Kolumne Hosen runter: Das Jahr der Sommerarschlöcher

Sommerloch, endlich? Von wegen. Wenn schon Käsefüße eine Ohrfeige rechtfertigen, muss man sich nicht über Terror wundern.

Ein DIN-A4-Blatt mit einem Männchen-Piktogramm. In der Mitte ist ein Loch ausgestanzt, darunter sieht es aus, als ob ein Po durchschaut

2016, Symbolbild Foto: kallejipp / photocase.de

Alle warten auf das Sommerloch, ich bin mit ihm Zug gefahren. Irgendwann zwischen Ansbach, Reutlingen und Saint-Étienne-du-Rouvray, irgendwo zwischen Kassel-Wilhelmshöhe und Göttingen tat es sich auf, im Ruheabteil.

„Jetzt reicht’s aber wirklich!“, sagte sinngemäß eine gar nicht so leise männliche Stimme ein paar Sitze weiter hinten. „Sie setzen sich hier her, ziehen die Schuhe aus und legen Ihre Käsefüße auf den Sitz neben mir. Ich hab Ihnen vorhin schon gesagt, dass Sie das lassen sollen, ich habe eine feine Nase.“

Kurz dachte ich an das große Stück Parmesan in meinem Rucksack, das mir meine Mutter eingepackt hatte, aber ich bin ja keine Spielverderberin.

Die Antwort des Stinkers verebbte zwischen Zeitungsgeraschel und Tunnelgeräuschen, im Zug wurden weiter Zugsachen verrichtet: schlafen, essen, aufs Klo gehen. Bis irgendwann die Schaffnerin vorbeikam, die ihren gesammelten Weltschmerz seit Karlsruhe in jede Durchsage gelegt hatte – „Sehr geehrte Fahrgäste, seufz, in wenigen Minuten erreichen wir Frankfurt, seufz“ – und von dem aufgebrachten Fahrgast angehalten wurde. Ob sie wohl etwas gegen den Käsefuß unternehmen könne? Eine Frechheit sei das nämlich.

Die Schaffnerin seufzte, was man von ihr ja schon kannte. Das Publikum hingegen war von der Vorstellung durchaus angetan. Köpfe reckten sich über Sitze, Popcorn wurde ausgepackt, Nachbarn kichernd angestupst.

Endlich mal eine Komödie

Und ich dachte an meine Mutter, die bei meinem Besuch gesagt hatte, dass die aktuelle Weltlage kein Wunder sei, wenn jeden Abend im Fernsehen ein Krimi läuft. Hier lief endlich mal eine Komödie! ­Vorausgesetzt, die Streitenden waren unbewaffnet.

Dann ging alles ganz schnell. Der laute Mann schraubte sich aus seinem Sitz, baute sich vor dem anderen auf und bamm!, scheuerte ihm eine. „Sie haben mich schon die ganze Zeit provoziert“, rief er, „Sie haben nach einer Schelle verlangt, und jetzt haben Sie die Schelle gekriegt.“

Ich dachte an meine Schildkröte, die im Garten meiner Eltern lebt und Schuhfetischist ist. Am geilsten findet sie Turnschuhe, wegen der Gummisohlen. Käsefüße interessieren sie nicht. Aber Schildkröten sind eh die besseren Menschen. Sie haben zwar einen Panzer, würden aber niemals jemanden damit töten.

Dann, in Göttingen, eine Durchsage: „Wegen eines Polizeieinsatzes im Zug, seufz, verzögert sich unsere Weiterfahrt.“ Der Käsefuß zeigte den Schellengeber an, wegen Körperverletzung. Der Schellengeber zeigte den Käsefuß an, wegen Beleidigung. Nach einer Viertelstunde mussten beide mit dem Polizisten den Zug verlassen, in Berlin kamen wir trotzdem früher an als geplant.

Und am nächsten Tag schrieben alle darüber. Sommerloch eben, endlich. Nur: Wenn schon Käsefüße eine Ohrfeige rechtfertigen, dann muss man sich nicht über Terror wundern. 2016 gibt es kein Sommerloch, nur Sommerarschlöcher.

Bleibt die Frage: Kann man mit einem Sommerlocher Konfetti machen? Das würde vielleicht helfen, zumindest ein kleines bisschen.

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Jahrgang 1984, Redakteurin der taz am wochenende. Bücher: „Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst“ (2018, KiWi). „Theo weiß, was er will“ (2016, Carlsen). „Müslimädchen – Mein Trauma vom gesunden Leben“ (2013, Lübbe).

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