Aiman Mazyek über AfD und Muslimhass: „Wir setzen auf das Grundgesetz“

Teile von Medien und Politik haben der AfD den Boden bereitet, sagt der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime. Jetzt wird es für Muslime noch schwerer.

Pegida-Demonstrantin trägt Plakat, das Merkel mit Kopftuch zeigt

Die AfD baut auf eine Islamfeindlichkeit auf, die es lange vor ihr gab: Pegida in Dresden 2015 Foto: dpa

taz: Herr Mazyek, mit der AfD ist jetzt eine erklärt antimuslimische Partei in den Bundestag eingezogen. Ist das eine Zäsur?

Aiman Mayzek: Es spiegelt das, was in der Gesellschaft passiert. Das hat sich schon lange vorher angedeutet und angebahnt, aber es markiert trotzdem eine Zäsur.

Welche Folgen wird das für Muslime haben?

Das gesellschaftliche Klima wird sich weiter verschlechtern. Die Ankündigungen der anderen Parteien lassen bisher wenig Bereitschaft erkennen, sich dieser Herausforderung entgegenzustellen. Statt eine harte Auseinandersetzung um Grundwerte zu führen, wird nicht nur aus dem konservativen Lager immer wieder geschielt, ob man da nicht das eine oder andere übernehmen kann, sprich: man versucht, es der AfD gleichzutun.

Sie meinen Debatten um Asyl-Obergrenzen, „Burka“-Verbote und „Leitkultur“?

Ja, schon diese ganzen Schlagworte. Das wird die AfD letzten Endes nur stärken, weil die Leute sich sagen: dann wähle ich doch gleich das Original. Und wenn wir bei Flüchtlingen schon eine Obergrenze ziehen – warum dann nicht bei null? So öffnet man Tür und Tor für einen Unterbietungswettbewerb und weitere Verschärfungen. Und warum? Weil sich die Politik nicht imstande sieht, den Bürgern unsere großartige Verfassung zu erklären – zumindest jenen 13 Prozent, welche die AfD gewählt haben. Sie könnte ja sagen: Klar, wir können und wollen nicht alle aufnehmen. Aber wir haben humanitäre und verfassungsrechtliche Verpflichtungen, die wir nicht einfach über Bord werfen können.

Aiman Mazyek, 48, ist seit 2010 Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, der bundesweit etwa 300 Moscheegemeinden vertritt.

Die AfD will ihren Abgeordneten Albrecht Glaser zur Wahl des Vizepräsidenten des Bundestags nominieren. Die anderen Parteien wollen ihn nicht in dieses Amt wählen. Das ist doch klare Kante, oder?

Ich finde die Haltung richtig, aber die Begründung ist falsch. Das Problem an Glaser ist nicht in erster Linie, dass er islamfeindlich ist. Sondern, dass er verfassungsfeindlich ist.

Glaser behauptet, der Islam sei „keine Religion“, sondern eine „politische Ideologie“, weswegen Muslime keine Religionsfreiheit beanspruchen könnten. Das ist auch islamfeindlich, oder nicht?

Ich verweise da auf den Zentralrat der Juden, der gesagt hat: Islamfeindlichkeit ist jetzt der Trend. Aber es kann morgen schon wieder eine andere Religion und Weltanschauung treffen, und das geschieht ja schon. Weil sich die pauschale Abwertung von Religionen auf andere Gruppen übertragen lässt. Und diese Haltung widerspricht unserem Grundgesetz.

AfD-Chef Alexander Gauland sagt, es gebe keinen Unterschied zwischen Islam und Islamismus. Was sagen Sie dazu?

Diese Masche kennen wir von rechtspopulistischen Hetzseiten wie pi-news schon seit Jahren: dass man eine Religion abwertet, indem man sie zu einer Sekte oder politischen Ideologie erklärt und damit dann deren Mitglieder diffamiert und dämonisiert. Wir haben immer gewarnt: Diese Leute bereiten rhetorisch den Boden für Parteien, die mit diesen Positionen in die Mitte der Gesellschaft vorstoßen werden. Genau das ist jetzt geschehen, und jetzt sind alle ganz betrübt.

Wen machen Sie dafür verantwortlich?

Teile der Medien und der Politik haben der AfD den Boden bereitet. Gucken Sie sich nur Themenschwerpunkte der Talkshows der letzten Jahre an: alles Islam-Angst-Themen. Die AfD ist ja nicht originär verantwortlich für die Islamfeindlichkeit im Lande. Sie hat es nur geschafft, diese geschickt in ein Parteiprogramm umzumünzen und damit Wähler zu mobilisieren. Der Boden war aber schon lange bereitet. Viele Pseudo-Experten haben sich ihr als Stichwortgeber und Steigbügelhalter zur Verfügung gestellt. Die AfD musste einfach nur noch pflücken und ernten, und das hat sie am besten von allen getan.

An wen denken Sie da?

An all die Leute, die nicht müde werden, das Lied vom gefährlichen Islam zu singen. Menschen mit bestimmten Ansichten können gefährlich werden, zu Extremisten oder Terroristen. Aber eine 1.400 Jahre alte Weltreligion, die großartige Zivilisationen hervorgebracht hat, ist kein Subjekt. Dennoch machen manche für alles Übel dieser Welt den Islam verantwortlich. Und sagen: Ihr seid alle naiv, das ist alles nur Rhetorik von Mazyek und Co, die wollen nur ihre wahren Absichten verheimlichen. Diese ganze Islamkritik-Industrie lebt doch von diesem pseudomutigen Entlarvungsgestus.

Manche dieser Leute leben unter Polizeischutz!

Ja, das ist schlimm und zu verurteilen. Aber auf Muslime einzudreschen, das ist doch nicht mutig – das ist billig. Viele versuchen daraus Kapital zu schlagen. Da kann ich nur sagen: Mutig ist derzeit der, der sich schützend vor Muslime stellt. Der erhält ebenso Morddrohungen.

Islamverbände wie Ditib wirken durch die Entwicklung in der Türkei wie paralysiert, und der autokratische Kurs des türkischen Präsident Erdoğan ist Wasser auf die Mühlen aller Islamfeinde und Türkenhasser, die sagen: mit denen kann man eh nicht zusammenarbeiten. Was also tun?

Jedenfalls nicht jahrzehntelange Arbeit einfach kaputt machen. Vieles, was gut gelaufen ist, wird jetzt einfach beiseite geschoben. Weil es momentan zwischen Deutschland und der Türkei Verwerfungen gibt, setzen manche auf eine holzschnittartige Basta-Politik. Aber die vielen hunderttausend deutschen Muslime, die in den bestehenden Religionsgemeinschaften organisiert sind, haben ein grundgesetzlich verbürgtes Recht darauf, nicht ausgeschlossen zu werden. Unsere Verfassung gibt uns da klare Vorgaben.

Die Bundesregierung hat ihre Fördermittel für Projekte der Ditib-Gemeinden für das nächste Jahr um 80 Prozent reduziert. Wie bewerten Sie das?

Die Politik ist gut beraten, wenn sich nicht nur sagt, was nicht geht, sondern Lösungen sucht und Vorschläge macht, was die Eingliederung einer Religionsgemeinschaft wie Ditib und anderer islamischer Verbände angeht. Der Gestaltungswille in der Politik ist derzeit nur schwach ausgeprägt. Aber wenn ich sage, wir wollen einen Islam in Deutschland, dann muss ich diesen Prozess auch aktiv gestalten. Da kann ich nicht nur Sonntagsreden halten oder Forderungen erheben.

Der Zentralrat der Muslime erhält auch im nächsten Jahr wieder Förderung durch den Bund. Was machen Sie mit dem Geld?

Überwiegend finanzieren wir damit etwa Flüchtlingsprojekte, natürlich keine religiösen Dienste. Wir sind da vor allem in den neuen Bundesländern aktiv, weil es dort wenig muslimische Gemeinden und Infrastruktur gibt. Das ist alles transparent, das kann man alles nachlesen.

Scharfmacher wollen die Kooperation mit den Islam-Verbänden beenden, weil diese „aus dem Ausland gesteuert“ würden. Was sagen Sie dazu?

Das ist der falsche Ansatz, weil er destruktiv und von Misstrauen geprägt ist. Wir als Zentralrat waren noch nie vom Ausland gesteuert und propagieren einen Islam in Deutschland. Aber es gibt andere Religionsgemeinschaften, ob nun spanische Katholiken oder die griechisch-orthodoxe Kirche, die ihren Bezug zum Ausland beibehalten wollen. Und dagegen ist verfassungsrechtlich grundsätzlich nichts einzuwenden. Ob das integrationsfördernd ist, ist eine ganz andere Frage.

Der CDU-Politiker Jens Spahn möchte Geldzuwendungen an muslimische Gemeinden aus dem Ausland ganz verbieten, wie das Österreich vorgemacht hat. Was würde das bedeuten?

Solche Forderungen sind populär, weil sie suggerieren, das wäre eine Lösung. Aber wie sollen diese muslimischen Religionsgemeinschaften in Deutschland dann sonst finanziert werden? Abgesehen davon ist das verfassungsmäßig fragwürdig.

Auch die Grünen sind auf Distanz zu den großen Islam-Verbänden gegangen. Parteichef Özdemir hat sie als „Teil des Problems“ bezeichnet und gefordert, der deutsche Staat müsse seine Partner in der Integrationsarbeit sorgfältiger auswählen als bisher. Ist das eine Kampfansage?

Das ist eine Rhetorik, die suggeriert, es gäbe eine Alternative zumDialog. Ich kann mir die Religionsgemeinschaften, die es in Deutschland gibt, aber nicht aussuchen. Es gibt ja derzeit einige Leute, die träumen von einer Alternative, nach dem Motto: seht her, mit den Verbänden geht es nicht, dann schaffen wir uns eben unseren eigenen Islam. Aber der Islam in Deutschland definiert sich über die hiesigen Muslime, die sich nun mal in den hiesigen Vereinen und Moscheegemeinden freiwillig organsiert haben. Da kann ich nicht sagen: ich propagiere nach meinem Gusto einen Islam, der mir besser gefällt, und der deutsche Staat sucht sich ein, zwei Personen aus, die den repräsentieren. Ein politisch korrekter Staatsislam im Sinne Cem Özdemirs ist mit unserer Verfassung nicht zu machen.

Was können Muslime gegen die grassierende Islamfeindlichkeit tun?

Wir müssen den gesellschaftlichen Zusammenhalt viel stärker in den Vordergrund stellen. Wir müssen mehr Bereitschaft zeigen, unser Land und Europa mitzugestalten. Ich vermisse Initiativen und Impulse, was Themen wie Umweltschutz, Ökonomie oder Gerechtigkeit betrifft – Themen, die uns allen auf den Nägeln brennen. Egal, ob jemand sogenannt liberal oder konservativ ist: die Frage ist doch, was bringen wir ein in unsere Gesellschaft? Viele Muslime sind zu beschäftigt damit, sich voneinander abzugrenzen. Und wenn man dann so Gelegenheiten hat wie den Tag der offenen Moschee, dann machen wir noch zu wenig daraus.

Ist der „Tag der offenen Moschee“ keine Erfolgsgeschichte?

Natürlich, es haben zuletzt wieder über Tausend Moscheen teilgenommen. Aber aus solchen Chancen machen wir noch zu wenig.

Wie sieht es mit der Gründung eines muslimischen Wohlfahrtsverbands aus?

Es gibt schon welche, auf der regionalen Ebene, auf der kommunalen Ebene uns sogar im Bund. Im Bereich der Altenpflege und der Palliativmedizin, was Kindergärten, Jugendhilfe, Seelsorge inKrankenhäusern und Gefängnissen angeht gibt es ganz viele Initiativen und Projekte. Die Frage ist: kriegen wir die unter einem Dach koordiniert? Oder wird das eher so eine paritätische Geschichte? Wohin da die Reise geht, ist noch offen. Aber das war einer der positiven Impulse, die aus der Islamkonferenz heraus gekommen sind. Wir haben unseren Teil dazu beigetragen.

Wir haben ja bald eine neue Bundesregierung. In welcher Partei sehen Sie derzeit Ihren größten Verbündeten für eine weitere Integration des Islam?

Ich habe da keine Präferenzen. Unser größter Verbündeter ist das Grundgesetz. Die Frage ist, welche der Parteien bereit ist, die darin verbrieften Rechte und Pflichten in aktive Politik umzusetzen.

Es könnte alles noch schlimmer kommen, wie man mit Blick auf den Rechtsruck in Österreich sieht. Was können wir tun, um nicht in solchen Verhältnissen zu enden?

Man muss keine Sympathien für Muslime oder Religionen an sich haben, um unsere freiheitliche Demokratie zu verteidigen. Das sollte man schon aus verfassungspatriotischem Eigeninteresse tun. Nur ein Beispiel: Nach dem 11. September 2001 wurde immer beschwichtigt, dass die Verschärfung der Sicherheitsgesetze ja nur Terroristen oder radikale Muslime beträfen.

Aber beim G8-Gipfel in Heiligendamm oder beim G-20-Gipfel in Hamburg hat man gesehen, dass das auch andere Gruppen treffen kann. Ebenso gilt: wenn wir Rassismus zulassen, dann zieht das die gesamte Gesellschaft in Mitleidenschaft. Wenn ich Feindseligkeit gegen Muslime für weniger schlimm erachte als gegen Juden oder Christen, dann nehme ich es hin, dass zivilisatorische Standards aufgeweicht werden. In den USA oder in den sogenannten sozialen Medien kann man sehen, wohin die Verrohung der Sitten und die Erosion solcher Standards führen kann. Das fällt uns allen auf die Füße.

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