Selbstmordanschlag in Istanbul: Getroffen sind alle

Der Anschlag auf Istanbuls größten Flughafen zeigt eine neue Dimension des Terrors. Die Regierung versucht, Sicherheit vorzugaukeln.

Glasscheibe mit Spuren eines Schlages oder Schusses

Klare Wirkung: Jeder könnte Opfer sein. Foto: dpa

ISTANBUL taz | Wer bislang glaubte, es könne nicht schlimmer werden, wird in der Türkei aufs Neue eines Besseren belehrt. Der Anschlag auf den Hauptflughafen von Istanbul zeigt eine neue Dimension des Terrors. Das Drehkreuz des Landes ist getroffen. Jeder könnte eines der Opfer sein und entsprechend fühlt sich auch jeder betroffen.

Die Empörung in den sozialen Medien ist enorm. Haben wir überhaupt noch eine Regierung die uns schützt, ist der Tenor der Äußerungen auf Twitter. Warum ist Innenminister Efkan Ala und warum Geheimdienstchef Hakan Fidan noch im Amt? Was macht Präsident Recep Tayyip Erdoğan? Das sind Fragen, die die Menschen jetzt umtreiben.

Erdoğan machte in der letzten Nacht erst einmal die gesamte Weltgemeinschaft verantwortlich, die angeblich nicht genug gegen die terroristische Bedrohung tun würde. Sein neuer Ministerpräsident Binali Yıldırım muss sich unterdessen der unangenehmen Aufgabe stellen, und das neuerliche Versagen der Sicherheitsvorkehrungen vor der Öffentlichkeit rechtfertigen. Obwohl es bislang keinerlei Bekenntnisse zu dem Attentat gibt, geht die Regierung davon aus, dass der sogenannte Islamische Staat (IS) der Auftraggeber des Terrors ist. Als Ministerpräsident Binali Yıldırım in der Nacht vor die Presse trat, war sein hauptsächliches Bemühen, darzustellen, dass es kein Sicherheitsproblem am türkischen Hauptflughafen Atatürk geben würde.

Die schwerbewaffneten Terroristen seien bereits an der ersten Sicherheitskontrolle am Betreten des eigentlichen Flughafenbereiches gehindert worden und hätten dort ihre Sprenggürtel gezündet. Mithin, die Sicherheitseinrichtungen hätten funktioniert. Angesichts von mindestens 36 Toten und 150 teils schwer verletzten Menschen wird das überwiegend als Hohn empfunden, zumal es mittlerweile etliche Augenzeugenberichte gibt, die im Gegenteil erzählen, dass es mindestens ein Terrorist durch die Sperre geschafft hat und in der Abflughalle auf Passagiere das Feuer eröffnete. Trotzdem wurde der Flugverkehr heute Morgen um 8:00 Uhr bereits wiedereröffnet. Krampfhaft soll eine Normalität vorgegaukelt werden, die natürlich in keiner Weise besteht.

Es geht nicht nur um Angst

Nach bereits sechs Terroranschlägen allein in Istanbul in diesem Jahr geht nun endgültig die Angst um. Wo kann ich überhaupt noch hingehen, fragen sich die 15 Millionen Einwohner der größten Metropole des Landes. Wer sorgt noch für meine Sicherheit?

Nachrichtensperren und die Angst der Journalisten, Fragen zu stellen, verhindern, dass die Sicherheitsdebatte in den großen Fernsehanstalten laut wird. Aber auf Dauer wird die Empörung der Menschen im Land wohl kaum zu unterdrücken sein. Denn es ist ja nicht nur die Angst, die sich jetzt wie ein Alptraum über die Türkei legt. Der Terror hat auch massive ökonomische Auswirkungen.

Der Flugverkehr ist eine der wichtigsten Wachstumsbranchen der Türkei. Schon jetzt wurden am Atatürk Flughafen mit 60 Millionen Passagieren im Jahr genauso viele Menschen abgefertigt wie am größten deutschen Flughafen in Frankfurt am Main. Istanbul hat aber noch einen zweiten Flughafen der ebenfalls mit großer Geschwindigkeit wächst: Sabiha Gökçen. Vor allem aber ist zur Zeit ein neuer Großflughafen im Bau, der ab 2018 doppelt so viele Passagiere abfertigen soll wie jetzt Atatürk, nämlich 120 Millionen Menschen. Auch um diese Planung nicht zu gefährden, wird nun alles getan, um den Terroranschlag am Flughafen Atatürk herunterzuspielen.

Unmittelbar betroffen ist auch der Tourismus in der Türkei. Schon jetzt sind die Strände an den türkischen Küsten leer. Istanbul ist die Stadt mit den größten Einbußen in der Tourismus-Branche in ganz Europa. Der Anschlag vom Dienstag wird diese Entwicklung weiter verstärken und damit hunderttausende Menschen um Job und Einkommen bringen.

Zentraler Knotenpunkt des Tourismus

Der Terror geht in der Türkei von zwei entgegengesetzten Lagern aus. Da ist zum einen die PKK und ihre Unterorganisation Freiheitsfalken (TAK), die aus Rache für das Vorgehen von Polizei und Armee in den kurdischen Gebieten im Osten des Landes Terrorangriffe im Westen des Landes unternehmen. Davon betroffen sind aber hauptsächlich Militär- und Polizeieinrichtungen, auch wenn die TAK-Opfer unter Zivilisten bereitwillig in Kauf nimmt. Auf das Konto der TAK ging auch der Anschlag am 7. Juni diesen Jahren in der Altstadt von Istanbul, als sie ein mit Sprengstoff beladenes Auto neben einem Polizeibus zündeten und dabei auch den Tot zahlreicher Zivilisten herbeiführten.

Die anderen Angreifer sind die des „Islamischen Staates“ (IS). Der IS verbreitet Terror, indem er möglichst viele Menschen tötet, allerdings in Istanbul zielgerichtet gegen Touristen, oder wie jetzt am Flughafen, gegen zentrale Knotenpunkte des Tourismus vorgeht. Dadurch soll nicht nur, wie Erdoğan jetzt behauptet, das Land insgesamt destabilisiert, sondern einer der wichtigsten Wirtschaftszweige gezielt getroffen werden. Und während Erdoğan die Weltgemeinschaft beschuldigt, zu wenig gegen den Terror zu tun, ist immer noch völlig ungeklärt, in welchem Ausmaß die türkische Regierung jahrelang mit dazu beigetragen hat, den IS stark zu machen und welche Beziehungen der türkische Geheimdienst nach wie vor zu der islamistischen Terrororganisation hat.

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