Kommentar BER-Terminverschiebung: Es hängt alles an Wowereit

Nach dem BER-Desaster hat Klaus Wowereit zwei Alternativen: Schnell gehen oder gedemütigt noch ein paar Jahre durchhalten. Vieles spricht für letzteres.

Es klingt reichlich pathetisch, aber: Selten hatte ein Regierungschef die Zukunft – oder wenn man so will: das Schicksal – seines Bundeslandes so allein selbst in der Hand wie derzeit Klaus Wowereit. Denn der Regierende Bürgermeister wird nicht stürzen, weil ihn die Opposition einen Misstrauensantrag stellt. Auch die eigene Partei wird sich kaum gegen ihn stellen, denn er ist für sie alternativlos. Und selbst der Koalitionspartner CDU dürfte (mindestens) drei Mal überlegen, ob man zum Königsmörder werden will. Denn mit wem sollte man nach einer Neuwahl zusammenarbeiten? Eben.

Also muss Klaus Wowereit im stillen Kämmerlein entscheiden, ob er ganz schnell geht und den Weg freimacht für einen kompletten Neuanfang, der die politische Landschaft Berlins gehörig durcheinanderwirbeln könnte. Oder ob er als gedemütigter Regierungschef noch ein paar Jahre durchhält. Vieles spricht für die zweite Lösung.

Ein Rücktritt zum jetzigen Zeitpunkt würde sehr wahrscheinlich rasch zu Neuwahlen führen. Die Folgen wären kaum berechenbar: Stürzt die SPD ab? Käme das der CDU zugute? Schaffen die Piraten noch mal den Einzug ins Parlament? Und kann der Rest der bisher glanzlosen Opposition punkten? Unwägbarkeiten wie diese versuchen Parteien – insbesondere Langzeitregierungsparteien wie die SPD in Berlin – partout zu vermeiden. Die zahlreichen Durchhalteaufforderungen an Wowereit aus der Partei machen also Sinn.

Dass Wowereit lust- und antriebslos jahrelang vor sich hinregieren kann, hat er in der vergangenen Legislaturperiode bewiesen. Er wirkte ausgebrannt und seltsam von den Bürgerinnen und Bürgern entfremdet. Vorwürfe deswegen haben ihn aber nie gejuckt. Hätte ihn in dessen Endphase nicht die Spitzenkandidatin der Grünen, Renate Künast, aus dem Motivationstief geholt, wäre die Abgeordnetenhauswahl von den Wählerinnen und Wählern wohl schlicht verschlafen worden.

Wenn Wowereit sich die nächsten drei Tage halten kann, wird er – keine weiteren peinlichen Enthüllungen vorausgesetzt – wohl auch die nächsten drei Jahre bleiben. Das ist schlecht für Berlin, weil es inhaltlichen Stillstand bedeutet. Und es ist auch schlecht für die Politiker, weil sie an Glaubwürdigkeit verlieren. Aber wahrscheinlich entspricht es genau der Logik der Politik.

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Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.

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