Kolumne Dumme weiße Männer: Vorauseilender Untergang

Der Brexit zeigt: Für den Untergang des Abendlandes braucht es keine herbeifantasierte Invasion. Dumme weiße Männer reichen aus.

Blick über die Themse auf das Parlamentsgebäude

Independence: Die meisten Länder der Welt verstehen darunter die Unabhängigkeit von den Briten Foto: reuters

Für den Chef der rechtsextremen UKIP-Partei, Nigel Farage, ist der 23. Juni der Unabhängigkeitstag Großbritanniens. An diesem Tag im Jahr 2016 hat das Land in einem äußerst knappen Referendum entschieden, nicht mehr Teil der Europäischen Union zu sein.

Der Brexit als Unabhängigkeitstag? Vermutlich ist Farage kurz entfallen, dass die meisten Länder dieser Erde an solchen Tagen ihre Unabhängigkeit von den Briten feiern. Das Hirngespinst von der eigenen Kolonisierung durch die EU treibt dumme weiße Männer der einstigen Kolonialmacht dazu, sich selbst zu zerstören.

Nach dem Brexit drohen Schottland und Nordirland das Vereinigte Königreich zu verlassen – beide Regionen haben mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt. Innerhalb der Lebensspanne einer einzigen Königin könnte aus dem Empire, über dem die Sonne nie unterging, ein Übriggebliebenes Königreich von England und Wales werden.

Die britische Wirtschaft wird sogar nach den optimistischsten Prognosen schrumpfen, viele Unternehmen könnten ihre Standorte wechseln und so zu einem großen Arbeitsplatzverlust führen. Zahlreiche internationale Abkommen müssten von Großbritannien neu ausgehandelt werden. Für den Untergang brauchte es weder Invasion noch Kolonisierung.

Ein Votum alter Männer

Die Ängste geschürt haben dumme weiße Männer wie Farage – unterstützt von dummen weißen Männern des konservativen Establishments wie Londons Ex-Bürgermeister Boris Johnson und Premierminister David Cameron. Es sind Ängste vor angeblicher Fremdherrschaft, wie sie in Deutschland ebenfalls unter den Schlagwörtern „Islamisierung“, „EUdSSR“ oder „Demokratur“ von Rechtsextremisten und „Reichsbürgern“ vorgetragen werden.

Cameron hat das Referendum aus Opportunismus und als Zugeständnis an Großbritanniens Rechte noch 2013 versprochen – sofern seine Partei in die Regierung gewählt werde. Damals deutete er noch an, einen Austritt mitzutragen. Nun hat er seinen Rücktritt angekündigt, weil er die Konsequenzen des Referendums doch nicht tragen will.

Den Staffelstab des Austrittsbefürworters übernahm dann Johnson. Ein Brexit wäre wie ein Gefängnisausbruch für das Vereinigte Königreich, sagte Johnson noch im März. Nun, da er seinen Wunsch bekommen hat, betont er, Europa doch ganz toll zu finden: Das Vereinigte Königreich sei weiterhin vereinigt, das Land weiterhin europäisch.

Und im Fernsehen nahm Nigel Farage dann die Parole der EU-Gegner wieder zurück, wonach die freiwerdenden britischen EU-Gelder in die staatliche Krankenversorgung, in die NHS, fließen würden: „Das war ein Fehler der Brexit-Kampagne“.

Nicht zufällig standen sich beim Fernsehshowdown zum Brexit wohl der weiße Boris Johnson und sein Nachfolger, der pakistanischstämmige Bürgermeister von London, Sadiq Khan, ein Muslim, gegenüber. Johnson forderte den Austritt, Khan den Verbleib. Ein weißer Mann beging den Mord an der Labour-Politikerin Jo Cox, einer engagierten Verbleibsbefürworterin. Nicht zufällig haben vor allem (alte) Männer beim Referendum den Ausschlag für den Brexit gegeben, wie eine YouGov-Umfrage zeigt.

„Dexit“-Fantasien

Die EU-feindlichen Bewegungen Europas sind vor allem Bewegungen weißer Männer, die den Bedeutungsverlust ihrer demographischen Gruppe seit Ende des Kolonialismus mit dem Untergang der Zivilisation gleichsetzen. Nach dem Brexit rufen zahlreiche rechte, nationalistische Gruppen ebenfalls nach EU-Austrittsreferenden: Geert Wilders in den Niederlanden, die Lega Nord in Italien und der Front National in Frankreich. In Deutschland feiern die AfD und die rechtsextreme NPD fast wortgleich den Brexit und fordern implizit und explizit den „Dexit“.

Am Ende wird eine Frau wohl die Scherben der dummen weißen Männer zusammenkehren müssen. Angela Merkel erinnerte am Freitag daran, dass die EU gegründet wurde, um Jahrhunderte des Krieges zu beenden. Sie führte das nicht aus, aber diese Kriege begründeten sich im Kolonialismus und dem Größenwahn weißer Männer, weshalb ihre letzten Kriege auf europäischem Boden auch zu Weltkriegen ausarteten. Die Kriege danach haben sie meist verloren, denn diese waren Unabhängigkeitskriege.

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Lalon Sander ist Datenjournalist. Sein Schwerpunkt liegt in der Aufbereitung von Datensätzen zum Klimawandel.

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