Interview mit dem Kontext-Gründer: Zähne zeigen im Ländle

Kontext, die linke Wochenzeitung aus Stuttgart, wird fünf Jahre alt. Wie konnte es so weit kommen? Ein taz-Gespräch mit Josef-Otto Freudenreich, Mitbegründer der Zeitung

„Kontext“: fragen, recherchieren, sich nix gefallen lassen Bild: Joachim E. Roettgers/Graffiti

taz: Herr Freudenreich, herzlichen Glückwunsch zu fünf Jahren Kontext. Wie kam es zur Gründung?

Josef-Otto Freudenreich: Ganz einfach: Wir hatten den Kanal voll von unseren alten Läden. Es war abzusehen, dass Journalisten zu Content-Managern werden sollten, die möglichst zugleich schreiben, fotografieren, Filme machen und twittern. Es war immer weniger Zeit für das, was Journalisten eigentlich tun sollten: fragen, recherchieren, sich nix gefallen lassen. Hinzu kam noch, dass die Altmedien immer wieder Lücken hinterließen.

Wo waren diese Lücken? In der Berichterstattung zu Stuttgart 21?

Ja. In den Stuttgarter Blättern gab es bis 2010 nur Hofberichterstattung für die Deutsche Bahn und angeschlossene Politiker. Das war die Blattlinie und dagegen war schwer anzustinken, auch als Mitglied der Redaktion, der ich bis 2009 angehört habe.

Inwiefern hat die Bürger-Bewegung gegen „S21“ die Gründung von Kontext beeinflusst?

Stuttgart galt damals als Hauptstadt des Widerstands. Hier war Aufbruch. Entzündet hat sich der Protest tatsächlich am Bahnhof, dem dümmsten Bauprojekt der Republik. In dieser Stimmung ist Kontext groß geworden.

Wie haben Sie das Blatt denn finanziert?

Den Start hat uns taz-Genosse Andreas Schairer ermöglicht, der Enkel des früheren Herausgebers der Stuttgarter Zeitung Erich Schairer. Er hat uns 200.000 Euro zur Verfügung gestellt und gesagt: „Macht was G’scheites damit.“ Nach einem Jahr war das Geld alle und wir standen kurz vor der Pleite. Wir sind dann mit einer schwarzen Seite erschienen und haben unseren LeserInnen gesagt: Wenn wir nicht schnell tausend Soli-Abonnenten kriegen, die mindestens zehn Euro im Monat zahlen, bleibt die Seite für immer schwarz. Heute unterstützen uns 1.500 LeserInnen.

• Jahrgang 1950, seit 40 Jahren Journalist. 1982 gründete er die linksalternative Karlsruher Rundschau. Zwei Jahre später endete das Projekt wegen finanzieller Engpässe. Freudenreich arbeitete knapp 25 Jahre bei der Stuttgarter Zeitung – bis zur Gründung von Kontext. (Foto: Graffiti)

Was plant Kontext für die Zukunft?

Als Nächstes wollen wir verstärkt raus ins Land und dort nach KorrespondentInnen schauen, die uns regelmäßig spannende Geschichten schreiben. Auch das vernachlässigen die Altmedien.

Habt ihr rückblickend die Lücken der Mainstream-Medien stopfen können?

Hier gilt schwäbische Bescheidenheit: Die Kapazitäten einer kleinen Redaktion sind nicht grenzenlos. Am einfachsten ist es bei den Medien, die verschlossen sind wie eine Auster. Aber ich glaube, dass sich das, was wir an Aufklärung im Bereich Landespolitik, Rechtsradikalismus, NSU-Komplex leisten, sehen lassen kann.

Allerdings gab es in Bezug auf die NSU-Berichterstattung bei Kontext auch Streit. Wieso?

Streit ist zunächst nichts Schlimmes. Davon leben solche Projekte. Sie sprechen auf Thomas Moser an, der sehr verdienstvolle Arbeit geleistet hat. Er hat für uns aus Berlin über den NSU-Untersuchungsauschuss des Bundestages berichtet. So umfassend und akribisch wie kaum ein anderer. An zwei späteren Artikeln hat die Redaktion Anstoß genommen und sie nicht gedruckt.

Warum nicht?

Sie erschienen uns zu spekulativ, und darüber ist auch lange mit ihm diskutiert worden.

• Jeden Samstag neu: die taz.am Wochenende inklusive vier Seiten Kontext:Wochenzeitung

Wie reagierte Moser?

Er hat uns öffentlich Zensur vorgeworfen. Das konnten wir so nicht stehen lassen, weil es ans Eingemachte geht. Eine Redaktion, die sich ernst nimmt, muss die Möglichkeit haben, Texte abzulehnen, von wem auch immer sie geschrieben sind. Das ist keine Zensur, sondern die Verantwortung der Redaktion. Wir sind kein Blog.

Können Sie ein Beispiel für eine geglückte Recherche geben?

Womöglich haben wir mit verhindert, dass die NPD ihre Landeszentrale auf der Schwäbischen Alb in Meßstetten eingerichtet hat. Sie wollte dort ein Wirtshaus kaufen, um von hier aus ihr braunes Unwesen treiben zu können. Direkt neben einer Flüchtlingsunterkunft. Wir haben uns damit wochenlang beschäftigt.

Hat es was gebracht?

Das Ergebnis war, dass die NPD dort nicht gelandet ist. Inzwischen hat eine evangelische Einrichtung das Wirtshaus gekauft und baut es zu einem Heim für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge um. Das scheint mir eine sinnvollere Nutzung zu sein.

www.kontextwochenzeitung.de

Das Gespräch führte Gareth Joswig, Redakteur im Ressort tazzwei Medien.