Kolumne Lügenleser: Rituelle Zündeleien

Die „Bild“-Zeitung will Normalo-Fans mit populistischen Schlagzeilen gegen Ultras mobilisieren – das passt auch dem DFB.

Fans halten in einem Fußballstadion Transparente mit der Aufschrift "Untergrabung von 50+1", "Eventisierung", "Kollektivstrafen" und "Fick dich DFB!" in die Höhe

Kaiserslauterer Fans demonstrieren gegen Kollektivstrafen und für die Beibehaltung der 50+1-Regel Foto: dpa

Sommerloch? Nicht mit der Bild. Ein altes, neues Thema, und schon ist die neue Serie „Deutschland, deine Ultras“ (Titel vom Autor dieser Kolumne frei erfunden) fertig. Die rituellen Zündeleien beim Pokalspiel Hertha BSC gegen den FC Hansa Rostock kamen da genau richtig.

Es begann verhalten mit „Erster Fußball-Star fordert Knast für Ultras“. Bei dem „Star“ handelte es sich um den Gladbacher Jannik Vestergaard. Dieser erklärte kurz darauf: „Diese Schlagzeile kann ich absolut nicht nachvollziehen, denn ich habe in diesem Zusammenhang weder das Wort Ultras in den Mund genommen noch habe ich irgendwelche Fans oder Ultras pauschalisiert. Mit solchen Pauschalurteilen wird medial versucht, einen Keil zwischen Spieler und Fans zu treiben.“

Denn darum geht es Bild und Teilen des DFB tatsächlich. Der durchschnittliche Fan soll auf die eigene Seite gezogen, überzogene Maßnahmen gegen die kommerz- und eventfeindlichen Ultras so gerechtfertigt werden. Manchmal funktioniert das auch, in Karlsruhe gipfelte es einst in „Ultrasch rausch!“-Rufen (zu Deutsch: Ultras raus!) der gewöhnlichen Stadionbesucher.

Zurzeit ist die Stimmung allerdings zwiegespalten. Spätestens mit Helene Fischer hat es sich der DFB auch mit vielen Normalos verscherzt. Den Ultras geht es bei ihrem aktuellen, herrlich subtilen Protest („Fick dich, DFB“) allerdings um wesentlich konkretere Forderungen, wie die Abschaffung von Kollektivstrafen oder die Beibehaltung der 50+1-Regel, welche verhindern soll, dass Großunternehmen die vollständige Kontrolle über die Profimannschaften übernehmen. Das ist relativ nachvollziehbar – also legte die Bild nach.

Die Devise lautet: Auf sie mit Gebrüll!

Nun behauptete man, der DFB-Vize Rainer Koch wurde bei einem Treffen mit Ultras von diesen bedroht. Der Mann erklärte leider umgehend, dass er überhaupt nicht bedroht worden sei. Peinlich für die Zeitung, die das behauptet, möchte man meinen. Vielleicht ein Moment, in dem man innehalten und sich hinterfragen sollte.

Aber wenn man erst mal in die Schlacht gezogen ist, sieht es dumm aus, wenn man mittendrin feststellt, dass der Grund für den Krieg nonexistent war, das mussten schon die größten Staatsmänner feststellen. Die Devise lautet also weiterhin: Auf sie mit Gebrüll! Vorläufiger Höhepunkt: „Drogen, Huren, Rocker-Clubs: Das schmutzige Geschäft der Hooligans“. Wo kommen wir denn da hin, wenn die Logensitzer von der Bild die Einzigen sind, die auf schmutzige Art und Weise ihr Geld verdienen. Gleiches Recht für alle!

Und genau jetzt, wenn der Boden für populistische Forderungen unwissender Politiker so schön geebnet ist, fährt der DFB der Kampagne in die Parade, geht einen Schritt auf die Ultras zu, setzt unter anderem die Kollektivstrafen mit sofortiger Wirkung aus und signalisiert ernst zu nehmende Gesprächsbereitschaft.

Quo vadis, Bild? Nach vorne natürlich. Deshalb hier die Vorschläge für die nächsten Teile der großen Ultra-Reihe: „Unheilige Allianz: ISIS und Ultras vereint“ und „Tabuthema Pädophile Ultras – Sind unsere Kinder noch sicher?“. Julian Reichelt, übernehmen Sie!

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Juri Sternburg, geboren in Berlin-Kreuzberg, ist Autor und Dramatiker. Seine Stücke wurden unter anderem am Maxim Gorki Theater und am Deutschen Theater in Berlin aufgeführt. Seine Novelle "Das Nirvana Baby" ist im Korbinian Verlag erschienen. Neben der TAZ schreibt er für VICE und das JUICE Magazin.  

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