„Ich hab ein hübsches Gesicht gesehen“, sagt Wolfgang Joop in der ersten Folge der aktuellen Staffel, „aber darunter waren fette Beinchen.“ Dann Werbung: „Mit dem neuen [Produkt] kannst auch du bis zu zweimal mehr abnehmen!“

Eine eitrige Beule, die weg muss

Natürlich ist GNTM nur der Auswuchs einer kranken Gesellschaft, aber das kann keine Rechtfertigung sein; „Auswuchs“ bedeutet hier eine eitrige Beule, die man schnell entfernen sollte, nur halt nicht per Bombe.

Es ist auch nicht so, dass Heidi Klum das personifizierte Böse ist. Klum ist eine, die mit einem kranken System sehr viel Geld verdient. Sie wegen der quiekenden Stimme blöd zu finden, ist diskursmäßig keine Glanzleistung. Auch das Format „Unterhaltung durch Grusel“ ist nicht neu. Früher sind Leute zu Hinrichtungen gegangen, heute gucken sie Castingshows.

Man muss GNTM trotzdem als das beschissenste Event im deutschen Fernsehen bezeichnen, das aufgrund seines enormen Einflusses schon viel zu viel Schaden angerichtet hat. Diese Sendung braucht keine elfte Staffel, sie braucht einen Vierzigtonner voll mit Erbrochenem von bulimiekranken Mädchen, der beim nächsten Finale vorfährt. Und ablädt.

Und nein, das ist keine perversere Fantasie als das Bild von halbnackten jungen Frauen, die auf ihren 20-Zentimenter-High-Heels im Falle eines tatsächlichen Bombenangriffs eines ganz sicher nicht gekonnt hätten: wegrennen.

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Jahrgang 1986. Schreibt seit 2009 für die taz über Kultur, Gesellschaft und Sex. Foto: Esra Rotthoff

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