Kunst auf einer Hotelbaustelle in Berlin: Sehnsucht nach der großen Freiheit

33 Künstler, 33 Räume: Die Ausstellung „The Vacancy“ in der Friedrichstraße erinnert an die Zeiten, als noch die Kunst die Berliner Stadtmitte regierte.

Die Ausstellung Vacancy

Ach, das ist so 90er: Ausstellung Vacancy in einem unfertigen Hotel in Berlin. Foto: dpa

Unzählige graue Mosaiksteine aus Stoff auf einem rissigen Holzboden. An der vergilbten Wand hängt die Zeichnung eines alten Teppichmusters. Selbst eine „Leerstelle“ ist „Das gelbe Teppichmesser“ vielleicht nicht. Zumindest ist die Arbeit von ­Jenny Feldmann ein gelungenes Beispiel dafür, wie man eine Leerstelle füllen kann. Aus den Versatzstücken einer Billigauslegeware hat sie einen reich orna­mentierten Orientteppich aus dem 19. Jahrhundert nachgeformt, den sie in einer Zeitschrift gefunden hat.

Zu sehen ist das schöne Stück der jungen Hamburger Künstlerin derzeit in Berlin-Mitte. „Vacancy“ heißt die temporäre Ausstellung, die die Galerie Crone in dem alten Hostel Adler, direkt am U-Bahnhof Oranienburger Tor, eingerichtet hat. Gerade wird die Immobilie mit wechselhafter Geschichte zum Hotel umgebaut. Das Adler galt als das „schlechteste Hostel der Stadt“. Die „Vacancy“-Schau mit dem lapidaren Untertitel „33 Räume, 33 Künstler“ überrascht nun mit guter Kunst.

Das coole Spektakel über fünf Etagen in dem entkernten Bau nimmt die derzeit grassierende Nostalgie nach dem Berlin der neunziger Jahre auf, mit der schon die Ausstellung „Ngoro Ngoro“ in einem Künstleratelier in Weißensee während des Berliner Gallery Weekends im Frühjahr sensationellen Erfolg hatte. Der Charme des Unfertigen, Kaputten paart sich mit dem Effekt „Kunst im Lebensalltag“ und der Melancholie des Historischen – im Treppenhaus des heruntergewirtschafteten Hauses kann man noch Holzschnitzereien des Gründerzeitbaus bewundern. Überall liegt Schutt auf den freigelegten Dielen, uralte Kabel quellen aus der Wand.

Zwischennutzer Kunst

Überall liegt Schutt auf den freigelegten Dielen, uralte Kabel quellen aus der Wand

Wenn es eine übergeordnete kuratorische Erzählung dieser gelungenen „Zwischennutzung“ gibt, dann die sanfte Trauer über die Zeiten, als die Kunst noch die treibende Energie der Berliner Stadtmitte mit ihren vielen „Leerstellen“ war. „Die große Freiheit ist nicht mehr da“, seufzt Markus Peichl, Geschäftsführer der Galerie und einst Gründer der Zeitschrift Tempo. „Trotzdem kann ich mir keine andere Stadt vorstellen, wo das noch so möglich wäre. Wir brauchen diese Leerstellen für die junge Kunst.“

Beiläufig stößt einen die Aktion in Sichtweite des verwaisten, bald hochpreisig verbunkerten Tacheles wieder einmal mit der Nase auf die Besitzverhältnisse in der Stadt. Besitzer des Hotels in spe ist eine Unternehmensgruppe um Rafael Koren­zecher – ein schwer durchschaubares Firmenkonglomerat rund um Mode, Immobilien und Medien. Korenzecher verlegt auch die Jüdische Rundschau und bloggt gegen Antisemitismus. Aber immerhin geht es ihm bei dem schmalen Bau weder um strukturellen noch um spekulativen Leerstand. Und er hat offenbar ein Herz für Kunst.

Das kommerzielle Kalkül der Schau ist aufgegangen. Einige der ausgestellten Arbeiten wurden bereits verkauft. Die Qualität dieser „Kunst für drei Wochen“ spricht aber gegen eine bloß raffinierte Aktion in Sachen Marketing und Gentrifizierungsbeschleunigung. Auch wenn sich Peichl als Medienpartner das Zeit-Magazin ins Boot geholt hat. Über den Ins­ta­gram-Feed der Hamburger werden die Kunstwerke in die sozialen Medien gestreut.

Allerdings gehören nur vier der 33 Künstler zur Galerie. Der Maler Carsten Fock ist noch der bekannteste der Teilnehmer. Ansonsten hat sich Crone auf den Rat von Freunden wie der Fotografin Katharina Sieverding oder den Medienkünstler Marcel Odenbach verlassen. Und hat Nachwuchskünstler in die staubige Baustelle geholt.

Der Hamburger Maler An­to­ny Valerian ist der jüngste von ihnen. Der 1992 geborene Schüler von Daniel Richter zeigt seine schwerelos schwebenden Landschaftsbilder.

Mal zeigen sich die Künstler dem rohen Raum gewachsen: Pola Sieverdings riesige Fotografien von Männertorsi scheinen wie für sie gemacht. Mal kon­tras­tieren die Arbeiten reizvoll mit der Rohheit des Gebäudes: Wie man an den wunderbar filigran gezeichneten Aderngespinsten der Berliner Künstlerin Paula Doepfner sehen kann. Mal beziehen sie sich explizit auf die Geschichte des Gebäudes.

Der Berliner Künstler Max Schaffer hat auf den Boden ­eines düsteren Durchgangszimmers eine aufgeschnittene Matratze gestellt. Und die Unterschriften von Hostelgästen, die er in einem alten Aktenschrank gefunden hat, hat er im Großformat auf die rissige Tapete an der Wand übertragen.

Eine der lustigsten Arbeiten stammt von Sofia Goscinski. „Head in the Closet“ hat sie ihre Skulptur genannt. Wenn man sich auf eine in die Wand eingelassene Klomuschel setzt, verschwindet der Kopf in einer zweiten Schüssel, die verkehrt herum darüberhängt.

Womit wir bei einer weiteren Bedeutungsebene des Ausstellungstitels wären. In der Literaturtheorie sind „Leerstellen“ nämlich unvermittelt aneinanderstoßende Textsegmente, die seine erwartbare Ordnung unterbrechen. Auch so kann Schönheit entstehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.