Debatte Grüne: Im Auge der Superlinken

Es kommt einiges auf uns zu: Warum grüne Politik der entscheidende Faktor für eine gerechtere Zukunft ist. Eine Antwort auf Daniel Bax.

Wahlkampfveranstaltung der Grünen, die PolitikerInnen halten Schilder mit "Darum Grün" hoch

Bündnis 90/Die Grünen beim Bundestagswahlkampf in Stuttgart Foto: dpa

Nein, es ist nicht egal, mit wem Angela Merkel die nächsten vier Jahre regiert. Auch die von den Umfragewerten desillusio­nierten Anhänger einer rot-rot-grünen Koalition sollten aufwachen und dies zur Kenntnis nehmen. Selbstzerfleischung – à la „wer ist die Linkeste im Land?“ – bringt nichts. Genauso wenig wie die schon jetzt intonierten Verratsvorwürfe gegen gewisse Koalitionskonstellationen.

Wer als Minderheit regiert oder mitregiert, kann nicht zu 100 Prozent bestimmen. Und das ist auch gut so. Aber ob es am Ende für Jamaika, Schwarz-Grün oder Schwarz-Rot reicht, ist deshalb noch lange nicht egal. Denn es kommt einiges auf uns zu. Der organisierte Rechtsex­tremismus wird in Gestalt der AfD als eigenständige Kraft im Parlament vertreten sein.

Die Sigmar-Gabriel-SPD – und nicht die Hamburger „Realos“ um Olaf Scholz – wären beim Thema Flüchtlinge und Grenzöffnung der Merkel-CDU fast schon einmal in den Rücken gefallen. Und ganz weit links steht der Wagenknecht-Lafontaine Flügel bei der Linken bereit, um bei Bedarf die nationale mit der sozialen Frage zu verbinden.

Umweltschutz ist kein Luxus

Dabei lässt sich allein „national“ keines der drängenden Probleme heute lösen. Klimawandel und alltägliche Umweltprobleme schreien nach einem schnellen globalen Umbau des kapitalistischen Wirtschafts- und Konsummodells. Ignoranten mögen weiterhin Witze über E-Autos und Bioläden machen. Wer Städte wie Kairo, Jakarta oder Mexiko-Stadt vor Augen hat, spricht anders.

Mangelnde Produktivität und Lebensqualität übersetzen sich in Armut, Smog und ein Wasser, das man, wenn es überhaupt aus der Leitung kommt, nicht trinken kann. Umweltschutz und eine nachhaltige Produktions- wie Konsumweise sind keine Lu­xus­idee, sondern eine existenzielle Frage.

Die SPD regierte zuletzt in wechselnden Koalitionen im Bund. Und es ist nicht so, dass ihr nichts gelang. Die Partei unterstützte den Kampf der Grünen für eine offene Gesellschaft. Die erste rot-grüne Bundesregierung in Deutschland reformierte nach 1998 das völkische Staatsbürgerrecht, erweiterte das Abstammungs- um das Territorialprinzip. Migranten und deren Kinder werden nun viel schneller deutsche Staatsbürger.

Nur Ignoranten machen noch Witze über E-Autos und Bioläden

Teile von CDU/CSU agitierten dagegen mit Parolen wie heute die AfD. Für ein weiteres zentrales Anliegen der Grünen um Joschka Fischer reichte es damals schon nicht: Bei SPD wie Merkels CDU fehlten der Weitblick, um die Aufnahme der Türkei in die EU zu betreiben. Religiös und kulturkämpferisch verhärtete Staatenblöcke sind nun die Folge. Erdoğan beschritt danach den antidemokratischen Weg, eine Jahrhundertchance wurde vertan.

Stattdessen nun AfD. Was sollte mein Sohn kürzlich in einer Schule in Ostberlin lernen? Genau: Die Türkei gehört nicht zu Europa – alles andere sei Haarspalterei. In einer solchen Zuspitzung macht es einen großen Unterschied, ob die Grünen um Cem Özdemir oder die FDP von Christian Lindner in einer Regierungskoalition repräsentiert wären. Özdemir steht für einen konsequent menschenrechtlichen und proeuropäischen Kurs. Er wird dafür von Erdoğan persönlich attackiert. Von Özdemir ist zudem anzunehmen, dass er auf Frankreichs Reformwünsche einginge, Stichwort: deutsche Dominanz in der EU.

Und von Lindner? Das Gegenteil. Die FDP würde in einer Koalition Merkel die verengte nationale Perspektive einnehmen. Zudem will Lindner als künftiger Außenpolitiker die Krim Russland überlassen. Wirtschaftlich lukrative Beziehungen sind der FDP wichtiger als demokratische Entwicklungen. Doch wenn es zu keiner Verständigung Merkels und Macrons kommt, droht das Ende der Union. In der EU gibt es bereits Egoisten genug.

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In schwierigen Zeiten – AfD, Islamismus, Putin, Kriege – setzen viele auf die Große Koalition aus CDU und SPD. Verständlich, doch das bedeutet auch Stagnation. Jahrzehnte benötigten soziale Bewegungen und grüne Partei, bis ihre Kritik an der Atomkraft fruchtete. (Mit einer SPD unter Führung Lafontaines würde man immer noch Kohle abbauen und gegen die Ästhetik von Windrädern polemisieren.) Merkel war klug genug, nach Fukushima die energiepolitische Kehrtwende vorzunehmen. Auch in der Flüchtlingspolitik schwenkte die Kanzlerin auf grüne Positionen ein.

Eine prinzipiell andere Haltung

Kein Grund mehr, auf grüne Politik zu setzen? Unsinn. Prosperität und Frieden im Weltmaßstab wird es nur bei einer radikalen Abkehr von der jetzigen Wirtschafts- und Konsumweise geben. Kretschmann versucht dies in Baden-Württemberg in Teilen mit der Autoindustrie zu erreichen. Man wird ihn und die Grünen dort an ihren Erfolgen messen müssen.

Dabei geht es nicht nur um eine generelle Abkehr vom Verbrennungsmotor. Es geht um eine prinzipiell andere Haltung, das Ende der Ideologie vom permanenten Wirtschaftswachstum. Um eine schlauere und gerechtere Gesellschaft, wo nicht der am meisten verdient und das meiste Ansehen genießt, der für die größte Firma tätig ist. Eine Gesellschaft, in der die Individuen nicht von Neidkomplexen zerfressen sind, von denen die AfD so profitiert.

Dafür muss man kulturell andere Werte propagieren und auch selber leben wollen als jene, die den Insignien des schnöden kapitalistischen Konsums und dessen Hierarchie hinterherhecheln. Ein Unternehmer an sich ist nicht wertvoller und besser als ein Besitzloser, der in einem Bauwagen lebt. Aber das gilt eben auch umgekehrt.

Dumm wäre es, wenn viele unserer Superlinken all dies erst nach dem Wahlsonntag bemerkten.

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Andreas Fanizadeh, geb. 1963 in St.Johann i.Pg. (Österreich). Leitet seit 2007 das Kulturressort der taz. War von 2000 bis 2007 Auslandsredakteur von „Die Wochenzeitung“ in Zürich. Arbeitete in den 1990ern in Berlin für den ID Verlag und die Edition ID-Archiv, gab dort u.a. die Zeitschrift "Die Beute" mit heraus. Studierte in Frankfurt/M. Germanistik und Politikwissenschaften.

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