Ausstellung zu Brutalismus: Zurück zum Beton

Der Hartware MedienKunstVerein feiert das Comeback eines verdrängten Baustils. Eine Facebook-Gruppe gab den Anstoß dafür.

Auf Paletten sind graue Wohnblöcke gestapelt

„Blocked Delivery II“, 2017, EVOL, Courtesy of the artist, VG Bild-Kunst, Bonn 2017 Foto: Hannes Woidich/HMKV/Courtesy of the artist

Wenn man für einen neuen Architekturstil den Begriff „Brutalismus“ wählt, hat das nicht nur etwas Kraftmeierndes. Es signalisiert auch, dass man der Beliebtheit der in diesem Stil entstandenen Gebäude nicht unbedingt Priorität einräumt.

„Brutalität“ ist ja zunächst nichts besonders Erfreuliches, selbst wenn der Begriff hier eher im Sinne von „brutaler Ehrlichkeit“ gemeint ist: Er will uns sagen, dass moderne Architektur eben aus Beton ist und das auch ostentativ zeigen sollte. Und dass Beton ein außerordentlich skulpturaler Baustoff ist, aus dem man zum Beispiel riesige Kuben und andere abstrakte Formen gießen und aufeinandertürmen kann. Kompromisslos und radikal sollte der Stil für den britischen Architektur­theo­re­tiker Reyner Banham sein; die Grundrisse sollten nachvollziehbar im Vordergrund stehen, das Material as found, also seiner eigenen Natur entsprechend eingesetzt werden.

Der Stil verbreitete sich ausgehend von Großbritannien ab den fünfziger Jahren weltweit bis hin ins sozialistische Osteuropa, wo die riesigen Betonbauten besonders gut ins ideologische Konzept passten. So entstanden teils relativ kleine und elegante Bauten wie die Düsseldorfer Kunsthalle von Konrad Beckmann und Christoph Brockes und Kirchenbauten wie St. Agnes von Werner Düttmann in Berlin-Kreuzberg. Es entstanden aber auch riesige graue Wohnmaschinen wie Park Hill in Sheffield, die ihren Betrachtern dunkel zuzuraunen scheinen: Wen schert’s, ob du das gut findest, du Wicht! Die Anlage wurde inzwischen „zurückgebaut“.

Auch wenn Wohnanlagen wie die Londoner Robin Hood Gardens von Alison and Peter Smithson nicht unbedingt als elitäre Fuck-you-Geste gegen spießige Schönheitsideale gemeint waren, so nehmen sie auf ein kleinbürgerliches Wohlfühlbedürfnis keine Rücksicht. Brutalismus war das letzte Aufbäumen einer Hochmoderne, in der die Form der Funktion folgt, Behaglichkeit kein Wert an sich ist und der Massengeschmack die Klappe zu halten hat.

In der Postmoderne, in der erfolgreiche Architekten gerne zugeben, von Las Vegas gelernt zu haben und Tiny Homes mit Selbstversorgergarten das neue Schwarz sind, wirkt der Stil wie ein Relikt aus einer längst untergegangenen Zeit. Brutalistische Bauten wurden in den letzten Jahrzehnten dem Verfall preisgegeben, verslumten oder wurden – zum Teil wegen gravierender Baumängel – abgerissen. Dieser Stil ist Geschichte. Eine, die die Welt gerne vergessen würde.

Gnadenlose Kunst

Könnte man denken, bis man von einer Facebook-Gruppe mit dem Titel „The Brutalism Appreciation Society“ erfährt, die immerhin gut 50.000 Mitglieder hat. Wenn man sich anmeldet, stellt man fest, dass dort zahlreiche Bescheidwisser aus dem Bekanntenkreis Mitglieder sind. Und dann ist diese Gruppe auch noch Ausgangspunkt für eine Ausstellung, die dem Stil feierlich Tribut zollt.

Die Ausstellung „Gesellschaft zur Wertschätzung des Brutalismus/The Brutalism Appreciation Society“ ist in Dortmund beim HMKV (Hartware Medien­KunstVerein) im „U“ zu sehen, der zum Kulturzentrum umgewidmeten Unions-Brauerei, die selbst Relikt eines architektonischen Gigantomanismus ist – wenn auch aus einer anderen Epoche. Ein durchaus passender Ort also, um dem architektonischen Brutalismus eine Hommage zu erweisen, durch Kunst, die von seiner Gnadenlosigkeit inspiriert ist. Eine weitere Würdigung des verfemten Baustils folgt übrigens im Oktober mit „SOS Brutalismus“ im Frankfurter Architekturmuseum.

Bis 24. September, HMKV, Dortmund, Kurzführer, 25 Seiten, kostenlos

In Dortmund sind nun manche der Arbeiten nur spleenige Kommentare zum scheinbar keinen Widerspruch duldenden Baustil: Der pummelige Spanier Jordi Colomer springt vor Ikonen wie der brasilianischen Hauptstadt Brasilia wie ein Architektur-Fanboy mit Pappversionen berühmter Bauten herum. Dass man vor der Zumutung der Betonkisten nicht unbedingt kampflos kapitulieren muss, zeigt die Arbeit von Bettina Allamoda, die sich wie die mit Detailaufnahmen von der Queen Elizabeth Hall in der Ausstellung vertretene Heidi Specker schon länger für den Stil interessiert: Sie spannt Stretchstoff im Raum, der, mit grünen Pailletten bestickt, eine sehr schicke materialästhetische Antwort auf die herzlosen Betonpfeiler ist. Und die Graffiti des Pariser Street Artists Darco FBI, die im Ausstellungsraum die Wände schmücken – sind das nicht auch „Strategien gegen Architektur“? Wie die, mit denen einst die Berliner Krachband Einstürzende Neubauten der Tristesse moderner Betonklötzen begegnen wollte?

Tobias Zielony, der sein ganzes künstlerisches Œuvre auf der Praxis des Slumming aufgebaut hat, labt sich diesmal an den Kaputniks in der Hochhaussiedlung Vele di Scampia in Neapel. Niklas Goldbach lässt eine digital vervielfältigte „Army of Me“ durch das Pariser Stadtviertel Front de Seine tollen. Die von Inke Arns kuratierte Ausstellung verlässt sich oft auf die inhärente Faszination der düsteren Betonmonster, die nur selten skulptural weitergedacht, sondern vor allem mit Videos und Fotos dokumentiert werden.

Verspielte Respektlosigkeit

Wer nach dem Besuch der Ausstellung Freundschaft mit den grauen Betonkästen geschlossen hat, kann Bastelbögen kaufen, um zu Hause Setzkasten-große Miniaturversionen der sozialistischen Arbeiterschließfächer zu basteln. Die verspielte postmoderne Respektlosigkeit macht eben auch vor den Zumutungen aus Beton nicht halt.

Nach dem Verlassen der Ausstellung sieht man einige Gebäude in der vom Zweiten Weltkrieg zerstörten Dortmunder Innenstadt, die man vorher als Siebziger-Jahre-Scheußlichkeiten betrachtet hätte, mit neuen Augen. Nur ein paar Schritte führen zu einem Hochhaus mit Metallfassade, bullaugenförmigen Fenstern und einer dramatischen Schichtung von Würfeln und Quadern, die unter anderem in eine gastronomisch genutzte Terrasse münden – gar nicht so schlecht, wenigstens hat sich da jemand etwas getraut.

Ob das jetzt wirklich lupenreiner Brutalismus ist, fragt man sich? Das muss entschieden werden, soll aus den Fotos, die eine frisch zum Baustil bekehrte Crowd sammeln soll, am Ende eine Karte der brutalistischen Gebäude im Ruhrgebiet entstehen.

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