Abschiebungen aus Schweden: „Man kippt sie einfach in Kabul ab“

Schweden deportiert rund 20 junge Afghanen in ihr Heimatland. Menschenrechtler kritisieren das Vorgehen scharf.

Menschen auf einem Bahnhof

Polizisten begleiten in Malmö ankommende Flüchtlinge zum Camp in Bahnhofsnähe (Archivbild 2015) Foto: imago/Lars Berg

STOCKHOLM taz | „Eine Schande für Schweden ist das“, sagt Kinna Skoglund, als sich der von mehreren Polizeiautos eskortierte blaue Bus am Dienstagabend kurz vor 19 Uhr in Bewegung setzt. Zusammen mit rund einhundert anderen DemonstrantInnen hatte die Sprecherin des Netzwerks „Vi står inte ut“ („Wir halten das nicht aus“) den ganzen Tag in Kållered vor dem Gelände der Ausländerbehörde „Migrationsverket“ protestiert.

Kurzer Tumult entsteht, die Polizei öffnet die Sperren. Einige versuchen, den Bus zu stoppen, werden von berittener Polizei zurückgedrängt. Menschen schreien. „Ein Schulkamerad von mir sitzt da drin“, schluchzt Samir, „beim nächsten Mal bin ich es vielleicht. Die dürfen uns nicht zurückschicken. Wir können nicht zurück, es ist doch lebensgefährlich.“

Am Wochenende war bekannt geworden, dass am Dienstag unter Regie der EU-Agentur Frontex eine neue Abschiebung nach Kabul stattfinden sollte, für Flüchtlinge, deren Asylantrag in Schweden abgelehnt worden war. Rund 20 junge Afghanen, die teilweise als alleinreisende Jugendliche vor ein- bis zweieinhalb Jahren ins Land gekommen waren, waren in das bei Göteborg liegende Lager Kållered gebracht worden.

Mit 14 von ihnen habe man Kontakt gehabt, berichtet Skoglund: „Sie sprechen Schwedisch, sind ambitioniert, teilweise Musterschüler, haben beste Voraussetzungen, eine wertvolle Ressource für unsere Gesellschaft zu werden.“ Bei vielen hätte Migrationsverket das „amtliche“ Alter auf über 18 Jahre hochgesetzt – minderjährige abgelehnte Asylbewerber werden derzeit nicht abgeschoben. Man wisse, dass die meisten keine Familie oder ein Netzwerk in Afghanistan hätten, einige hätten vor ihrer Flucht lange in Iran oder anderen Ländern gelebt: „Man kippt sie einfach in Kabul ab.“

Mehr als 35.000 unbegleitete Minderjährige waren 2014 und 2015 nach Schweden gekommen, bevor Stockholm die Grenzen dicht machte, 23.000 aus Afghanistan. Laut einer Studie der Universität Upsala zeigen 76 Prozent der untersuchten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge posttraumatische Stresssymptome, ein Drittel habe aktive Selbstmordgedanken. Eine offizielle Statistik gibt es nicht, aber laut Vi står inte ut haben sich in den letzten drei Monaten mindestens sieben minderjährige Flüchtlinge das Leben genommen. Der letzte am Montag. „Sie sterben lieber, als zurückzumüssen“, sagt Skoglund.

Mehr als 35.000 unbegleitete Minderjährige sind 2014/15 ins Land gekommen

„Kein Mensch ist illegal“, schallt es am Dienstagabend auch durch die Abflughalle des Flughafens Göteborg-Landvetter. Auch dort haben sich zwei Dutzend DemonstrantInnen versammelt. Um 21.55 Uhr hebt die Maschine mit den zwangsweise Abgeschobenen nach Wien und von dort zum Weiterflug nach Kabul ab. Zehn Afghanen sind an Bord. Für die anderen konnte die Abschiebung in letzter Minute gerichtlich verhindert werden. „Morgen kämpfen wir weiter“, verspricht Kinna Skoglund.

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