Kulturgeschichte des Tortenwurfs: Mitten ins Gesicht

Beim „Tortenangriff“ handelt es sich um eine etablierte Protestform. Vor Sahra Wagenknecht traf es schon diverse andere Politiker.

Eine Torte mit Kirschen oben drauf

Multifunktional einsetzbar: die Torte Foto: wsfp/photocase

BERLIN taz | Diesmal also war es eine Schokotorte. Viel Sahne, viel Braunes. Am Samstag klatschte sie ein Antifa-Aktivist Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht in Magdeburg mitten ins Gesicht. „Torten für Menschenfeinde“, hieß es in seinem Bekennerschreiben. In der Flüchtlingspolitik bediene Wagenknecht mit ihren Hinweisen auf „Kapazitätsgrenzen“ den „Volkszorn“, der AfD liefere sie „ideologische Munition“.

Der Tortenwurf geriet zum größten Politikum auf dem Linken-Parteitag. Dabei dürfte die Protestform der bewegungsaffinen Partei nicht unbekannt sein. Schon die 68-er um Fritz Teufel verübten in Hannover eine legendäre Tortenschlacht. Und erst im Frühjahr erwischte es die AfD-Bundesvize Beatrix von Storch (Sahnetorte, wegen Schießbefehl-Forderung auf Flüchtlinge). In den Vorjahren traf es zudem Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (Sahnetorte, wegen Plagiatsaffäre), den Grünen Jürgen Trittin (Jogurttorte, wegen zu lascher Anti-AKW-Politik) oder Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (Himbeer-Sahne-Torte, wegen Blockierung eines NSU-Auschusses).

Vor allem nach der Attacke auf von Storch hatte die Torte einen Popularitätsgewinn in der linken Szene erhalten. In Berlin brachten Demonstranten auf eine Anti-AfD-Demo jüngst ein selbstgebautes Torten-Katapult – was umgehend von der Polizei beschlagnahmt wurde. Andererorts ist der Torten-Widerstand noch etablierter. In den USA gab es mit der „Biotic Baking Brigade“ eine eigene Vereinigung, in England soll die Lebensmittelkette Tecso vor Jahren wegen wiederholter Attacken ihre Sahnetorten auf ihre Verletzungsgefahr geprüft haben. Und in Frankreich rühmt sich der Anführer der „Pâtissiers sans Frontières“, Noel Godin, in den letzten Jahrzehnten dutzende Politiker und Prominente getortet zu haben, darunter Bill Gates oder Nicolas Sarkozy. Seine Vorgabe: viel Sahne verwenden und die Rezepte auf die Zielperson abstimmen.

Der Magdeburger Tortenwerfer hielt sich dran – und wählte Schoko. Die Linke reagiert mit Entrüstung. Von einer „asozialen“ Aktion sprach Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch, Parteichefin Katja Kipping nannte sie einen „Angriff auf uns alle“. Sachsens Grünen-Chef Jürgen Kasek sagte dagegen, der Aufschrei zeige, dass der Tortenwerfer „ins Schwarze getroffen“ habe. Die Linkstrotzkisten „Klasse gegen Klasse“ jubelten: „endlich“. Rühre Wagenknecht doch „kräftig die Trommeln für Abschiebungen“.

Lakonische Reaktion

Der Tortenwerfer selbst kommt offenbar aus der anderen Ecke der Linken: der antideutschen. Ein 23-Jähriger, seit Jahren in Weißenfels (Sachsen-Anhalt) in Anti-Nazi-Bündnissen aktiv. Akkreditiert hatte er sich für den Parteitag über das Berliner Zeitungsprojekt „Straßen aus Zucker“ – das aus dem antideutschen Spektrum stammt. Die reagierten nur lakonisch: „Wir waren's nicht.“ Man habe an dem Wochenende die nächste Ausgabe geplant oder am See gesessen. Allerdings: Die Sätze Wagenknechts seien „unterirdisch“, die „Aufregung um eine leckere Schokotorte“ könne man „nicht ganz nachvollziehen“.

Gegen den Werfer selbst ermittelt nun die Polizei von amtswegen wegen versuchter Körperverletzung und Sachbeschädigung. Wagenknecht und die Parteispitze ließen offen, ob sie Anzeige stellen. Das könnte teuer werden: Der Tortenwerfer auf Ba-Wü-Innenminister Gall etwa musste 1.000 Euro Geldstrafe zahlen. Dazu kamen 1.300 Euro Schmerzensgeld für Galls Personenschützer, der sich beim Einschreiten verletzte. Dennoch: Die späteren Tortenwerfer hat auch das nicht abgehalten.

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