Ice-Music-Festival in Norwegen: Kontrollverluste im Schnee

Wer in Geilo die kälteste Open-Air-Musikveranstaltung der Welt anhören will, muss sich warm anziehen. Die Musiker spielen auf Eisinstrumenten, das Publikum bibbert.

Trompeten aus Eis, Grade unter Null und hunderte Besucher. Bild: dpa

GEILO taz | Terje Isungset ist nervös. Die Bassdrum klingt nicht gut. Sie sieht mit ihrem matten Schimmer zwar sehr schön aus, gibt aber keinen klaren Ton von sich. Da muss man noch mal mit der Kettensäge ran. Zur Not kommt die oberste Eisschicht weg. Ganz recht: Diese Trommel ist ein massiver Block aus Eis, in die ein feiner Spalt gesägt wurde. Bis zum Konzert um Mitternacht sind es nur noch ein paar Stunden, eigentlich soll die Trommel dann fertig sein. Und jetzt schneit es auch noch.

Gemütlich kann man das verschneite Fleckchen im Freien eigentlich nicht nennen. Ein halb offener Iglu, um den herum insgesamt neun Tonnen Eis und eine Tonne Schnee verbaut wurden, auf der Bühne stehen transparent glänzende Instrumente. Harfen, Hörner, Röhrenglocken, Marimba - alles aus Eis. Hier im norwegischen Geilo steigt zum fünften Mal eines der seltsamsten Musikfestivals, das man sich vorstellen kann. Das Ice Music Festival ist der klirrende Wirklichkeit gewordene Traum des Jazzperkussionisten Terje Isungset, Kind des rund 2.500 Einwohner zählenden Dörfchens Geilo, gesprochen "Jeilo". Mit seinen zahllosen Pisten und Loipen ist der beschauliche Ort mit seinen Holzhäusern eines der beliebtesten Skigebiete Norwegens, auf halber Strecke zwischen Bergen und Oslo gelegen.

Was zunächst nach einer Schnapsidee klingt, ist für Isungset und alle Beteiligten eine ernste Sache. Mit großer Konzentration gehen sie am Festivalgelände ihrer Arbeit nach, die Instrumentenwerkstatt neben der Bühne gleicht einer Freiluft-Tiefkühlkammer: Überall liegen große Eisblöcke herum, die mühsam den Berg hinaufgebracht wurden. Ohne Even und Knut ginge dabei gar nichts. Wochenlang waren die zwei Ice-Scouts im Umland unterwegs, um aus den zugefrorenen Seen Proben zu entnehmen und sie Isungset zur Klangprobe zu bringen.

Dieses Jahr kommt das Eis aus dem nahe gelegenen Vatsfjorden. Denn man kann nicht einfach beliebige Eisstücke für die Instrumente verwenden. Die Temperatur ist entscheidend für die Qualität des Klangs, je kälter, desto größer das Obertonspektrum. Bei Temperaturen gegen null wird der Klang stumpf. Wenn im Eis zu viele Luftblasen eingeschlossen sind, vibriert es nicht richtig. "Ich kann hundert Eisstücke haben, und nur zwei davon klingen gut, der Rest hat keinen Klang", so Isungset. Man müsse den Klängen des Eises lauschen. Mit Kunsteis hat er es auch schon mal probiert, in Japan zum Beispiel. "Sie hatten einen ganzen Lkw voll mit Eis gebracht, doch es hatte keinen Klang. Es sieht perfekt aus, aber wenn man es ausprobiert, ist es tot."

Die Idee für das Festival kam Isungset im Jahr 1999, als er in Lillehammer an einem gefrorenen Wasserfall spielte. "Ich hatte schon vorher mit Steinen, Holz und Metall gearbeitet. Im Winter gab es außerdem Eis. Das habe ich ausprobiert, und es funktionierte fantastisch." Seitdem scheint der Schlagzeuger irgendwie am Eis kleben geblieben zu sein. Festivalorganisator Pal Medhus erinnert sich gern an die Geburtsstunde des Spektakels 2005: "Nach einem Auftritt in Schweden und nach ein paar Gläsern Rotwein bat mich Terje zu sich und fragte, ob es möglich sei, ein Eismusikfestival zu organisieren. Ich überlegte kurz und sagte Ja." Seit 2006 spielt Isungset zu jedem ersten Vollmond des Jahres mit seinen Eisfreunden in Geilo auf. Heute Nacht ist das Vollmondkonzert, zugleich feiert man die Veröffentlichung des neuen Albums "Winter Songs".

Obwohl es schneit und die Temperaturen bei minus zehn Grad liegen, haben sich rund zweihundert Besucher eingefunden. Der Mann aus der Nähe von Bergen ist eigentlich nur zum Skifahren in Geilo, doch seine Freunde hätten ihm gesagt, er müsse unbedingt zu diesem Konzert gehen. Einheimische hingegen lassen sich seltener blicken. Vor der Bühne haben sich dick vermummte Gestalten eingefunden, die langsam zu im Mondlicht schimmernden Schneemännern mutieren. Viele stecken in High-Tech-Winterkleidung, manche sind im eleganten Pelz da, andere haben sich gleich einen Schlafsack über den Kopf gezogen. Wer kann, steht auf einem der Rentierfelle am Boden. Die eigens gekauften Thermo-Pads im Schuh helfen zum Glück auch.

Auf der Bühne sitzen, ganz in Weiß verpackt, die Harfenistin Sidsel Walstad, Sängerin Lena Nymark und Terje Isungset. Zur Begrüßung bläst der hoch gewachsene Musiker ein paar Töne in sein Eishorn und merkt trocken an: "Wenn Sie den Eindruck haben sollten, dass so ein Horn sehr kalt ist, kann ich nur sagen, es stimmt." Das Gleiche gilt zweifellos auch für die verschiedenen Röhrenglocken und das Iceofon, eine Art Marimba aus Eis, die Isungset fast nur mit bloßen Fingern anschlägt.

Der bedingungslose Einsatz für die Musik hat schon seinen Tribut gefordert, einige seiner Finger sind mittlerweile taub. Erwartungsgemäß sind die Klänge des gefrorenen Instrumentariums sehr hell und klar, die Kombination von Harfe und Perkussion funktioniert ausgezeichnet. Nymark singt dazu mit elfenhafter Stimme, was der Stimmung manchmal einen etwas esoterischen Anstrich verleiht.

Isungset hingegen wirkt ganz in seinem Element, er lächelt beim Spielen wie ein großer Junge, der sich am Entdecken der Welt erfreut. Seine ironischen Kommentare verhindern zudem, dass die Atmosphäre zu weihevoll wird. Auch Walstad zeigt sich vor dem Konzert alles andere als entrückt. Sie bietet sich zum Stimmen einer ihrer Harfen an, damit man sie ausprobieren kann.

Auf die Frage, wie lange so ein Instrument die Stimmung hält, muss sie lachen. "Das gehört zum Spiel, man hat über nichts Kontrolle. Dadurch wird es spannend. Man muss seine Erwartungen sehr weit herunterschrauben, dann freut man sich hinterher am meisten." Normalerweise spielt die Solo-Harfenistin des norwegischen Rundfunkorchesters in geheizten Räumen an Holzinstrumenten, doch das Eis ist für sie eine schöne Abwechslung der etwas anderen Art.

So ganz auf konventionelle Materialien verzichten kann man allerdings nicht: Die Saiten der Harfe sind an einem Plexiglassteg verschraubt, der in den Eisrahmen eingelassen wurde. Für die Lösung sämtlicher technischer Probleme ist Bill Covitz zuständig. Seit dem ersten Jahrgang baut der US-Eisbildhauer für die Musiker allerhand exotische Instrumente. Dazu schaut er sich zunächst die ungefrorenen Vorbilder an, studiert ihre Klangeigenschaften und entwirft dann seine Eisversion. Eine Eisgitarre und ein Didgeridoo waren auch schon unter seinen Schöpfungen.

Auf den Vorschlag, ein Eisakkordeon zu bauen, wollte sich der ehemalige Koch aber lieber nicht einlassen. Dafür hat er einen anderen Wunsch: "Ein Cello wäre schön, ein richtig großes Cello." Einige seiner Hörner hat Isungset gar aus mehr als 2.000 Jahre altem Gletschereis gebaut, für ihn ein Ausdruck des Respekts vor der Natur: "Ich denke, Musik mit einer der wichtigsten Ressourcen der Erde zu machen, mit Wasser, ist eine große Ehre." Angesichts des Alters dieses Materials werde man sich der eigenen Rolle besser bewusst.

Und dann ist er doch wieder da, der leicht esoterische Einschlag: "Das Eis hat mich gelehrt, klein zu sein." Seiner Musik hat das freilich nicht geschadet.

Terje Isungset: "Winter Songs" (All Ice Records)

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