Ein Jahr Rot-Rot-Grün in Thüringen: R2G für „Hochzeitsprämien“

Die Gebietsreform droht zu scheitern. Darunter leidet auch eine gute Halbzeitbilanz der ersten linksgeführten Landesregierung in Thüringen.

Ein Mann, Bodo Ramelow

Steht ganz gut da, außer bei der Gebietsreform – Ministerpräsident Bodo Ramelow Foto: dpa

ERFURT taz | „Es gibt immer noch Bananen in Thüringen“, hatte Ministerpräsident Bodo Ramelow schon nach hundert Tagen Regierungszeit gewitzelt. Jetzt, zur Halbzeit der ersten von der Linkspartei geführten rot-rot-grünen Koalition in Deutschland, gibt es sie immer noch.

Der Verband der Wirtschaft Thüringens übt zwar pflichtgemäß Kritik, weil Linke nun mal Finanzen und Wirtschaft nicht können dürfen und angeblich „ideologiegetriebene Politik“ betreiben. Aber die Wirtschaft brummt und spült 200 Millionen Euro Steuern mehr in die Landeskasse als erwartet. Von einem Haushaltsüberschuss von 600 Millionen Euro ist die Rede, der für Investitionen, die Kommunen und für „Hochzeitsprämien“ im Zuge der Gebietsreform eingesetzt werden soll.

Da ist es, das Reizwort, das zum Schicksalsbegriff für Rot-Rot-Grün werden könnte. Die Verwaltungs- und Gebietsreform, mit dem Thüringen den bundesweit üblichen Größen und Strukturen für Kreise, kreisfreie Städte und Gemeinden nahekommen will, ist das zentrale Großvorhaben dieser Koalition. Sie geht jetzt in die heiße Phase. Denn bis zum Herbst müsste sie verabschiedet sein, damit die Kommunalvertretungen im kommenden Frühjahr bereits in den neuen Strukturen gewählt werden können.

In dem am stärksten von Relikten der Kleinstaaterei gezeichneten Bundesland aber erhebt sich regionaler Widerstand. Der Meininger SPD-Landrat Peter Heimrich beispielsweise hat mit einigen Kollegen gegen die Gebietsreform klagt. Dass SPD-Innenminister Holger Poppenhäger nicht gerade die glücklichste Figur macht, vereinfacht die Situation nicht.

„80 Prozent gefühlte Übereinstimmung“

Die regionalen Proteste nehmen die Ramelow-Regierung und die sie tragenden Fraktionen sehr ernst. Aber alle rot-rot-grünen Gesprächspartner möchten zur Halbzeit nicht nur von dieser möglichen Schicksalsfrage, sondern auch von einem mehr als nur erträglichen Koalitionsklima und erledigten Aufgaben reden. „Der soziale und demokratische Konsens ist nach wie vor spürbar“, versichert Linken-Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow und spricht von „80 Prozent gefühlter Übereinstimmung“. Gerne zählt sie Erfolge auf, beispielsweise ein Bildungsfreistellungsgesetz, insgesamt 1.500 neue LehrerInnenstellen, das beitragsfreie letzte Kita-Jahr.

Die grüne Umweltministerin Anja Siegesmund sieht mehr als die Hälfte der in einem „zu 80 Prozent grünen Koalitionsvertrag“ vereinbarten Vorhaben bereits erledigt. Dazu zählt sie Förderprogramme für mehr Energieeffizienz, die Lade-Infrastruktur für Elektroautos. Für den Hochwasser- und Gewässerschutz gibt es neue Landesprogramme, ebenso für den Naturschutz, insbesondere im „Grünen Band“ des ehemaligen deutsch-deutschen Grenzgebietes. Die Verabschiedung des Klimagesetzes und eine Novelle des Wassergesetzes stehen indes noch aus.

„Der soziale und demokratische ­Konsens ist nach wie vor spürbar“

Über 2.500 Hektar künftigen Wildwaldes am Possen bei Sondershausen liegt die grüne Ministerin allerdings mit ihrer Landwirtschafts- und Infrastrukturkollegin Birgit Keller von der Linkspartei im Clinch. Die steht eher den WaldnutzerInnen nahe. Siegesmund bescheinigt der Linken ohnehin „Strukturkonservatismus“.

Aber deshalb gibt es doch keinen Koalitionskrach! „Das übliche Fraktionsvorsitzendenfrühstück bleibt eine lustige Angelegenheit“, frozzelt Grünen-Fraktionschef Dirk Adams.

CDU wettert gegen Gebietsreform

Schwieriger ist die Zusammenarbeit mit der nach wie vor von der CDU geprägten Verwaltung. „Wir haben lernen müssen, dass die Verwaltung sozusagen unser vierter Koalitionspartner ist“, konstatiert Susanne Hennig-Wellsow. Landtagspräsident Christian Carius beispielsweise führe den Landtag „wie ein CDU-Ministerium“.

Nach dem offenbar lange vorbereiteten Übertritt der SPD-Bildungspolitikerin Marion Rosin zur CDU verfügt die Regierungskoalition nur noch über eine hauchdünne Einstimmenmehrheit im Landtag. Und die verdankt sich auch nur einem anderen Überläufer: dem ehemals Zweitplatzierten auf der AfD-Landesliste, Oskar Helmerich. Aber wie schon bei der Regierungsbildung im Herbst 2014 sind Linkspartei, SPD und Grüne überzeugt, dass gerade eine knappe Mehrheit zusammenschweißt und man gemeinsam das Zieljahr 2019 erreicht.

Davon ging bislang auch CDU-Oppositionsführer Mike Mohring aus. Doch mit der Gebietsreform wittert er die Chance zum Umsturz. Es riecht nach vorgezogenem Wahlkampf, wenn die Union alle Haushalte mit mehr als einer Million Kleinbroschüren überzieht, darin die vermeintlichen Fehlleistungen von R2G anprangert und gegen die Gebietsreform wettert. In 38 Städten veranstaltet sie Bürgerforen.

Was will Mohring? „Eine Funktionalreform geht auch ohne Gebietsreform“, sagt er. Will er auch den Machtwechsel? „Wir wollen Rot-Rot-Grün ablösen, wenn die am Ende sind“, orakelt der Christdemokrat. Sein Problem: Selbst wenn die CDU es politisch wollte, dann würde ein Bündnis mit der Höcke-AfD gleich mehrere Überläufer aus der derzeitigen Koalition benötigen, um Rot-Rot-Grün ablösen zu können.

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