Alltagsrassismus in Deutschland: Jeder dieser Momente sticht

Neonazis spucken, aber auch Linke sprechen langsamer oder halten unsere Autorin für eine Geflüchtete. Ein Jahr in einem Land, das nach rechts rückt.

Die Autorin im Rückspiegel eines Autos

Konnte vielerorts nicht einfach deutsch sein: die Autorin unterwegs in Deutschland Foto: Ann-Kathrin Liedtke

Im ersten Stock eines Gasthofs in Crottendorf im Erzgebirge sitzen fast hundert Menschen. Ich suche mir als Letzte einen Platz – doch anscheinend den falschen. Die Gruppe junger Männer, neben die ich mich gesetzt habe, steht auf und wechselt auf die gegenüberliegende Seite des Raumes. Auch ohne ihr Tuscheln – „Ne, nicht bei der“ – hätte ich es sofort gewusst: Sie haben sich keinesfalls wegen der besseren Sicht umgesetzt. Nein, ich bin der Grund. Meine braunen Locken, die schwarzen Augen, die dunkle Haut.

Es ist eigentlich nichts Neues für mich. Aber ich habe naiv gedacht, im Schutzfeld meiner KollegInnen, dem Kontext meiner Arbeit, passiert so etwas nicht. Dass meine Reise durch Deutschland eine ganz andere wird als für das restliche Team, wird mir jetzt erst deutlich.

Mit Blick auf die Bundestagswahl, die Erfolge der AfD im Kopf, ging taz.meinland auf Tour. Ein Jahr lang, 16 Bundesländer, mehr als 50 Stationen, mehr als 27.000 Kilometer. Die Großstadtblase verlassen, um Orte zu sehen und Geschichten zu erzählen, über die sonst nicht gesprochen wird. Unser Zuhause wurde der Kleinbus, Grundnahrung warme Gummibärchen mit zu viel Kaffee. Wir waren auf Hindernisse eingestellt. Nicht aber auf fehlendes WLAN, Sprachbarrieren durch Dialekte und unseren niedrigen Bekanntheitsgrad (nein, wir sind nicht die FAZ).

Wir lernten das Land kennen, warfen unsere eigenen Vorurteile über Bord und wurden mit anderen konfrontiert. Ländliche Gegenden bedeuten für mich immer viele Blicke. Ich kenne sie, genauso wie das leise, vermeintlich unauffällige Flüstern.

Rassistische Witze

Die Frage nach meiner Herkunft habe ich mindestens so oft beantwortet wie die nach meinem Namen. Dabei lässt sich aus ihr wohl kaum ein Hollywood-Blockbuster drehen: Geboren in der Puppenstuben-Stadt Tübingen, habe ich es bis zum Ende meiner Schulzeit nie großartig aus dem Schwabenländle heraus geschafft. Meine Mutter heißt Carmen, meine Oma Gerda und aufgewachsen bin ich in einer Patchworkfamilie.

Dass mein Vater aus Burundi, Ostafrika, kommt, ist für die meisten die einzig interessante Information. Dass ich selbst noch nie dort war, meine zweite Muttersprache immer mehr verlerne und Weihnachten trotz einer Pfarrerin als Mutter so unspektakulär wie all meine Freunde feiere, ist Nebensache.

„Ländliche Gegenden bedeuten für mich immer viele Blicke. Ich kenne sie, genauso wie das leise, vermeintlich unauffällige Flüstern.“

Ich bin mit Vorurteilen und Alltagsrassismus groß geworden. Kleine Dinge passieren täglich. Jemand macht zum Beispiel einen Witz: „Wieso werden im Winter weniger Schwarze überfahren? Weil man sie im Schnee besser sieht.“ Danach kommt die Stille, weil er bemerkt: Oh hey, da ist ja noch das schwarze Mädel. Meist sind diese Situa­tio­nen für die anderen unangenehmer als für mich.

Seit dem Sommer 2015 gehöre ich zur Kategorie gut integrierter Flüchtling. Automatisch bin ich für die meisten die Vorzeigemigrantin, die rasant die Sprache gelernt, sich integriert hat. Eben eine von denen, nicht eine von uns. Diese Haltung begegnet mir überall auf der Reise. In Husum fragt mich ein Mann, ob mir denn nicht kalt sei oder ob ich mich an das deutsche Klima schon gewöhnt habe.

Ein anständiger Name

In Ichenhausen spielen ein paar eingesessene Bayern das Spiel „Wo kommst du denn her?“. Während ich mir meine Feierabendzigarette und ein Fahrer-Spezi gönne, fangen sie an zu raten. Der Kontinent stimmt nach ein paar Runden. Das Land nicht. Wer kennt schon Burundi? „Ach, da waren doch mal die Deutschen. Da unten bei Südafrika.“

Nicht ganz: Südafrika ist schlappe 4.151km entfernt, mehrere Länder, Sprachen und Kulturen liegen dazwischen. Aber die geografieaffinen Bayern beharren auf ihrem Recht. Sie erklären mir, dass ich leider keine Ahnung von meiner eigenen Geschichte habe. Einen guten Spruch habe ich nicht auf den Lippen, denn es schockiert, dass eine Schwäbin im Jahr 2017 in ihren Augen nicht eine Malaika sein kann.

Der Klassiker, die Herkunftsfrage, ist an allen Orten der Republik zum Gesprächseinsteiger geworden. Für mich gehört sie nicht zum Smalltalk. Denn sie zielt darauf ab, mich einordnen zu können. Sie drängt mich zusammen mit anderen Deutschen in eine Ecke, gelabelt als „MitbürgerIn mit Migrationshintergrund“. Schon allein durch die Frage nach meiner Herkunft nimmt man mir das Deutschsein weg, denn es steht gar nicht zur Debatte.

In Nürtingen klopft mir eine ältere Dame freundlich auf die Schulter. Die Frau, begleitet von ihrer Tochter, sagt be-son-ders laaangsam, dass ich ja wirklich stolz auf mein Deutsch sein könne. „Da hat Ihre Schule aber gute Arbeit geleistet.“ Ihre Tochter nickt voller Mitleid, stellt mit trauriger Stimme fest: „Aber so ein anstäändiger Name wie Müller wäre aber schon geschickter gewesen, gell?“ – „Ach, wissen Sie, meine Mutter hatte die Wahl zwischen dem unanständigen Namen und ihrem Mädchennamen Krieg. Da bin ich über ihre Wahl schon sehr glücklich.“ Die Dame ist trotzdem anderer Meinung: „Na, aber Krieg ist doch kurz und jeder versteht es gleich!“

Alltagsrassismus ist Salonfähig

In Niedersachsen am Kanal der Oste gibt es Komplimente für die taz. „Toll, dass die sich jetzt auch so direkt für Flüchtlinge engagieren!“ In Hagen besucht mich eine Gruppe von Gästen beim Einpacken der Sticker, Kugelschreiber und Jutebeutel. Aber eigentlich brennt ihnen nur eine Frage auf den Lippen: Sorgenvoll wollen sie wissen, ob ich denn direkt nach dem Projekt wieder nach Hause müsse oder ob man sich für mich einsetzten würde, dass ich noch ein bisschen in Deutschland bleiben kann. Das schmerzt, denn ohne meine Geschichte zu kennen, stecken sie mich durch meine Hautfarbe in eine Schublade.

Jeder einzelne dieser Momente sticht, hinterlässt ein komisches Gefühl im Bauch. Und einen Anflug von Wut, denn oft fehlen mir die Worte. Ich sehe es als meine Aufgabe, mein Gegenüber darauf aufmerksam zu machen, dass es nicht unbedingt provokant gemeint ist, aber eben auch nicht weit gedacht. Und trotzdem kann ich mich glücklich schätzen, denn bisher waren es nur Worte, die mich getroffen haben. Oder Schweigen.

Vor einigen Wochen war ich wieder auf dem Weg ins Erzgebirge, dieses Mal mit dem Zug. Vor dem Hauptbahnhof in Chemnitz war ein großer AfD-Stand aufgebaut, zwei Leute verteilten Kugelschreiber und Flyer. Mir boten sie keinen an. Gegenüber saßen ein paar Jungs mit angesagtem Dutt und Mädels in Vintagekleidern. Auf dem Weg zu den Gleisen spuckte eine von ihnen ein paar Meter vor mir auf den Boden. Der andere meinte nur: „Ach komm, mehr ist sie doch nicht wert.“ In der Hand hielten sie die Heftchen der AfD.

In den letzten Wochen habe ich immer gehört, wie langweilig dieser Wahlkampf dieses Jahr doch sei, Mutti würde eh wieder Kanzlerin werden und der Einzug der AfD ließe sich nun auch nicht mehr verhindern. Die paar Prozent hin oder her. Für mich machen die Kommastellen einen Unterschied. Nicht zuletzt der AfD habe ich zu verdanken, dass Alltagsrassismus wieder salonfähig geworden ist.

Provozieren, relativieren – und doch so meinen

Keine dieser Erfahrungen ist mir neu, sie begleiten mich mein ganzes Leben. Es ist nicht die Häufigkeit der Anfeindungen, die mich erschreckt, sondern das Selbstverständnis, mit der sie geschehen, das Wegsehen der anderen. Provozieren, relativieren – und doch so meinen. Ein Spiel, das die AfD perfektioniert hat. Zwar ist die öffentliche Mehrheit darüber empört, Entsetzten und Wut spüre ich allerdings nur in meinem Bauch.

„Am Sonntag wird feststehen, wie viele Menschen in den Bundestag einziehen dürfen, die mir mein Deutschsein nehmen wollen.“

Nach außen präsentiert sich Deutschland als buntes Land, ein Land, in dem wir gut und gerne leben wollen. Rassismus, Homophobie und Antisemitismus werden nicht geduldet. Die Realität sieht anders aus. Am Sonntag wird feststehen, wie viele Menschen in den Bundestag einziehen dürfen, die mir mein Deutschsein nehmen wollen. Für die ich nicht dazugehöre, die ihre Deutschen lieber selbst machen wollen und nach deren Konzept ich somit auch gar nicht existieren würde.

Es brechen Menschen in einen für mich bisher geschützten Raum ein. Anfeindungen auf der Straße schmerzen – diese bald auch noch durch demokratisch gewählte Abgeordnete prominent hören zu müssen, lässt meinen Kloß im Hals wachsen.

„G’nauer g’sagt aus Schduagard“

Diese Reise durch Deutschland hat mir gezeigt, dass es sich hier nicht um einen Hype handelt. Wir können nicht darauf hoffen, dass die AfD von der Bildfläche verschwindet, sobald der Protest verklungen ist. Denn sie protestierten gegen Leute wie mich. Ich bin ein Teil von Deutschland, ein Teil einer Generation, die die dunkle Vergangenheit nur noch aus dem Geschichtsunterricht kennt und nun mit ihr konfrontiert ist.

Die eine richtige Lösung habe ich auch nicht, doch wenn das letzte Jahr mir etwas beigebracht hat, dann ist es die Wichtigkeit, einander zuzuhören, das Gefühl zu geben, gesehen und gehört zu werden. Ich muss lernen, weiterhin mein Gesicht zu zeigen und mich klar zu positionieren. Und viel öfter bei der Frage nach meiner Herkunft einmal mal auf Schwäbisch-A2-Niveau antworten: „G’nauer g’sagt aus Schduagard“.

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