Theatertreffen Berlin: Plötzlich steht alles in Frage

Die Relevanz des Theaters stand in der letzten Saison besonders auf dem Prüfstand. Davon erzählt ein Juror des Theatertreffens.

sechs Männer und eine Frau

Die Jury des Theatertreffens 2016: v.l. Peter Laudenbach, Barbara Burckhardt, Stephan Reuter, Wolfgang Huber-Lang, Andreas Wilink, Till Briegleb und Bernd Noack Foto: Iko Freese/drama berlin

The same procedure as every year? Nein! Jede Jury, die auf diese Frage laut „nein“ sagen kann, weil sie nicht bei den üblichen Verdächtigen stehen geblieben ist, kann eigentlich stolz auf sich sein. So geht es dem Theatertreffen 2016: Denn mehr als die Hälfte der zehn „bemerkswerten Inszenierungen“, die diesmal nach Berlin eingeladen sind, zum Theatertreffen ab dem 6. Mai, stammt von RegisseurInnen, die zum ersten Mal dabei sind.

Dazu gehören Ersan Mondtag (28 Jahre alt), mit einer beinahe wortlosen, gruseligen Performance, „Tyrannis“ (Staatstheater Kassel), Daniela Löffner mit einem leicht und anekdotisch erzählten Roman von Turgenjew, „Väter und Söhne“ (Deutsches Theater Berlin) und Anna-Sophie Mahler, eine sehr genau mit musikalischen Strukturen arbeitende Regisseurin, die „Mittelreich“ nach einem Roman von Josef Bierbichler inszeniert hat (Kammerspiele München).

Auch Simon Stone („John Gabriel Borkman“) und Clemens Sienknecht („Effi Briest – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“), die beide sehr frei mit ihren Vorlagen umgehen, werden dazu gezählt.

Einbruch der Realität

Das ist schon mal ein vielversprechender Ansatz. Trotzdem hat Bernd Noack, einer der sieben Kritiker aus der Jury, die sich 394 Inszenierungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz angeschaut hat, für die Zeitschrift Theater heute einen bemerkenswerten Text über den „schwierigen Weg der Jury zur Auswahl für das Theatertreffen“ geschrieben. Der beginnt mit einer fiktiven Pressemitteilung: Dass die Jury diesmal eigentlich keine Stücke aussuchen konnte, weil sie in allen Städten, an vielen Bahnhöfen – Juroren reisen mit dem Zug – und in vielen Theatern über die Not der Flüchtlinge stolperte. Und das war keine Fiktion.

Und nicht nur dort drängte sich die Realität in ihre Jury-Reisen, sondern auch in den Hotelzimmern. Als sie, jeder in einer anderen Stadt, nach einem Theaterabend den Fernseher einschalteten und von den Terror-Anschlägen in Paris erfuhren. Oder wenn vor dem Theater die AfD demonstrierte. Dann, so erzählt Bernd Noack, hatten sie oft mit dem Zweifel an der Relevanz ihres Tuns, der Auswahl von 10 Kunstprodukten, zu kämpfen.

Fiktion eines anderen Auftrags

Und er spinnt in der fiktiven Pressemitteilung weiter, dass sie deshalb 10 Theater in Bochum, Dresden, Hamburg, München (und weiteren Städten) für ihre Arbeit mit Flüchtlingen und die Positionierung gegen rassistische Tendenzen auszeichnen wollten.

Sie haben das nicht getan, sie sind bei ihrem Auftrag geblieben. Doch es ist einem Juror hoch anzurechnen, diesen Zweifel in das eigene Tun, und damit auch in die Institution Theatertreffen, so offengelegt zu haben.

Letztendlich sind nur zwei Inszenierungen in ihrer Auswahl, die mit dem Thema Flucht und Migration umgehen: Von Karin Baier, die mit „Schiff der Träume“ (Deutsches Schauspielhaus Hamburg) das Festival eröffnet, und von Yael Ronen, die in „This Situation“ vom Deutsch-Unterricht in Berlin Neukölln erzählt und in einem komischen Polit-Kabarett viele Projektionen, Unterstellungen und Missverständnisse aufblitzen lässt.

Theater wird so gern als Reflexion hochgehalten und als Teil der Selbstverständigung einer Gesellschaft über ihre Befindlichkeiten und Konflikte gerechtfertigt. Aber es ist auch immer mehr als das, in der Vielfalt der Stoffe, Genres und Stimmen, und zugleich weniger. Denn dieser Anspruch ist sehr theoretisch gedacht und nicht aus dem Leib und Leben der Spielenden heraus. Man wird noch sehen, was das in diesem Jahr an Eigensinn mit sich bringt.

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